Die kurze Geschichte lautet so: Ein Kirchenmusiker aus Oberfranken interessiert sich für Weinbau und sucht einen Weinberg. Durch Zufall kommt er an eine kleine Parzelle in Würzburg, die in Privatbesitz ist und die er bewirtschaften kann. Er pflegt die alten Reben naturnah und extensiv, ohne Maschineneinsatz, ohne zusätzlichen Dünger, ohne Chemie. Und im Herbst liest er die Trauben – mit einem Drittel weniger Ertrag als sonst in den guten Würzburger Lagen.
Giftige Ernte: Die Trauben durfte man nicht essen
Die längere Version dieser Geschichte beginnt in der Kindheit von Lothar Schön. Der Patenonkel aus Stuttgart baute im Nebenerwerb Wein an. "Die Trauben waren so lecker, aber man durfte sie nicht essen. Nicht ohne sie zu waschen." Dass man von diesen süßen Früchten Ausschlag bekam – den Neffen im Oberfränkischen irritierte das sehr. "Frühkindliche Prägung", sagt Schön heute. "Mir war klar: Wir müssen da was ändern."
Auch dass seine Vorfahren im Sudetenland in den Bergen auf einer Höhe gelebt hatten, wo man eigentlich keine Landwirtschaft betreiben konnte – "mich beeindruckte das sehr". Um die Trollinger-Reben, die der Onkel nach Oberfranken gebracht hatte, kümmerte sich im Garten der Eltern dann Lothar Schön. "Ohne zu spritzen, ohne Chemie." Schwefel war ja eh in der Luft – der kam mit dem sauren Regen aus dem nahen Tschechien. "Als es da in der Industrie mit den Filteranlagen anfing, ging es beim Wein mit dem Pilz los."
Kirchenmusiker geworden, Weinberg gesucht – der Zufall führte nach Würzburg
Lothar Schön, der heute in Creußen südlich von Bayreuth lebt, wurde Kirchenmusiker und Organist. Der Wein, das Winzern, das Thema extensive Bewirtschaftung beschäftigten ihn weiter. "Die Orgelbauer haben sich früher als Vergütung die größte Pfeife mit Wein füllen lassen." Wie wäre es denn, so einen Orgelwein selbst zu machen für kirchenmusikalische Zwecke und Projekte? Der 56-Jährige suchte einen Weinberg – schwierig in der Fränkischen Schweiz, am Fichtelgebirgsrand.
Zufall und Fügung führten den Kirchenmusiker nach Würzburg, wo ein Haus- und Immobilienverwalter für die Besitzerin eines kleinen Stücks Weinberg nach jemandem schaute, der danach schaut. Jetzt ist Schön seit vier Jahren hier, am Südhang des Neubergs. Und bearbeitet 2000 Quadratmeter Abtsleite extensiv.
Über, unter und neben dem wilden Streifchen Weinberg strecken und ziehen sich auf kargem Boden sauber und ordentlich die Rebstöcke von Juliusspital und Bürgerspital den steilen Hang entlang. Am urigen Randstückchen wächst zwischen Rieslaner und Riesling hüfthoch das Gras und Kraut, Brombeeren beweisen wuchernd ihre Dominanz, im Frühjahr blühten seltene Orchideen. Und der Kümmerer-Winzer schafft und schaut, "was man herbizidfrei machen kann".
Schön geht es um das Ausprobieren, Versuchen, Experimentieren. Darum, das Erfahrungswissen zu erhalten, "das überall verloren geht". Keine Maschinen, fast kein Energieverbrauch – "auch schweißtreibend", sagt der 56-Jährige, lächelnd, über die viele Handarbeit am 45-Grad-steilen Hang. Mini-Schafe von einer Notrettung hatte er schon als "Mäher" da. Und Hühner – "aber die holte der Rotmilan, und für Schafe müsste man jeden Tag da sein".
Jetzt, in der starken Vegetationsphase, gäbe es sowieso sieben Tage die Woche hier etwas zu tun, sagt Schön. Mindestens drei Mal in der Woche kommt er von Creußen nach Würzburg – am liebsten mit Fahrrad und Bahn, dank 9-Euro-Ticket ärgern derzeit auch nicht die verschiedenen Tarifzonen. "Eine möglichst ausgeglichene CO2-Bilanz ist vorrangiges Ziel", sagt Schön – und meint dabei das große Drumrum um das kleine Fleckchen Weingarten.
