Wenn man heute die modernen drei- bis fünfgliedrigen Straßenbahnen verhältnismäßig leise durch die Stadt fahren sieht, macht man sich keine Vorstellung, wie der ÖPNV vor 75 Jahren in den Kriegsjahren 1943 -1945 in Würzburg ausgesehen hat. Günter Severin ist einer der Zeitzeugen und berichtet über seine Erinnerungen an seine Jugendzeit, in der er nicht nur die Automodelle dieser Zeit kannte, sondern auch den Straßenbahn- und Omnibusverkehr interessiert beobachtete.
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In den Kriegsjahren gab es drei Straßenbahnlinien, macht Severin klar. Die Linie 1 verlief ab der Arndtstraße in der Sanderau über den Hauptbahnhof bis nach Grombühl. Die Linie 2 startete an der Juliuspromenade und endete am Bürgerbräu-Gelände in der Zellerau. Und die Linie 3 fuhr vom Hauptbahnhof über die Löwenbrücke bis nach Heidingsfeld zum Wendelweg.
24 Triebwagen aus den Jahren 1925 bis 30
Der Straßenbahnfuhrpark bestand aus 24 Trieb- und zehn Beiwagen aus den Jahren 1925 bis 1930. Die Wagen der Linien 1 und 2 fuhren damals ohne Anhänger mit Fahrer und Schaffnerinnen. "In den letzten Kriegsjahren gab es nur weibliche Schaffner", klärt Severin auf. Die Linie 3 fuhr mit Anhänger, aber nicht regelmäßig.
Als Günter Severin 1942, im Alter von sieben Jahren, in die Schule am Wittelsbacher Platz kam, war das Verkehrsgeschehen arm an Autos, da private Pkw-Fahrten untersagt waren und die meisten Autos ohne ihre konfiszierten Räder in Garagen und Grundstücken standen. "Aber die Busse der Frauenlandlinie fuhren am Wittelsbacher Platz vorbei und interessierten mich sehr", erinnert sich Severin. Die Buslinien hatten ihre innerstädtische Endhaltestelle am Kiliansplatz zwischen Dom und Neumünster und fuhren von dort aus direkt in die Hofstraße. Die heutige Passage war bis Kriegsende noch eine offene Straßenverbindung.
In Würzburg gab es zu dieser Zeit drei Buslinien. Die Linie Frauenland, befahren von einem Omnibus mit Personenanhänger, fuhr vom Kiliansplatz bis zur Keesburgstraße. Die Linie Möncherg, befahren mit einem Bus ohne Anhängerkupplung, hatte ihre Endhaltestelle an der Faulenbergkaserne. Dann gab es noch eine Verstärkungslinie ins Frauenland über Letzter Hieb, diese fuhr allerdings nicht immer. Auf jeder Linie fuhr nur ein Bus.
Busse wurden mit Leuchtgas angetrieben
Im Würzburger Stadtverkehr waren nur noch wenige Busse des Fabrikats Magirus im Einsatz. "Sie wurden mit Leuchtgas angetrieben, die Gastanks waren auf den Dächern der Busse und des Anhängers angebracht und mussten nach jeder Fahrt an der Endhaltestelle am Kiliansplatz aufgetankt werden", erzählt Severin. Der Bus und Aufbau auf dem Anhänger waren mit einem dicken, leicht durchhängenden, Gasschlauch verbunden. Die Fahrer mussten in den meist überfüllten Bussen Schwerstarbeit verrichten, denn "die Fahrzeuge hatten ein weitausholendes, unsynchronisiertes 5-Gang-Handschaltgetriebe." Das bedeutete viel Handarbeit mit Zwischengas beim Schalten, gleichzeitig waren die Fahrer auch Schaffner und Tankwart.
Bei Luftalarm während des Zweiten Weltkriegs wurden die Fahrzeuge sofort abgestellt und die Bevölkerung war angehalten, die Luftschutzkeller aufsuchen. "Mit der Bombennacht am 16. März 1945 wurde alles anders", weiß Severin. "Gerade zwei Wochen danach, am 1. April, stand die US-Army vor Würzburg."
