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Würzburg
Welt-Aids-Tag: "Ich erzählte ihnen von meiner HIV-Diagnose, dann standen sie kommentarlos auf und gingen"
Es war der Satz eines Arztes, der das Leben von Peter H. schlagartig änderte, ihm das Gefühl gab, ein Ausgegrenzter zu sein. Wie der 50-Jährige damit umgeht und was er Mitmenschen rät.
Welt-Aids-Tag am 1. Dezember: Stigmatisierung von HIV-Infizierten findet auch heute noch statt (Symbolbild, Foto zeigt nicht den Betroffenen).  
Foto: Arne Dedert, dpa | Welt-Aids-Tag am 1. Dezember: Stigmatisierung von HIV-Infizierten findet auch heute noch statt (Symbolbild, Foto zeigt nicht den Betroffenen).  
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 17:58 Uhr

Die Diagnose kam für Peter H. (Name durch die Redaktion geändert) wie ein Hammerschlag, sagt er.  Eigentlich war H. ziemlich sicher, dass er sich nirgendwo mit dem Virus angesteckt haben kann – auch deshalb hatte er dem Test im Krankenhaus zugestimmt, ohne groß nachzudenken. Was dann passierte, macht H. bis heute fassungslos.

Der Mann aus dem Raum Main-Spessart lag wegen einer Operation am Bein im Krankenhaus. Als auch Tage später die Wunde nicht zu heilen schien, wurde nach möglichen Ursachen gesucht. "Irgendwann kam dann ein Arzt auf mich zu und fragte, ob ich nicht mal einen HIV-Test machen möchte", erinnert sich H.. Er willigte ein.

Drei Tage später lag das Ergebnis vor. "Da kam der Arzt in mein Zimmer und scheißt mich, auf Deutsch gesagt, zusammen. Was mir denn einfalle, mich operieren zu lassen, ohne zu sagen, dass ich HIV-positiv bin", erinnert sich H.. Für den heute 50-Jährigen ein Schlag ins Gesicht. Der Arzt habe ihm die Diagnose einfach "so hingeschmissen" und sei zwei Minuten später wieder verschwunden.

Viele Infizierte wissen nichts von ihrer Ansteckung

Völlig überrumpelt und durch den Vorwurf vor den Kopf gestoßen, blieb H. allein im Raum zurück. "Ich habe mich dann total eingeigelt. Ich wollte niemanden sehen. Ich war mit mir allein beschäftigt." Vor allem ein Gedanke hat den Mann aus dem Spessart nicht mehr losgelassen: "Wo habe ich mich angesteckt?" Eine Antwort darauf habe er bis heute nicht. Auch wisse er nicht, wie lang er schon unwissentlich infiziert war, bis er seine Diagnose bekam.

In Deutschland leben laut Robert-Koch-Institut (RKI) rund 91.400 Menschen mit einer HIV-Infektion. Die Dunkelziffer liegt höher, denn schätzungsweise zehn Prozent der HIV-Positiven wissen nichts von ihrer Infektion. Im Jahr 2022 haben sich schätzungsweise 1900 Personen neu mit dem Virus infiziert, teilte das RKI mit.

Allgemeine Hygienestandards im medizinischen Bereich reichen als Schutz aus

H. lebt mittlerweile seit knapp acht Jahren mit seiner Diagnose. Heute vermutet er, der Arzt habe einfach Angst vor der Krankheit gehabt und nicht gewusst, wie er damit umgehen soll. Für seinen Berater von der HIV/Aids-Beratung Unterfranken, Florian Pfaller, ein klares Zeichen dafür, wie wichtig die Aufklärungsarbeit über die Krankheit ist.

"Medizinisches Personal muss grundsätzlich immer davon ausgehen, dass eine Person eine Infektion hat und es vielleicht nicht weiß", erklärt er. Denn: die vorgeschriebenen Hygienestandards gelten für HIV-Positive gleichermaßen wie für nicht betroffene Personen.

