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Bad Windsheim/Allersheim
Vom Schandfleck mit Geschichte zum Museumstück: Die Synagoge aus Allersheim steht nun an einem "Ort mit Weltspitze"
Weil sie unspektakulär ist, ist Museumsleiter May von der Landsynagoge begeistert. Warum die historische Bausubstanz im Freilandmuseum Bad Windsheim erhalten wird.
Die Allersheimer Landsynagoge wurde restauriert und im Freilandmuseum Bad Windsheim wieder aufgebaut. 
Foto: Thomas Fritz | Die Allersheimer Landsynagoge wurde restauriert und im Freilandmuseum Bad Windsheim wieder aufgebaut. 
Thomas Fritz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:45 Uhr

Für die Allersheimer war es nur noch altes Gerutsch. Ein Schandfleck in ihrem Ort. An einem Gebäude in der Hauptstraße brachen Decken durch, Außenwände hatten Löcher, das Dach war längst undicht - das Haus war kurz vor dem Zerfall, ein Totalruin.

Der Giebelstadter Gemeinderat hatte es schon zum Abbruch freigegeben, da fiel ein Vermerk in der Denkmalschutzliste auf: Unter dem Aktenzeichen D-6-79-138-66 wird der zweigeschossige Satteldachbau mit Fachwerkobergeschoss um 1800 als Ehemalige Synagoge aufgeführt

Von einer Synagoge im Ort wussten die Allersheimer nichts

Die Überraschung war groß, der Abbruch erst einmal gestoppt. "Das soll eine Synagoge sein? Nie und nimmer", ging die Aufregung durch den kleinen Giebelstadter Ortsteil mit seinen gut 300 Einwohnern. Keiner hatte das Haus in der Hauptstraße als Synagoge in Erinnerung. Für die Allersheimer war es schlichtweg ein Bauernhaus - nicht mehr, nicht weniger. 

Der Abbruch des baufälligen Hauses war schon vom Gemeinderat genehmigt, dann schritt der Denkmalschutz ein, um die Allersheimer Synagoge zu erhalten. Das Bild entstand im November 2011.
Foto: Archivfoto Thomas Fritz | Der Abbruch des baufälligen Hauses war schon vom Gemeinderat genehmigt, dann schritt der Denkmalschutz ein, um die Allersheimer Synagoge zu erhalten. Das Bild entstand im November 2011.

Aber genau das Profane ist es, was Herbert May an der Allersheimer Synagoge ein paar Jahre später begeistert. Für den Museumsleiter des Fränkischen Freilandmuseums in Bad Windsheim ist das unscheinbare Gebäude ein typisches Zeugnis für das Landjudentum in Mainfranken. Er will die Synagoge für sein Museum. Sie vor Ort zu erhalten, wieder zu nutzen, was Denkmalschützer eigentlich immer bevorzugen, war nicht möglich - und in Allersheim nicht gewollt.

"Franken, Bayern und Deutschland sind seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden auch die Heimat von Juden."
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Die Lösung in solchen Fällen ist, das Gebäude zu translozieren. Im November 2014, kurz vor dem nächsten schweren Winter, den die denkmalgeschützte Synagoge aus dem Jahr 1741 wahrscheinlich nicht mehr überstanden hätte, nahmen Kräne die massiven Bruchsteinwände an den Haken. Stein für Stein bauten Mitarbeiter des Museums sie sorgfältig ab, um sie nach Bad Windsheim zu bringen. Dort, sorgfältig geschützt, lagerte alles sechs Jahre, bis Restaurator Dieter Gottschalk im Jahr 2020 das jüdische Gebetshaus nach und nach renovierte und wieder aufbaute. 

Am Sonntag nun war die Eröffnung. Aus Allersheim sind Musikanten und mancher Skeptiker von einst mit dem Bus angereist. Das alte Gerutsch ist für sie nicht mehr wiederzuerkennen. Es besticht jetzt durch ein wunderbares Fachwerk an der Außenfassade. Das Haus bleibt aber weiterhin ein sehr schlichtes Gebäude, eine Synagoge stellen sich viele anders vor. Prächtiger. "Es wird vermutlich etwas mit den geringen finanziellen Möglichkeiten der jüdischen Gemeinde Allersheim zu tun gehabt haben, es war ganz offenkundig eine arme Landgemeinde", erklärt Museumsleiter May ihr unscheinbares Erscheinungsbild.

Im Betsaal der Allersheimer Landsynagoge geht der Blick der Ehrengäste zur Decke: Bürgermeister Helmut Krämer, Zentralrats-Präsident Josef Schuster, Museumsleiter Herbert May, Bezirkstagspräsident Armin Kroder und Landrat Thomas Eberth bestaunen das Tonnengewölbe, wo auch Bretter des Original Toraschreins verbaut sind. 
Foto: Thomas Fritz | Im Betsaal der Allersheimer Landsynagoge geht der Blick der Ehrengäste zur Decke: Bürgermeister Helmut Krämer, Zentralrats-Präsident Josef Schuster, Museumsleiter Herbert May, Bezirkstagspräsident Armin Kroder und ...

