
Tauschen möchte man in diesen Tagen nicht mit deutschen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern. Am Donnerstagabend bis kurz vor Mitternacht und Freitag früh am Morgen schon wieder ist Christian Lindner live im Fernsehen in Berlin zu sehen. Um kurz nach elf Uhr an diesem Freitagvormittag steht der FDP-Chef dann am Rednerpult in Würzburg. Es ist, sagt er, seine 71. Veranstaltung in diesem Wahlkampf.
Lindner spricht vor 250 Zuhörerinnen und Zuhörern im Würzburger Vogel Convention Center (VCC). Keine 48 Stunden vor dem Öffnen der Wahllokale holt er seinen Auftritt bei der FDP Würzburg nach, der Ende Januar wegen der Bundestagsdebatte zur Migrationspolitik ausgefallen war. Dass die FDP an diesem Tag mehrheitlich mit Union und AfD gestimmt hat, nehmen ihm die zwei Dutzend Demonstranten übel, die sich unweit des VCC zum Protest auf der Straße versammelt haben.

Auf ein Transparent haben die Vertreterinnen und Vertreter von "Fridays for Future" eine Brandmauer gemalt. Neben dem "Tolerieren des Faschismus" werfen sie der FDP vor, sie arbeite aktiv an der "Zerstörung unseres Planeten". Im Saal sagt Lindner, ihn freue der Protest. Zeige er doch, dass auch in Würzburg bekannt sei, dass die FDP klare Positionen vertrete, "dass wir Verantwortung übernehmen, ohne uns zu verbiegen".
Adieu Bundestag? Lobende Worte für Karsten Klein und Andrew Ullmann
Zum Auftakt seiner Rede lobt der Liberalen-Chef Karsten Klein und vor allem Andrew Ullmann, die beiden unterfränkischen FDP-Bundestagsabgeordneten. Der Würzburger Infektiologe Ullmann sei eine "beeindruckende Persönlichkeit als Mediziner und Hochschullehrer". Dass die Karriere des Gesundheitsexperten als Bundestagsabgeordneter am Sonntag zu Ende gehen wird, sagt Lindner nicht.
Die bayerischen Liberalen hatten den Würzburger Gesundheitspolitiker auf den aussichtslosen Listenplatz 18 geschoben. Der würde nie und nimmer reichen, selbst wenn es die FDP in Berlin wieder ins Parlament schafft.
Der Kampf um die Fünf-Prozent-Hürde ist es, der das liberale Publikum umtreibt. Doch bis der Finanzminister der gescheiterten Ampelkoalition seine Überlegungen zu diesem Thema preisgibt, gibt es eine Stunde lang FDP-Parteiprogramm pur. Der 46-Jährige wettert gegen einen "überdehnten Staat", der sich am liebsten um alle Lebensbereiche vom Heizungskeller bis zum Kühlschrank kümmern wolle, er beklagt starre Arbeitszeit-Regelungen und rüffelt die Bürokratie, unter der vor allem der Mittelstand leide.
Die Wirtschaft werde nur dann wieder anspringen, wenn die Politik überflüssige Regelungen wie das "Lieferkettensorgfaltsgesetz" oder die Bonpflicht im Bäckerhandwerk aufgebe, sagt Lindner. Statt eines Verbrennerverbots brauche es auch beim Klimaschutz "Technologieoffenheit", statt Subventionen Steuererleichterungen. Dabei gelte es, den Wert von Arbeit wieder mehr herauszustellen: "Ohne Leistungsbereitschaft gibt es keinen Wohlstand."

Der FDP-Vorsitzende bekennt sich zur Unterstützung der Ukraine und der Aufrüstung der Bundeswehr, er fordert eine restriktive Asylpolitik. Wenn Behörden nicht richtig miteinander kommunizierten und Abschiebungen nicht durchgesetzt werden, sei das eine "Art von Staatsversagen". Ein Staat, der sein eigenes Recht nicht durchsetze, verliere die Achtung seiner Bürgerinnen und Bürger. Immer wieder wird die Rede des früheren Finanzministers von Beifall unterbrochen.
Für welche Koalition reicht's? Christian Lindner übt sich in Wahl-Mathematik
Schließlich widmet sich der FDP-Chef ausführlich der Wahl-Mathematik. Dass CDU-Chef Friedrich Merz Bundeskanzler werde, sei klar. Es gehe am Sonntag also allein darum, welche Koalition der neue Kanzler bilden könne. Nachdem Unionskandidat Merz Schwarz-Grün nicht generell ausschließe, brauche es die FDP, um die Grünen in der Regierung zu verhindern.
Schaffen die Liberalen fünf Prozent, habe Schwarz-Grün ganz sicher keine Mehrheit, rechnet Lindner vor. Und Schwarz-Rot vermutlich auch nicht. Unter diesen Umständen sei die sogenannte Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP die "beste Option für unser Land", glaubt der Chef-Liberale. Ein Jamaika-Bündnis, mit Schwarz, Gelb und Grün, schließt er aus.
Angesichts dieser Aussichten, so appelliert Lindner an die potenziellen Wählerinnen und Wähler im Saal, sei es "vollkommen unsinnig, CDU oder CSU zu wählen". Eine Stimme für die CSU steigere den Anteil der Partei in Bayern nur "von 42,2875 auf 42,2876 Prozent". Eine Stimme für die FDP könne jedoch "die Republik verändern" - nämlich dann, wenn sie die entscheidende ist, "um die FDP von 4,9999 auf 5,0 Prozent zu heben".
Eine Perspektive, die "ihnen keine andere Partei bietet", sagt Christian Lindner - und muss selbst ein wenig lachen.
Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.