Hauptziel: Im Weinberg ohne Einsatz von Kupfer auszukommen und kein Schwermetall zu spritzen
Ein Hauptziel für ihn: "Dass man auf das Kupfer verzichtet." Aber das gehe beim Biowein schwer, wenn es viel regnet. Wie im vergangenen Jahr, als Peronospora, der Falsche Mehltau, den Stöcken der Biowinzer in Franken mächtig zusetzte. Dass das Schwermetall auch bei ökologischem Anbau gespritzt werden darf – für Schön ein ungelöstes Problem. Er nimmt Ackerschachtelhalm-Sud. Oder Plasmawasser. Forscher aus Greifswald haben ein Verfahren entwickelt, das durch Plasmabehandlung Wasser zum Desinfektionsmittel gegen Mikroben macht.
Als der Weingärtner davon hörte, wandte er sich an die Technologen des Greifswalder Leibnitz-Institut – und bekam von ihnen eine eigene Mini-Anlage für Versuche gebaut. Jetzt testet Schön am Neuberg die Wirkung des selbst hergestellten sauergewordenen Wassers, das Keimen den Garaus macht.
Seltene Orchidee: Durch das Waldvöglein steht das Stück Weinberg jetzt unter Naturschutz
Schön geht es um Umweltverträglichkeit, Artenvielfalt, Erhalten des Bodens. Deshalb sagt er begeistert: "Neulich habe ich hier mal wieder ein Glühwürmchen gesehen." Darum haben ihn die Orchideen so überrascht: "Ein Bioindikator für Biodiversität in Würzburg."
Denn seit Schön da ist und der Rieslaner auf der Parzelle hier nicht mehr mit Glyphosat behandelt wird, haben sich die seltenen Waldvöglein in kurzer Zeit tatsächlich den Hang hinauf ausgebreitet und wachsen jetzt auch zwischen den Reben. Weil die Orchideenart streng geschützt ist, "wird hier niemand mehr Chemie spritzen können", freut sich Schön.
"Es geht darum, weniger zu haben – dafür gut." Eine Lebenshaltung des Kirchenmusikers. Er hat nichts Missionarisches an sich. Sondern versucht durch sein Tun andere für zukunftsfähige Landwirtschaft zu sensibilisieren. Und sich zum Beispiel darüber Gedanken zu machen, ob die alte Kulturpflanze Wein nicht ein idealer Schattenspender und Temperaturregulator sein könnte auf den überhitzten Würzburger Stadtflächen.
Schön schneidet sich durch die Reihen und erzählt von Schlupfwespen, Raubmilben, seltenen Schmetterlingen. Ihm ist klar: "Eine derartige Bewirtschaftung kann nur unter Außerachtlassung wirtschaftlicher monetärer Gewinne erfolgen." In Frankens großen Weinlagen werden in guten Jahren 10.000 Liter Wein pro Hektar produziert, ist es auf Schöns Stückchen ein Bruchteil. "Die Traubenernte beträgt aufgrund der inzwischen alten Stöcke und der ausbleibenden Düngung nur rund ein Drittel einer normalen Weinernte."
Im Herbst mitlesen hier im kleinen privaten Würzburger Umweltprojekt kann jeder: "Ich bin um jeden Helfer dankbar, und wenn es nur ein kleiner Eimer voll ist." Was der Alternativ-Winzer macht mit den ungespritzten Trauben, die man nicht waschen muss vor dem Naschen?
Gekeltert wird mit Spontangärung in Tongefäßen
Selbst keltern. Im ungenutzten kühlen Keller eines aufgelassenen alten Wasserwerks und in Tongefäßen, denn "Creußen ist uralte Töpferstadt". 300 Flaschen kamen bei der letzten Lese zusammen. Man stelle sich das viel komplizierter vor als es ist, sagt Lothar Schön: "Es braucht tatsächlich nur die Früchte und ein Gefäß, das man luftdicht verschließt." Aber wie genau das dann funktioniert, mit der Spontangärung der Trauben vom Würzburger Neuberg und den Hefen aus der oberfränkischen Luft – das ist eine eigene Geschichte.
"nur rund ein Drittel" bedeutet ja rund zwei Drittel weniger.