
Vor rund 300 Jahren erfüllte sich ein reicher oder adeliger Würzburger einen Traum, rund einen halben Kilometer vor der mit schweren Bastionen bewehrten Stadt an der schnurgeraden Straße nach Randersacker. Schräg gegenüber erstreckte sich der lange nüchterne Renaissancebau des Ehehaltenhauses, in dem Arme und Soldaten zur Pflege untergebracht waren.
Bei dem Traum handelte sich um ein barockes Gartenhaus mit einer geschwungenen Freitreppe, auf die der mittlere Gartenweg hinführte. Ein zweiter Weg kreuzte ihn, so dass vier Felder entstanden, die ursprünglich mit Blumenmustern und -ornamenten verziert waren. 1830 standen Büsche und Bäume entlang der Wege.
Von diesem Garten ist nichts erhalten, das Geschäftshaus von Frankonia Jagd nimmt im Moment seinen Platz ein. Wenn man dessen Verkaufsräume durchquert, steht man vor einem hübschen Gartenpavillon oder Lusthäuschen in einem kleinen begrünten Hof. Dieses Gartenhaus soll nun nach dem Abriss des Geschäftshauses frei gestellt hinter einem neuen viergeschossigen Miethaus zugänglich werden. Warum lohnt es sich, sich gerade mit dem Gartenhaus auseinanderzusetzen?

Ein schönes Exemplar barocker Gartenkultur
Der Garten stieg früher leicht zu dem Gartenpavillon an, dessen elegante Treppenanlage sich zum Garten hin öffnete und ihm eine schöne Abrundung gab. Es war ein schönes Exemplar barocker Gartenkultur gewesen. Der 1945 ausgebrannte Pavillon erhielt 1954 eine Betondecke oberhalb des zweiten Geschosses, wurde 1974/75 vollständig renoviert und erhielt seine ursprüngliche Dachform. Der Pavillon, von dem Geschäftsgebäude der Frankonia umgeben, wurde mit seinen zwei Räumen in den Verkauf mit einbezogen.
Noch heute führen unter den Treppen zwei Türen in kleine Gewölberäume, wo sich ein zehn Meter tiefer Grundwasserbrunnen befindet. Der Mittelteil wird hervorgehoben durch den mehreckig vorspringenden Grundriss und die emporstrebenden Walmdächer. Über die eindrucksvolle Freitreppe gelangt man in den oberen Raum, der in der Regel zum privaten Aufenthalt diente. Hierhin zogen sich die Eigentümer zurück, wenn sie ihre Ruhe haben wollten, hierhin luden sie ihre Freunde und Nachbarinnen. Die Fassaden sind nur sparsam gegliedert durch die Rahmung der Fenster und das Traufgesims unterm Dach.

Joseph Greissing als Anti-Schönborn-Architekt
Versuchen wir dem Bauherrn und dem Architekten näherzukommen. Um und nach 1700 entstanden in Würzburg einige Gartenhäuser, die man zumeist auf Joseph Greissing zurückführt: der Gartenpavillon des Juliusspitals, das Talaveraschlösschen, der Gartenpavillon in der Spiegelstraße, der Gartenpavillon hinter dem Polizeipräsidium, und vor allem das Huttenschlösschen. Dieses ließ Domdechant Christoph Franz von Hutten um 1720 nach Plänen von Greissing errichten. Er war unter Johann Philipp von Greiffenclau zum Hofarchitekten avanciert, wurde aber unter Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn durch den jungen Balthasar Neumann abgelöst.
Greissing errichtete das verspielte Garten- und Lustschlösschen Huttens, des Oppositionsführers gegen Schönborn, am Sanderrasen nach österreichischen Vorbildern. Durch einen innovativen und formschönen Lustschlossbau konnte und wollte von Hutten das Ansehen seiner Familie, aber auch seine Bedeutung als Domdechant ausdrücken. Greissing bewies, dass er ein ganzes Gebäude mit den Fassaden und dem Dach in elegante Schwingungen versetzen konnte.

