
Wenn Anna Wintour, die Chefin der US-amerikanischen Vogue, auf den Waschzettel in ihrem neuen Kleid guckt, liest sie da "Anna" und "97232 Giebelstadt". Denn die weltweit bekannte Stilikone hat gerade ein eigens für sie geschneidertes Kleid aus dem Giebelstadter Hause Odeeh getragen. In dem 5000-Einwohner-Städtchen im Landkreis Würzburg leben und designen Otto Drögsler und Jörg Ehrlich.
Die beiden Modemacher arbeiteten unter anderem 14 Jahre lang für René Lezard in Schwarzach (Landkreis Kitzingen), sind seit einigen Jahren Kreativdirektoren der Porzellanmanufaktur Meissen - und haben in Giebelstadst seit 2008 ihr eigenes Label "Odeeh".
Stelldichein der Modeszene in Berlin: "Vogue Forces of Fashion"
Aber wie kommt Anna Wintour an ein Kleid aus Giebelstadt? Anlass war die "Vogue Forces of Fashion", ein Event mit führenden Köpfen der Modebranche in Berlin. Schirmherrin der Veranstaltung: Anna Wintour, jene Mittsiebzigerin mit stählerner Bob-Frisur und ikonischer Sonnenbrille, die seit Jahrzehnten in der globalen Modewelt den Takt vorgibt. Seit 1988 ist Wintour Chefredakteurin der US-Vogue, die Queen hat die gebürtige Britin 2017 in den Adelsstand erhoben.
Und seit Jahrzehnten ist klar: Was Anna Wintour trägt, zählt zu den besten Kreationen weltweit - was sie verreißt, gehört aufs modische Abstellgleis.
Nur wenige Wochen Zeit zwischen Auftrag und fertigem Kleid
"Für die Veranstaltung der deutschen Vogue in Berlin wollte Anna Wintour das Kleid eines deutschen Labels tragen", sagt Odeeh-Sprecher Tobias Graf. Ihr Team habe Wintour eine Auswahl deutscher Design-Labels vorgelegt, die Vogue-Chefin entschied sich für das aus Unterfranken. "Das ging alles ziemlich fix", berichtet Graf. "Zwischen der Nachricht, dass sie uns ausgewählt hat, bis zum fertigen Kleid lagen vielleicht vier, fünf Wochen."
Zunächst bekam Wintour ein paar Musterstoffe zugeschickt und hat sich "in einen bestimmten Druck verliebt", sagt Graf. "Wir haben aus einem einfachen Stoff ein Probeteil genäht, ein sogenanntes Nesselstück." Wintours persönlicher Schneider habe noch einen Schlitz am Rock des langen, gemusterten Kleides platziert, dann sei das Stück in Giebelstadt aus Wintours Wunschstoff, einem recycelten Polyester, angefertigt worden. Auf dem Waschzettel des Kleides steht Wintours Vorname - und der Herstellungsort samt Postleitzahl, wie ein Instagram-Post von Odeeh verrät.
"Bis zum Ende war die große Frage: Wird sie das Kleid auch tragen? Es gab kein Ersatzkleid, klar war da die Befürchtung, dass sie sich spontan umentscheidet", so Graf. Aber so kam es nicht: Wintour trug den ganzen Montag lang die Giebelstadter Kreation - und verschaffte Odeeh so internationale Aufmerksamkeit.
"Sie ist einfach die weltweit höchste Instanz der Modebranche. Wenn sie etwas trägt, weiß jeder: Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen", sagt Sprecher Graf. Auch wenn Odeeh seit Jahren eine feste und von Kritikern gefeierte Mode-Größe in Deutschland ist - "die Kooperation bedeutet internationale Sichtbarkeit", sagen die Designer Otto Drögsler und Jörg Ehrlich in ihrem Pressestatement.
Denn so gefürchtet ihre Kritik ist, so beiläufig adelt Wintour auch jene Designer, die sie trägt. "Seitdem Anna Wintour in unserem Kleid zu sehen war, schnellen die Homepage-Zugriffe in die Höhe, internationale Stylisten rufen hier in Giebelstadt an und wollen mit uns zusammenarbeiten", berichtet Graf.

Die beiden Giebelstadter Designer und Graf lernten Wintour bei der Veranstaltung in Berlin kennen. Sie hätten mit Spannung erwartet, wie die Mode-Ikone im echten Leben denn so drauf ist, sagt Graf. Schließlich wird Wintour nicht nur nachgesagt, ein kreatives Genie zu sein und jungen Designern den Weg in den Modeolymp zu ebnen - sondern auch ein mitunter diven-, wenn nicht gar furienhaftes Auftreten. So schrieb etwa Wintours ehemalige Assistentin bei Vogue die Romanvorlage zum Hollywood-Hit "Der Teufel trägt Prada" - einem Blockbuster über die eiskalte Chefin des weltweit führenden Modemagazins.
Designer-Duo über Anna Wintour: "professionell, nahbar und unkompliziert"
Zumindest in Berlin sei von einer möglichen Parallele zur Filmfigur nichts zu spüren gewesen, sagt Graf: "Anna Wintour kam zwischen den Fototerminen zu uns und hat sich ganz herzlich für das schöne Kleid bedankt." Auch die beiden Designer schreiben: "Wenn man sie persönlich erlebt und mit ihr in Kommunikation geht, dann merkt man, wie professionell, nahbar und unkompliziert diese Frau ist."
Hinterher habe die Vogue-Chefin sogar noch eine nette E-Mail nach Giebelstadt geschickt, erzählt Graf. Der Teufel trägt also vielleicht Prada - Anna Wintour aber in Zukunft womöglich noch öfter Odeeh.