Wiederaufbau nach Kriegsende
Die Omnibusse befanden sich bei Kriegsende überwiegend im Bereich des Steinbachtals, möglichst unter den größten Bäumen abgestellt. Die Innenstadt war fast völlig zerstört, eine Wiederinbetriebnahme des Straßenbahn- und Omnibusverkehrs war dort auf Sicht nicht denkbar. Doch schon im Sommer 1945 setzte der Bus- und Straßenbahnverkehr, wenn auch nur behelfsmäßig, wieder ein.
Die Linienführung der Buslinien erfuhr wesentliche Änderungen. So gab es zwei neue Endstationen: Hauptbahnhof und Sanderring/Ottostraße. Die Busse fuhren schwerpunktmäßig in die umliegenden Orte, da die Würzburger Bürger größtenteils dorthin evakuiert waren. "Nach und nach tauchten wieder mehr Busse auf." Sie wurden ganz überwiegend mit Gas betrieben, hierfür wurden einachsige Anhänger mit einem Gasbehälter beschafft und neue Gastankstellen errichtet. Der Busbetrieb mit Gas endete bereits im Jahr 1950 wieder, "da die Fahrzeuge wieder auf Diesel umgestellt wurden."
Zwei Triebwagen vollkommen zerstört
Die meisten Straßenbahnwagen überstanden die Kriegsereignisse mit mehr oder weniger starken Beschädigungen und wurden vom Werkstattpersonal der WSB unter schwierigen Bedingungen instandgesetzt. Nur zwei Triebwagen waren so zerstört, dass sie neu aufgebaut werden mussten.
Die Wiederaufnahme des Straßenbahnbetriebs begann auf den Außenästen. Zunächst wurden die Schienen in den Stadtteilen Heidingsfeld, Grombühl, Zellerau und Sanderau wieder geräumt und befahrbar gemacht. Die Gleise der schon lange stillgelegten Strecke vom Bürgerbräu zum Kloster Oberzell wurden wieder ausgegraben und die Strecke reaktiviert - es wurden alle Möglichkeiten genutzt, um evakuierte Würzburger und Arbeitskräfte aus Nachbarorten in die Stadt zu bringen.
Streckennetz erst 1949 wieder komplett
Für die Wagen in den vom Betriebshof abgeschnittenen Streckenästen richtete man Wartungsgruben ein. Vorerst nicht benötigte Wagen wurden nach Stuttgart verliehen. Im Jahr 1947 konnte Günter Severin selbst beobachten, wie der zurückgekehrte Straßenbahnwagen 7 vom Rangierbahnhof Aumühle aus mit Hilfe eines Traktors auf eigenen Rädern über das Kopfsteinpflaster zum Gleis bei der Auffahrt der Grombühlbrücke verbracht und dort eingegleist wurde. "Nach der Schutträumung in den wichtigsten Straßen der Innenstadt wurden die Oberleitungen der Straßenbahn überwiegend an einfachen Holzmasten befestigt", erinnert er sich. Die Linie 1 konnte so im Laufe des Jahres 1947 als erste Linie wieder durchgehend verkehren, die Linie 3 konnte danach rechtsmainisch vom Hauptbahnhof bis zur Ludwigsbrücke fahren, da sich dort eine Weiche zum Gleiswechsel befand.
Für die Komplettierung des Netzes fehlten jedoch noch die Mainbrücken. Im Herbst 1948 konnte nach Fertigstellung der Luitpoldbrücke auch die Linie 2 wieder durchgehend fahren. Es sollte aber noch bis ins Jahr 1949 dauern, bis das Streckennetz mit der Fertigstellung der Ludwigsbrücke wieder komplett zusammenwachsen konnte.
Ein Hinweis dieser Redaktion: Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Vortrags von Günter Severin bei der Interessengemeinschaft Würzburger Straßenbahn e.V. Dieser fand bereits vor dem Verbot von Veranstaltungen wegen des Coronavirus statt.