Das Lustschloss Huttens stand mit seiner Freitreppe am Ende eines 200 Meter langen Ziergartens, der auch den Städtern offen steht. Im Großen lag hier eine ähnliche Struktur wie im kleineren Garten an der Straße nach Randersacker vor. Auf Greissing geht auch die weich geschwungene Freitreppe vor der prunkenden Fassade des Neumünsters zurück. Stil und möglicher Architekt lassen an Greissing als Architekt der Anti-Schönborn-Partei denken.
Eine repräsentative Bürgervilla
Der Barockgarten mit dem Gartenhaus an der Randersackerer Straße fiel unter den umgebenden Parzellen und Gärten auf. Um 1850 gehörte das Anwesen dem Gärtner Michael Laufer, sein Nachfolger Andreas Kaiser ließ in den 1860er Jahren in das Gartenhaus einen neuen Kamin, eine Küche und ein Klosett einbauen. So konnte der kleine Barockbau auch bewohnt werden. Zehn Jahre später wurde in die hohe Gartenmauer ein ansehnliches Tor eingesetzt.
Ende der 1880er Jahre kaufte der britische Privatier Carl Martin Shaw den Garten und ließ eine historistische Villa erbauen. Das zweigeschossige Gebäude wies eine einfache Fassade auf, aber auch eine Schaufassade zur Straße und einen Turm. Insgesamt wirkt das Gebäude pittoresk und verspielt trotz seiner Repräsentativität. Nach dem Tod des Bauherrn lebte die Witwe in der Villa, ihre Kinder zogen in das großbürgerliche Berlin-Wilmersdorf um. Und die großbürgerliche Würzburger Villa, zu deren Grundstück das barocke Gartenhaus gehörte, mietete der berühmte Jurist und Uni-Professor Albrecht Mendelssohn Bartholdy (1874-1936).

Der jüdische Wissenschaftler – ein Demokrat, Pazifist und Künstler
Er war Enkel von Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy und ein Urenkel des aufklärerischen Philosophen Moses Mendelsohn. Nach Promotion und Habilitation dauerte es bis 1905, dass er in Leipzig eine außerordentliche Professur erhielt und seine Cousine Dorothea Wach heiratete. Noch im gleichen Jahr wechselte er nach Würzburg und blieb hier bis 1920. Er spezialisierte sich immer stärker auf internationales Recht, besonders von Großbritannien und Irland und vertiefte seine liberale und demokratische Einstellung.
Mendelssohn leitete pazifistische Initiativen prominenter Akademiker während des Ersten Weltkriegs an. Im vorletzten Kriegsjahr 1917 setzte sich der Juraprofessor für den Verständigungsfrieden ohne Eroberungen und Kontributionen. Er begleitete 1919 als Experte die deutsche Delegation zu den Friedensverhandlungen in Paris und sah, dass Deutschland kein Einfluss auf den Friedenschluss eingeräumt wurde. Wenn die Delegation Abhörversuche der französischen Polizei befürchtete, spielte er besonders laut Klavier.
Wie viele demokratische deutsche Politiker und Persönlichkeiten stand er diesem Frieden kritisch und ablehnend gegenüber. Bei der Edition deutscher Akten vor 1914 erkannte der Jurist, dass eine deutsche Kriegsschuld nicht zu widerlegen war. Eine tiefe Freundschaft verband ihn mit der Würzburgerin Magdalena Schoch, der ersten Frau, die in Jura habilitierte und seine Assistentin wurde. Der Jurist trat öffentlich als sehr versierter Pianist auf, komponierte Lieder und publizierte Gedichte. Er war Mitbegründer der Würzburger Volkskonzerte, Veranstalter des 1. Mainfränkischen Musikfestes 1914, der Würzburger Reger-Gedächtniskonzerte 1916/17 und Organisator der Reger-Festspiele in Jena.
Albrecht Mendelssohn-Bartholdy ist heute in Würzburg weitgehend vergessen
Von 1920 bis 1934 lehrte er in Hamburg internationales Völkerrecht, gründete 1922 das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Amerika-Institut. 1934 emigrierte Mendelssohn-Bartholdy nach Großbritannien, wandte sich gegen die Appeasement-Politik der britischen Regierung und hoffte auf einen Tyrannenmord an Hitler. Nach seinem Tod wurde 1936 seine Schrift "The War and the German Society" herausgegeben, die den Wandel der deutschen Gesellschaft während des Ersten Weltkrieges untersuchte.
Albrecht Mendelssohn-Bartholdy war ein großer Demokrat, Jurist und Wissenschaftler, der sich auch im Musikleben vielseitig engagierte. Es ist mehr als verwunderlich, dass dieses prominente Mitglied der wichtigen deutschjüdischen Familie in der Wissensstadt Würzburg nicht weitergehende Beachtung findet, an der Universität, in der jüdischen Geschichte und als engagierter Bürger. Nicht einmal eine Straße ist nach ihm benannt. Die Gartenvilla, die saniert werden soll, wäre ein guter Erinnerungsort.
Text: Hans Steidle
Hans Steidle ist Stadtheimatpfleger in Würzburg.