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Würzburg
Warum gibt es so wenige Psychotherapeuten in Unterfranken?
Der Bedarf ist riesig, die Wartezeit extrem lang: In Unterfranken ist es schwierig, an einen Psychotherapie-Termin  zu kommen. Warum gibt es so wenige Therapeuten?
Immer mehr Menschen erkranken seelisch und brauchen eine Psychotherapie. Doch es wird immer schwieriger, einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden. 
Foto: SymbolPeter Steffen, dpa | Immer mehr Menschen erkranken seelisch und brauchen eine Psychotherapie. Doch es wird immer schwieriger, einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden. 
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:25 Uhr

Immer länger müssen in der Region Patientinnen und Patienten auf eine Psychotherapie warten. Eine Belastung für die Erkrankten wie auch die Therapeutinnen und Therapeuten: "Jeden Tag muss ich Patienten abweisen, das ist schlimm", sagt der Psychologe Erich Limmer, Leiter des Würzburger Instituts für Psychoanalyse und Psychotherapie. Woran liegt das? Weshalb gibt es nicht mehr Expertinnen und Experten in der Region? Und wer ist für die Situation verantwortlich? 

Wie lange müssen Patientinnen und Patienten aktuell auf eine Psychotherapie warten?

Rund viereinhalb Monate beträgt laut der jüngsten Studie der Bundestherapeutenkammer von 2018 die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz in Bayern. Allerdings ist die Nachfrage für psychotherapeutische Versorgung in der Pandemie deutlich gestiegen, sodass sich die Wartezeit häufig noch verlängert. Deshalb müssen seit Beginn der Krise 40 Prozent der Patientinnen und Patienten in Bayern länger als sechs Monate auf eine Behandlung warten. Dies berichtet Luisa Hiller, Sprecherin der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten.

Wie viele Psychotherapeutinnen und -therapeuten  gibt es in Unterfranken?

Der 2019 aktualisierte Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) zählt für ganz Unterfranken mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern gerade mal 503 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten: darunter 91 ärztliche und 322 psychologische Psychotherapeuten sowie 99 Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. Viele von ihnen arbeiten jedoch nicht auf ganzen Stellen. Mit voller kassenärztlich zugelassener Stelle gibt es in Unterfranken insgesamt nur 337 Therapeutinnen und Therapeuten. Nicht im Versorgungsatlas gelistet sind diejenigen ohne Kassenzulassung, die auf Privatrechnung behandeln.

Lange Wartezeiten, aber laut Versorgungsatlas herrscht in ganz Unterfranken ein "Versorgungsgrad" von über 100 Prozent: Wie passt das zusammen?

Die Kennzahlen des Atlas erschließen sich dem Laien nur schwer. Auf die Frage, wie viele Psychotherapeutinnen und -therapeuten auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen müssen, um einen Versorgungsgrad von 100 Prozent zu erreichen, teilt KVB-Sprecher Axel Heise mit: "Eine solche Zählung sieht der Gesetzgeber nicht vor." Stattdessen beziehe sich die Verhältniszahl "immer auf die Berechnung Patienten pro Psychotherapeut im Planungsbereich". Der dafür zuständige Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin unterscheide hier zwischen Planungsbereichen im ländlichen Raum, in Großstädten und in Mischgebieten. Je nachdem, wie ein Bereich eingestuft ist, hat ein einziger Therapeut beziehungsweise eine einzelne Therapeutin zwischen 3173 und 6390 Menschen zu versorgen.

Für wie viele Menschen in Unterfranken ist ein einzelner Therapeut zuständig?  

Die unterfränkischen Regionen fallen mehrheitlich in eher schlechter versorgte Planungsbereiche. So etwa der Landkreis Würzburg, der als "stark durch die Stadt Würzburg mitversorgt" gilt: Hier ist statistisch gesehen ein einziger Therapeut beziehungsweise eine einzelne Therapeutin für 6390 Bürgerinnen und Bürger zuständig. In den Kreisen Main-Spessart, Kitzingen oder Miltenberg etwa, die als "mitversorgte Planungsbereiche" gelten, kommt ein Therapeut oder eine Therapeutin auf 6078 Menschen. Die Regionen Bad Kissingen, Schweinfurt, Haßberge oder Rhön-Grabfeld gelten als "eigenversorgte" Bereiche, in denen statistisch gesehen ein Therapeut oder eine Therapeutin 5754 Menschen behandelt. In der Region Aschaffenburg kommen auf eine therapierende Person 5313 Bürgerinnen und Bürger, in der Stadt Würzburg sind es 3173 Menschen.

