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Würzburg
Vom verfemten Opfer zur feministischen Ikone: Der Würzburger Kulturspeicher zeigt den Wandel der Hexe in der Kunst
Die Ausstellung "Hexen! Über Körper, Wissen und Macht" beleuchtet mit prominenten Exponaten die Transformation der Hexe vom Schreckensbild zur Leitfigur.
Beunruhigend vital: Die Skulptur 'Hexe bei der Toilette für die Walpurgnisnacht' aus dem Jahr 1895 der Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries. In Würzburg ist ein Gipsabguss des Originals zu sehen, das in Wien im Museum steht.
Foto: Silvia Gralla | Beunruhigend vital: Die Skulptur "Hexe bei der Toilette für die Walpurgnisnacht" aus dem Jahr 1895 der Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.10.2023 03:37 Uhr
  • Was ist das für eine Ausstellung? Das Museum im Kulturspeicher zeigt, wie Hexen seit dem 15. Jahrhundert in der Kunst dargestellt werden. Und damit, wie sich das (Selbst-)Bild der Frau über die Jahrhunderte radikal gewandelt hat. Titel: mit "Hexen! Über Körper, Wissen und Macht"
  • Was ist zu sehen? Gemälde, Grafik, Skulpturen, Installationen und Videokunst aus sechs Jahrhunderten mit Arbeiten von Dürer, Hans Baldung Grien, Goya, Spitzweg, Slevogt, Cindy Sherman, Ana Mendieta, Teresa Feodorowna Ries, Rachel Rose, Angelika Summa, Hans Thoma, Jan van de Velde, herman de vries, Mary Wigman und vielen anderen.
  • An wen richtet sich die Ausstellung? Die Ausstellung ist ein hochinteressanter Parforceritt durch Jahrhunderte gesellschaftlicher und künstlerischer Entwicklungen. Vor allem aber durch die Geschichte des Feminismus unter einem sehr speziellen Blickwinkel.

Altes Weib mit warziger Nase wie in "Hänsel und Gretel" oder smarte Nachwuchszauberin wie Hermine in "Harry Potter" - es scheint, als sei die Figur der Hexe nahezu unbegrenzt und nahezu willkürlich interpretierbar. Ein Trugschluss: Über die Jahrhunderte lässt sich ein roter Faden ausmachen - wenn man ihn so gewissenhaft verfolgt wie das Würzburger Museum im Kulturspeicher in seiner neuen Ausstellung. Dieser Faden wechselt zwar mehrfach radikal die Richtung, seine Windungen gehen aber schlüssig eine aus der anderen hervor.

Die Kuratorinnen Henrike Holsing und Luisa Heese, also die jetzige Interimsdirektorin und die ehemalige Chefin des Museums, die inzwischen Kuratorin an der Kunsthalle Mannheim ist, gehen in "Hexen! Über Körper, Wissen und Macht" der Frage nach, wie sich das Bild der Hexe in der Kunst seit dem 15. Jahrhundert gewandelt hat. Und damit das Bild der Frau. Oder besser: Die Darstellung der Hexe sagt immer auch etwas aus über das vorherrschende Frauenbild einer Epoche.

Kuratorin Henrike Holsing, hier vor einem Bild von Hans Baldung Grien, hat untersucht, wie sich gesellschaftliche Entwicklungen in Hexendarstellungen niederschlagen.
Foto: Silvia Gralla | Kuratorin Henrike Holsing, hier vor einem Bild von Hans Baldung Grien, hat untersucht, wie sich gesellschaftliche Entwicklungen in Hexendarstellungen niederschlagen.

Holsing und Heese beschränken sich dabei bewusst auf das Bezugssystem Kunst. Sie leiten gesellschaftliche Aussagen aus der Kunst her und nicht umgekehrt. Und: Sie sparen das große Feld von Esoterik und Magie aus.

Das Konzept Hexe war jahrhundertelang ein männlicher Unterdrückungsmechanismus

Es geht ihnen, wenn man so will, um die reale Figur der Hexe - von den bedauernswerten Opfern der Hexenverfolgung auch und gerade in Würzburg im 17. Jahrhundert bis zur Aneignung und Umdeutung der Figur durch den Feminismus im 20. Jahrhundert. Von pseudowissenschaftlichen Rechtfertigungen der Hexenverfolgung durch Machwerke wie den "Hexenhammer" ab dem 15. Jahrhundert bis zu den hintergründigen Zaubersprüchen der jungen südafrikanischen Künstlerin Linda Stupart. Etwa dem hier: "Ein Zauber, der die Teilnehmer von ausschließlich männlich besetzten Konferenzen zum Schweigen bringt." 

Fotos von Bev Grant: New Yorker Aktivistinnen haben ab dem Ende der 1960er Jahre die Hexe zur antikapitalistischen Leitfigur umgedeutet.
Foto: Silvia Gralla | Fotos von Bev Grant: New Yorker Aktivistinnen haben ab dem Ende der 1960er Jahre die Hexe zur antikapitalistischen Leitfigur umgedeutet.

Der Weg vom Opfer zur Ikone hat viele Zwischenstationen

Das Konzept Hexe ist so lange ein Unterdrückungs- beziehungsweise In-Schach-Haltungsmechanismus des Mannes für allzu selbstbewusste, unabhängige, intelligente und vor allem sinnliche Frauen, bis ebendiese Frauen ebendiese Eigenschaften nicht mehr vom Mann definieren und bewerten lassen. Der Weg dahin hat viele Zwischenstationen.

Etwa die voyeuristischen und verharmlosenden Darstellungen weiblicher Folteropfer mit dem männlichen Blick des 19. Jahrhunderts. Oder die echte Anteilnahme in den ab 1910 entstandenen Zeichnungen von Clara Siewert. Die ironische "Flugstunde" einer alten für eine junge Hexe von Francisco de Goya oder die ausgelassene Besen-Gang im "Hexenritt" von Carl Spitzweg.

Zu Presseführung und Ausstellungseröffnung ist Ex-Kulturspeicher-Chefin Luisa Heese (Mitte) aus Mannheim angereist.
Foto: Silvia Gralla | Zu Presseführung und Ausstellungseröffnung ist Ex-Kulturspeicher-Chefin Luisa Heese (Mitte) aus Mannheim angereist.

Die beunruhigend vitale Skulptur "Hexe bei der Toilette für die Walpurgnisnacht" aus dem Jahr 1895 der phänomenalen, von den Nazis verdrängten und erst spät wiederentdeckten Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries (1874-1956). Oder die stille, anrührende Arbeit von herman de vries aus dem Jahr 2006: Eine Ausreibung mit Asche aus dem Höchberger Hexenbruch, dem Ort also, an dem viele Frauen als vorgebliche Hexen den Tod fanden.

"Hexen! Über Körper, Wissen und Macht", bis 14. Januar 2024. Museum im Kulturspeicher, Würzburg: geöffnet Di. 13-18 Uhr, Mi., Fr.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Es erscheint ein Katalog, das Begleitprogramm steht unter www.kulturspeicher.de

 
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