Wer Angehörige im Pflegeheim besuchen will, muss weiter eine FFP2-Maske tragen und sich vorher auf das Coronavirus testen lassen. Während die Maskenpflicht nun auch im Fernverkehr bald fällt, hält das Bundesgesundheitsministerium für Kliniken, Praxen und Seniorenheime daran fest. Zunächst bis 7. April, so lange läuft das aktuelle Infektionsschutzgesetz.
Gebetsmühlenartig wird mit dem Schutz besonders vulnerabler – also verletzlicher – Gruppen argumentiert. Aber kann das in dieser Endphase der Pandemie noch gelten? Oder ist der Schaden durch Masken- und Testpflicht mittlerweile größer als durch eine mögliche Infektion? Ein Bewohner aus dem Seniorenzentrum in Bergtheim (Lkr. Würzburg) und dessen Sohn haben sich jetzt mit einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht gewandt. Ziel: Weg mit Maske und Tests!
Ehepaar zog mitten in der Pandemie ins Seniorenheim
Unterstützt werden die beiden vom Träger des Heims, dem Kommunalunternehmen (KU) des Landkreises Würzburg. Rechtsanwalt Alexander Lang von der Kanzlei Steinbock & Partner hat die Verfassungsbeschwerde formuliert und eine einstweilige Anordnung beantragt: Die entsprechenden Teile des Infektionsschutzgesetzes sollten sofort außer Kraft gesetzt werden. Was steckt dahinter?
Es war mitten in der Pandemie, im Februar 2021, als der heute 82-jährige Ernst Rüger zusammen mit seiner Frau (81) aus gesundheitlichen Gründen die eigene Wohnung verlassen musste. Das Ehepaar hatte Glück und bekam ein Doppelzimmer im Seniorenzentrum Bergtheim. "Es ist jetzt ihr Zuhause", sagt Sohn Klaus Rüger, "sie haben kein anderes mehr." Und dass sie in diesem Zuhause keinen Besuch ohne Maske und Test empfangen dürfen – das wollen Vater und Sohn nicht mehr einsehen.
Maskenpflicht für Besucher sogar im Privatzimmer
Nach gültiger bundesweiter Rechtslage müssen Besucher sogar im Privatzimmer der Bewohner eine Maske tragen – für das Pflegepersonal gilt das sowieso. Eine Ausnahme sieht das Bundesgesetz nur im Umgang mit Schwerhörigen vor. "Streng genommen", sagt Anwalt Lang, "hat Herr Rüger seit zwei Jahren im Heim niemanden mehr ohne Maske zu Gesicht bekommen". Er hält dies für einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Und dürfte damit für viele Heimbewohner und ihre Angehörigen sprechen.
Zu Beginn der Pandemie, mit gefährlicher Variante und ohne Impfung, wurden Maske und Testpflicht in der Regel als notwendiges Übel akzeptiert. Mittlerweile hadern aber viele damit. Denn im Miteinander, in der Kommunikation gerade von dementen Seniorinnen und Senioren mit Besuchern oder Personal, bleibt ohne Mimik allzu viel auf der Strecke.
"Es ist doch wichtig, dass mein Vater oder meine Mutter ein Lächeln sieht", sagt Sohn Klaus Rüger und verweist auf die soziale Vereinsamung. Die Rügers sind allesamt mehrfach geimpft bzw. genesen. Anwalt Alexander Lang verweist auf den Dezember-Monatsbericht des Robert-Koch-Instituts: Danach beträgt die Hospitalisierungs-, Intensivstations- und Todesquote bei über 60-Jährigen, die fünfmal geimpft sind, null Prozent.
"Durch die Impfungen können Heimbewohner einen umfassenden Schutz erlangen", argumentiert der Jurist. Erfahrungen aus etlichen Heimen bestätigen dies: Wo jetzt noch Corona-Infektionen aufschlagen, verlaufen sie normalerweise so glimpflich wie Erkältungen. Die Verpflichtung zu Maske und Test für die Besucher halten die Beschwerdeführer deshalb nicht mehr für verhältnismäßig.