In der Würzburger HIV/Aids-Beratung höre man immer mal wieder von Personen, die auch im medizinischen Bereich Erfahrungen machen, die sie als diskriminierend empfinden – auch wenn es das Personal eigentlich besser wissen sollte, erklärt Pfaller. Eine Befragung der Deutschen Aids-Hilfe aus dem Jahr 2021 unterstreicht dies. Dort gaben 26 Prozent der Befragten an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten die Erfahrung machten, dass medizinisches Personal den Körperkontakt zu ihnen vermied – aufgrund ihrer angegebenen HIV-Infektion. Dieses Verhalten sei laut den Expertinnen und Experten "nicht medizinisch begründbar" und daher diskriminierend.

HIV-Infektion ist früherkannt mittlerweile gut behandelbar

Die Stigmatisierung findet auch heute noch in weiten Teilen der Gesellschaft statt. Auch deshalb haben viele Patientinnen und Patienten Angst, offen mit ihrer Diagnose umzugehen und auch deshalb will H. unerkannt bleiben. Zwar wisse ein Großteil seiner Familie von seiner Diagnose, aber eben nicht alle.

"Es ist wirklich wichtig herauszufinden, wem man seine Diagnose anvertrauen möchte und wem nicht." H. habe sich dabei immer auf sein Bauchgefühl verlassen. Aber auch damit habe er manchmal daneben gelegen. "Ein Großteil der Freunde, von denen ich dachte, dass ich es ihnen erzählen kann, hat sich danach von mir abgewandt", sagt der 50-Jährige. Er vermutet, dass viele von ihnen mit seiner Krankheit einfach nicht umzugehen wussten.

Florian Pfaller ist Sozialarbeiter und Berater bei der HIV/Aids-Beratung Unterfranken in Würzburg.
Foto: Johannes Kiefer | Florian Pfaller ist Sozialarbeiter und Berater bei der HIV/Aids-Beratung Unterfranken in Würzburg.

Dabei ist eine Infektion mit dem HI-Virus heute längst kein Todesurteil mehr – wenn die Infektion rechtzeitig erkannt wird. 76.000 der mit dem HI-Virus infizierten Personen in Deutschland sind erfolgreich therapiert. Das heißt, die Virenlast im Blut ist so gering, dass eine Ansteckung nicht mehr möglich ist – selbst bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr.

Aus seinem Humor zieht H. seine Kraft

Auch H. hat sich kurze Zeit nach seiner Diagnose in Behandlung begeben und ist heute unter der Nachweisgrenze und damit nicht mehr ansteckend. Die Diskriminierung ist damit aber trotzdem nicht vorbei. Diese schmerzliche Erfahrung musste H. erst im vergangenen Urlaub machen, erzählt er. Mit einer Gruppe von Menschen saß er am Lagerfeuer und hatte einen guten Austausch mit ihnen – bis das Thema HIV/Aids aufkam.

"Ich erzählte ihnen von meiner HIV-Diagnose, dann standen vier von ihnen kommentarlos auf und gingen", erzählt der 50-Jährige.  Dass er auch dazu sagte, dass er bereits in Behandlung und damit nicht mehr ansteckend sei, schien die vier Personen nicht zu interessieren.  "Das passiert auch heute noch."

Unterkriegen lassen will sich der Mann aus dem Landkreis Main-Spessart davon aber nicht. Denn es gebe auch Menschen, die weiterhin an seiner Seite stehen und für die er deshalb umso dankbarer sei. Und ohnehin halte er nichts davon, sich von Tiefschlägen unterkriegen zu lassen. "Es gibt so viele schwere Momente im Leben, wenn man sich jeden zu Herzen nimmt, hätte man ja kein Leben mehr", sagt er.

Seine positive Lebenseinstellung schätzt auch der Würzburger Florian Pfaller an dem 50-Jährigen. "Er zieht aus seinem Humor ganz viel Kraft." Gelernt hat H. aus seiner eigenen Geschichte aber vor allem eines: "Lieber einmal zu viel testen als zu wenig." Das möchte er anderen Leuten nun mit auf den Weg geben.

HIV-Testmöglichkeiten gibt es zum Beispiel bei der HIV/AIDS-Beratung Unterfranken in Würzburg, bei den örtlichen Gesundheitsämtern oder bei den Hausärzten. 

 
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