Warum erhöht die KVB nicht die Zahl der Kassenzulassungen?

Eine kurzfristige Anpassung des Versorgungsatlas an den gestiegenen Bedarf sei nicht möglich, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, Axel Heise: "Änderungen an dem Versorgungsatlas können wir von Seiten der KVB aus dann vornehmen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss beispielsweise beschließen würde, die Verhältniszahlen zu ändern oder der Gesetzgeber generelle Änderungen in der Bedarfsplanung beschließt."

Gibt es keinen schnelleren Weg, um an einen Behandlungsplatz zu kommen?

In Bayern bietet die KVB eine telefonische Terminservicestelle, um Ratsuchenden zeitnah eine Sprechstunde zu vermitteln. Die KVB sichert zu: "Die Wartezeit zwischen Ihrem Anruf und Ihrem Termin beträgt maximal fünf Wochen, bei Terminen für eine Akutbehandlung sind es maximal zwei Wochen." KVB-Sprecher Heise verweist auch auf die Koordinationsstelle Psychotherapie der KVB, bei der Patientinnen und Patienten ebenfalls bei der Suche nach einem Therapieplatz geholfen wird.

Wie schätzen die Psychotherapeutinnen und -therapeuten die Lage ein?

Die Bayerische Psychotherapeutenkammer fordert dringend eine Corona-Soforthilfe für psychisch kranke Menschen, um das Psychotherapie-Angebot kurzfristig deutlich auszuweiten. Laut Kammer-Sprecherin Luisa Hiller sollten "auch Privatpraxen bis Ende des Jahres grundsätzlich Menschen mit psychischen Beschwerden und Erkrankungen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung versorgen können". Die Kassen müssten verpflichtet werden, die Kosten ohne bürokratische Hürden zu erstatten, sagen Bayerns Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Auf Dauer sei eine erneute Reform der Bedarfsplanung notwendig. Insbesondere außerhalb von Großstädten in ländlichen Regionen müssten erheblich mehr psychotherapeutische Praxen zugelassen werden, damit erkrankte Menschen tatsächlich innerhalb von vier Wochen eine Behandlung aufnehmen können.

 
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  • eboehrer@gmx.de
    Ich hatte das "Problem" mit einem Kind vor fast 20 Jahren. Es gab damals keine Ärzte, die freie Termine zum Helfen hatten, Wartezeiten von 9 - 12 Monaten. Es ist also nicht neu.
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  • Petsch06120702
    Das gleiche ist bei einer Verschreibung von Krankengymnastik. Habe schon über 20 Therapeuten angerufen, keine Termine vor November frei!
    CSU "Näher am Menschen". Absolut lachhaft!
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  • gowell70@yahoo.de
    Die Frage ist doch nicht, warum es zu wenige Psychotherapeutin en und Peuten gibt... Da sollte man eher Mal nachhaken, warum dermaßen viele Menschen nicht mehr klarkommen mit ihrem Leben.
    Aber das hat ganz bestimmt nichts mit den allgemeinen Lebensumständen in diesem Land zu tun.
    Auch hier: Alles Einzelfälle !
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  • stahl01@t-online.de
    Manches Kind - mancher Jugendlicher hat einen längeren Kita-Schlultag als arbeitende Erwachsene. Das hält auch nicht jedes Kind - Jugendliche/r problemlos auf Dauer durch.
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  • tommy33
    @GWM und Dezember

    wenn schon „Gendern“, dann wenigstens richtig. 😉😉😉
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  • gowell70@yahoo.de
    Warum?
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  • Meinungsvertreter
    Der Bedarf ist auch schon vor der Pandemie stark gestiegen. Laut DeStatis gab es 2019 ca. 18.000 Kinder und Jugendliche in psychologischer Behandlung. 24% mehr als 2015. Schade, dass der Artikel den Bedarf so einseitig beleuchtet und so wenig auf die vielfältigen Gründe eingeht. Speziell bei Kindern und Jugendlichen sind es nicht nur Depressionen, sondern vor allem Verhaltens- und Entwicklungsstörungen. Die Vermutung liegt nahe, dass im familiären und schulischen Umfeld bereits etwas gewaltig schief läuft. Was soll schon groß schiefgehen, wenn Eltern überlastet sind, während Schulen kaputt gespart werden? Vielleicht sollte man mal an die Ursachen ran und nicht nur an die Symptome.
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