Im Inneren führt er die Ehrengäste nach dem Festakt, darunter Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zunächst nach oben. Über eine schmale Holztreppe geht es in den Gebetsraum, der mit einem Tonnengewölbe überspannt ist. Alles wirkt hell, neu und modern. Vielleicht zu modern, wie die Trennwand zur Frauenempore, die nachgebildet ist. Ob sie überhaupt hier an der Seite war, ist sowieso fraglich. Denn der Grundriss der Synagoge wurde, nachdem sie 1911 in nichtjüdischen Besitz überging, verändert. Und einen Hinweis auf die Frauenabteilung haben Bauforscherinnen nicht gefunden.  

Warum sich Giebelstadts Bürgermeister schämt und entschuldigt

In einem kleinen Raum neben dem Betsaal sind Biographien der Allersheimer Juden zu finden. Welche Funktion dieser Raum einst hatte, ist unklar. Im Erdgeschoss ist die Wohnung des Rabbis, im Keller die Mikwe, das Ritualbad. Nachfahren des letzten Rabbiners der Synagoge, Nathaniel Daniel Weisbart, sind unter den Gästen. Wie auch Giebelstadts Bürgermeister Helmut Krämer, der sich im Nachhinein "ein bisschen dafür schämt", dass der Gemeinderat vor 13 Jahren dem Abbruch zugestimmt hat. "Dafür bitte ich jetzt um Entschuldigung."   

Wohin hat es die Nachfahren der Allersheimer Juden verschlagen? Auf einer Weltkugel in der Synagoge ist dargestellt, wie sie sich auf dem Globus verteilten, nachdem die jüdische Gemeinde Anfang des 20. Jahrhunderts aufgelöst worden war.
Foto: Thomas Fritz | Wohin hat es die Nachfahren der Allersheimer Juden verschlagen? Auf einer Weltkugel in der Synagoge ist dargestellt, wie sie sich auf dem Globus verteilten, nachdem die jüdische Gemeinde Anfang des 20.

"Jetzt sind die Allersheimer stolz, dass ein Haus aus ihrem Ort im Fränkischen Freilandmuseum zu sehen ist", sagt Krämer und erinnert daran, dass dies nicht immer so war. Steuergeldverschwendung schimpften manche als sie hörten, das alte Gerutsch solle erhalten werden. 1,1 Millionen Euro hat der Wiederaufbau schließlich dem Bezirk Mittelfranken gekostet. An den Umzugskosten beteiligten sich auch die Gemeinde Giebelstadt und der Landkreis Würzburg.

"Der Bezirk Mittelfranken betreibt ein Museum, das absolute Weltspitze ist."
Josef Schuster, Zentralrats-Präsident

Für den Erhalt der Synagoge hat sich auch Zentralrats-Präsident Schuster eingesetzt. Auch, wenn er zunächst für einen Wiederaufbau im unterfränkischen Fladungen war, ist er nun froh, dass sie in einem Museum steht, "das absolute Weltspitze ist". Denn, in Bad Windsheim werde nicht nur Bausubstanz erhalten, sondern auch der historische Kontext erklärt und erforscht.

Mit dem Gebetshaus aus Allersheim sei die gemeinsame Geschichte von Juden und Franken nun "für alle erlebbar". Dann geht sein Blick zu den fränkischen Straßenmusikanten auf der Bühne. "Das war auch jüdische Volksmusik, die Sie gerade gespielt haben", dankt er ihnen und betont: "Juden in Franken sind nicht fremd."

 
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  • Kai Hofstetter
    Es ist gut so, wie es ist. Giebelstadt und Allersheim hätten das finanziell nicht stemmen können, und im Museum findet die Synagoge mit ihrem gesamten didaktischen Konzept wenigstens die Anzahl Besucher, die sie in Allersheim nie gefunden hätte. Das Thema "Landjudentum" ist ja in ganz Unterfranken (noch) präsent und sollte dringend stärker erforscht werden, bevor das Wissen darüber verloren geht.
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  • Fabian König
    Ich bezweifle, ob das wirklich stimmt. Giebelstadt ist eine finanzkräftige Gemeinde. Wie auch immer: Hauptsache, die Synagoge wurde überhaupt gerettet.
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  • Fabian König
    Ich bin froh und traurig zugleich. Froh, dass die Synagoge gerettet und in einem Freilandmuseum wieder aufgebaut werden konnte. Aber traurig darüber, dass sie den Allersheimern nicht genug wert war, sie in ihrem bauhistorischem Kontext - im Altort von Allersheim - zu erhalten. Aber so ist es leider in vielen Dörfern. Ohne dass sie es sich bewusst sind, berauben sie sich ihrer eigenen Geschichte und den Lebensleistungen ihrer Vorfahren. Hätte man die Synagoge (auch wenn sie sich nicht als eine solche herausgestellt hätte), an Ort und Stelle erhalten, wäre Allersheim heute um ein Schmuckstück reicher. So ist es um eines ärmer geworden.
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