In Jubelstimmung fällt keine und keiner der unterfränkischen Landrätinnen und Landräte beim Blick auf die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens zur Flüchtlingspolitik. Dennoch fallen die Urteile über die Beschlüsse differenziert aus.
1. Jens Marco Scherf (Grüne) aus Miltenberg: "Mehr Steuerung und Ordnung an den EU-Außengrenzen"
"Ich bin Realist", so kommentiert der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels in Berlin. Die Beschlüsse seien noch kein Durchbruch für Veränderungen in der Asylpolitik, sie zeigten aber "in die richtige Richtung". Insofern sei er zufrieden, sagt der Grünen-Politiker, der in den vergangenen Monaten mit offenen Briefen und Talkshow-Auftritten den politischen Druck auf die Bundesregierung und seine grünen Parteifreunde merklich erhöht hatte.
Als positiv vermerkt Scherf die Bereitschaft des Bundes, den Ländern eine Milliarde Euro zusätzlich für die Versorgung von Geflüchteten zu überweisen. "Da hat sich etwas bewegt: Schließlich wollten Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner zunächst keinen einzigen Cent geben". Die Zusage, an einer Finanzierungsregelung zu arbeiten, die die konkrete Zahl an Geflüchteten, die eine Kommune betreut, berücksichtigt, begrüßt der Landrat. "Es müssen aber jetzt auch Taten folgen."
Gleiches gelte für das Bemühen, Geflüchtete, die keine Bleibeperspektive haben, schon an der EU-Außengrenze zurückzuweisen. Er sehe auch bei seinen grünen Parteifreunden mittlerweile den politischen Willen, für "mehr Struktur, Ordnung und Steuerung" zu sorgen. Wichtig sei es, Kooperationsabkommen mit den Staaten abzuschließen, aus denen viele Geflüchtete ohne Asylanspruch stammen, damit sie diese zurücknehmen. Gleichzeitig müsse man den Menschen in diesen Ländern Wege in den deutschen Arbeitsmarkt eröffnen.
Letztlich gelte es, so Scherf, die Verfahren derjenigen, die bereits vor Ort sind, zu verkürzen und die Integration allen voran in den Arbeitsmarkt zu beschleunigen. Deutschland sei längst eine "Migrationsgesellschaft", funktioniere aber nicht als solche. Bis heute stünden im Kreis Miltenberg nur die Hälfte der Geflüchteten, die 2015/16 gekommen sind, "auf eigenen Füßen". Um weiter voranzukommen, dürften den Kreisen nicht ständig immer mehr Neuankömmlinge zugeteilt werden.
2. Thomas Habermann (CSU) aus Rhön-Grabfeld: "Die ganze Infrastruktur muss verbessert werden"
Der Landrat von Rhön-Grabfeld, Thomas Habermann, ist von den Ergebnissen des Gipfels schwer enttäuscht. Zum einen sei es nach wie vor "bedauerlich, dass diejenigen, die die Situation vor Ort bewältigen müssen, nicht beteiligt waren", so der CSU-Politiker mit Blick auf die Verantwortlichen in den Kommunen. Zum anderen sei zwar eine Milliarde Euro versprochen worden, doch "Geld löst die Probleme nicht".
Vielmehr sei es notwendig, bessere Möglichkeiten der Integration in Kitas und Schulen zu schaffen, sagt Habermann. "Die ganze Infrastruktur, in der Flüchtlinge unterwegs sind, muss verbessert werden." Doch das sei genauso wenig thematisiert worden, wie die "wesentlichen Probleme des Zuzugs". Konkret meint Habermann Fragen nach einer Begrenzung und Steuerung der Flüchtlingszahlen sowie den Plan, Geflüchtete schon an der Grenze ein Asylverfahren durchlaufen zu lassen.
Die Bundesrepublik fahre hier in Europa einen eigenen Kurs, findet Habermann: "So lange Deutschland die höchsten Sozialstandards hat, keine Asylverfahren an der Grenze durchführt und selbst Menschen ohne klare Identität aufnimmt, ist der Zuzug unbegrenzt."
3. Tamara Bischof (Freie Wähler) aus Kitzingen: "Viele Fragen sind nicht beantwortet worden"
Für die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof sind die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels "nur ein erster Schritt". Es sei dringend nötig, "auf Dauer eine Lösung" zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung zu finden und zu klären, wie es langfristig "mit dem Flüchtlingszustrom weitergehen" solle. "Diese Fragen sind nicht beantwortet worden", kritisiert die Freie-Wähler Politikerin.
Den Gipfel halte sie deshalb höchstens für einen ersten Aufschlag, "aber der zweite, viel wichtigere Aufschlag muss kommen". Dabei muss der Bund aus Bischofs Sicht die Kommunen mit einbeziehen. "Wir machen die tägliche Arbeit", sagt die Landrätin. Keine Krise der vergangenen Jahre hätte ohne die Kommunen und "insbesondere die Landkreise" gemeistert werden können.
4. Sabine Sitter (CSU) aus Main-Spessart: "Kommunen müssen mit am Tisch sitzen"
Sie habe "in diese Zusammenkunft nicht viel Hoffnung gesetzt", sagt Sabine Sitter, CSU-Landrätin in Main-Spessart. Es sei absehbar, dass weitere Geflüchtete in der Region ankommen würden. Natürlich brauche es deshalb Gelder vom Bund, so Sitter, "wir werden weitere Flüchtlingsunterkünfte bauen müssen". Darüber hinaus fordert sie beim Thema Integration mehr Unterstützung, mehr Flexibilität in der Gesetzgebung und vor allem mehr Personal. Das werde ihr aus den Unterkünften rückgespiegelt.
Wichtig sei deshalb, dass künftig die Kommunen mit am Tisch sitzen. "Wir haben die Erfahrungswerte", sagt Sitter. "Unsere Mitarbeiter haben den Geflüchteten, den Mensch in seiner Not, vor sich sitzen und wollen ihm eine gute Lösung anbieten", so die CSU-Landrätin. "Da spüre ich, die fühlen sich alleingelassen" und das müsse den Verantwortlichen auf Bundesebene vermittelt werden.
Aktuell kommen weniger Flüchtlinge nach Unterfranken als noch zu Jahresbeginn
Derweil sinkt die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge in Unterfranken aktuell ein wenig. Mussten die kreisfreien Städte und Landkreise im Januar 2023 noch 1166 Geflüchtete neu unterbringen, waren es im April nur noch 414. Im vergangenen Jahr kamen 15.105 Menschen neu in die Anschlussunterbringung.
Insgesamt lebten in Unterfranken Ende April 9832 Asylsuchende, das sind laut der Statistik der Bezirksregierung 604 weniger als zum Jahresanfang 2023, aber 3621 mehr als zum Jahresbeginn 2022. Die höchste Zahl weist die Statistik für den 1. Januar 2017 aus: Damals waren zwischen Main, Spessart, Rhön und Steigerwald 11.224 Asylbewerberinnen und -bewerber zu versorgen.