Schienenpflege ist ein schweißtreibender Job, vor allem wenn wie in den vergangenen Tagen das Thermometer Temperaturen von über 30 Grad im Würzburger Talkessel anzeigt. Es ist Mittwochmorgen, kurz nach acht Uhr, als Helmut Dietz die zweimal drei Rutschensteine überprüft, mit denen der grün-orangefarbene Schienenpflegewagen 295 der Würzburger Straßenbahn die Gleise des gesamten Netzes polieren wird.
Mit einem Druck von 4,5 bar und mit Wasser werden die Schienen gereinigt, geschliffen – zur Sicherheit und zum Komfort der Fahrgäste. Zwei weitere wichtige Details erfährt der Beobachter der Abfahrtskontrolle: Das verwendete Wasser ist Regenwasser, das in der Zisterne des Betriebshofes Sanderau gesammelt und auch zur Wäsche von Straßenbahnen und Bussen verwendet wird. Und entgegen der in Würzburg weit verbreiteten Meinung werden die Rasengleis-Abschnitte nicht bewässert.
Eigenkonstruktion
Der Schienenpflegewagen ist eine Eigenkonstruktion der Würzburger Straßenbahn GmbH (WSB), die Ende der 1980er Jahre vor der Inbetriebnahme der Linie 5 zum Heuchelhof dringend wieder ein derartiges Fahrzeug brauchte. Nachdem der ursprünglich aus Koblenz stammende Zweiachs-Schleifwagen 301 defekt war, hatte man die Arbeiten an Fremdfirmen vergeben.
Bei den Straßenbahnbetrieben Bielefeld wurden von der WSB zwei alte Achtachser angekauft. Wagen 256 von 1963 wurde als Eigenkonstruktion in der WSB-Werkstatt in der Sanderau in ein sechsachsiges Schienenpflegefahrzeug umgebaut und am 31. Juli 1990 der Presse vorgestellt. Dem Wagen 259 wurde das Mittelteil entnommen und 1990 nach Innsbruck verkauft. Der Rest des zerlegten Zuges wurde verschrottet.
Der 18 Meter lange, 30 Tonnen schwere Sechsachser kann Wartungsarbeiten im gesamten Schienennetz ausführen, auch auf der Bergstrecke zum Heuchelhof, denn das Fahrzeug verfügt über die gleiche Bremsanlage, wie sie die eigens für diese Strecke konstruierten GT-E der WSB verwenden. Wie fährt sich der Schienenpflegewagen? Helmut Dietz vergleicht den Widerstand, auf den die Rutschensteine auf den Schienen treffen, "mit einer Autofahrt mit angezogener Handbremse".
Riffelbildung bekämpfen
Nicht geschliffen wird im Betriebshof, auf Wendeschleifen, Weichen und Gleisdreiecken. Vordringliche Aufgabe ist es, die Riffelbildung auf den Schienen bereits im Ansatz zu bekämpfen. Riffel sind hauptverantwortlich für stärkere Beanspruchung von Schiene und Radreifen und verursachen vor allem laute Geräusche. Die von der WSB angewandte Methode ist weitaus schonender als eine mögliche, aber viel teuerere Schleifbehandlung von Hand und verlängert die Lebensdauer der Schienen – in der Regel geht man von 30 Jahren aus - beträchtlich.
Auf der besonders steilen und stark der Sonne ausgesetzten Heuchelhof-Strecke hat die WSB in diesem Sommer die Schienen weiß angestrichen, denn die Farbe soll die Temperatur der Schienen um bis zu acht Grad reduzieren und die durch die Längenausdehnung bei Hitze entstehenden Verwindungen der Stahlschienen vermindern.
Servicezug kann ausweichen
Die Schienenpflegearbeiten können bei einer Geschwindigkeit von bis zu 40 km/h erledigt werden, der grün-orange Servicezug schwimmt zwischen den planmäßigen Straßenbahnen mit, wobei Straba 295 am Hauptbahnhof oder am Dallenbergbad auf Seitengleise ausweichen kann. Durch den Einsatz am Tag im laufenden Verkehr wird Nachtarbeit obsolet und Lärmbelästigungen während der Nacht vermieden.
Gut siebeneinhalb Stunden später: Helmut Dietz und der Schienenpflegewagen 295 sind bereits zum Einrücken im Betriebshof Sanderau. Rund 45 Grad herrschen inzwischen im Cockpit des Sechsachers. Knapp 100 Kilometer haben Fahrzeug und Fahrer zurückgelegt: Dreimal Grombühl, dreimal Heuchelhof-Rottenbauer, zweimal Zellerau. Im Betriebshof lässt Helmut Dietz rund drei Kubikmeter Regenwasser in vier Wassertanks laufen und beendet seine Schienenpflegeschicht.
Die Temperatur in der Servicestraßenbahn ohne Klimaanlage kommentiert er nicht: In der Bäckerei seiner Eltern, so der gebürtige Grombühler, gab es ähnliche Temperaturen. Aber er freut sich auf einen der nächsten Dienste mit Straba 295, für ihn eine spannende Abwechslung zum Dienst am Steuer eines Busses oder dem Fahrthebel einer "normalen" Straßenbahn.