Neben fehlender Mimik trägt auch die Testpflicht für Angehörige zur Vereinsamung bei. "Es kommt kaum Besuch. Regelmäßig nur meine Schwester aus Bad Kissingen", klagt der 82-jährige, beinamputierte Ernst Rüger. Von Bekannten und Verwandten wisse er, ergänzt der Sohn, dass sie der nötige Corona-Test stört. Und auch er selbst ist eingeschränkt. Klaus Rüger wohnt in der Nähe von Bergtheim, "manchmal könnte ich einfach eine Viertelstunde vorbeischauen". Aber da sei der zeitliche Aufwand für den Pflichttest zu groß. Die Eltern bleiben dann allein.
Die Heimbewohner dürfen in Cafés, zu Familienfesten, ins Konzert - ohne Maske
Oder der Vater – die Mutter ist stärker ans Bett gefesselt – kommt nach draußen vors Heim. Dort dürfen sie sich ohne Test und Maske treffen. Wie auch sonst die Heimbewohner überall hin dürfen – in Cafés, zu Familienfesten, ins Konzert. Die strengen Vorschriften im Heim selbst scheinen den Rügers und ihrem Anwalt da umso widersinniger. "Niemandem, der daheim wohnt, wird vorgeschrieben, wer ihn unter welchen Bedingungen besuchen darf", sagt Sohn Rüger. "Das Seniorenheim ist jetzt die Heimatadresse meiner Eltern."
Vater Ernst würde sich wünschen, dass auch das Personal keine Maske mehr tragen müsste: "Man sieht kein Gesicht, teilweise erkennt man die Pflegerinnen gar nicht." Doch für eine Verfassungsbeschwerde auch als betroffenes Personal hat sich beim Kommunalunternehmen niemand gefunden. "Unsere Pflegekräfte sind extrem loyal und leidensfähig", sagt KU-Vorständin Eva von Vietinghoff-Scheel.
Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen
Und die Beschwerde von Vater und Sohn Rüger? Das Bundesverfassungsgericht hat sie überraschend nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Anfrage zu den Gründen blieb unbeantwortet, man verweist lediglich auf den eigenen Beschluss. Zentrales Argument der Ablehnung ist die liberale Auslegung der Maskenpflicht in Seniorenheimen durch den Freistaat Bayern. Gesundheitsminister Klaus Holetschek bezeichnete Anfang Oktober die Bundesvorgaben als "nicht praxistauglich" – etwa die Maskenpflicht auch in Privaträumen. Man fasse die Ausnahmen sehr weit, kündigte der Minister damals an.
Als Juristin ist KU-Vorständin Eva von Vietinghoff-Scheel sprachlos: "Was ist das für ein Rechtsstaatsverständnis? Gegen ein Bundesgesetz lässt sich nicht vorgehen, weil ein einzelnes Bundesland die Umsetzung aufweicht?" Im Ergebnis rät das Bundesverfassungsgericht, gegen die Masken- oder Testpflicht zu verstoßen, wegen der Ordnungswidrigkeit bestraft zu werden und sich dann durch die Instanzen zu klagen.
Ullmann hält die staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen nicht mehr für gerechtfertigt
Das werden die Rügers und ihr Anwalt aktuell nicht tun. Allein zeitlich wäre dies mit Blick auf das Auslaufen des Infektionsschutzgesetzes am 7. April absurd. Sollte die Masken- und Testpflicht allerdings darüber hinaus erneut verlängert werden – dann kann sich Anwalt Alexander Lang einen erneuten Anlauf vorstellen. Es bliebe noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Unterstützung finden die Beschwerdeführer in Teilen der Politik. Der Würzburger FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann, Infektiologe und gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion, hält die staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen in der aktuellen Pandemie-Phase nicht mehr für gerechtfertigt. Jeder könne Eigenverantwortung übernehmen, Maske tragen bzw. sich testen lassen. Die Einrichtungen aber, so Ullmann auf Anfrage, "sollten es jetzt wie vor der Pandemie wieder selbst in die Hand nehmen und, abhängig vom aktuellen lokalen Infektionsgeschehen, Hygiene-Regeln festlegen".
Die Zeit ist reif für ein Zurückkehren in eine gewohnte Normalität. Wer nimmt sich das Recht zu entscheiden, was gut für die Senioren/innen ist, sollte das nicht ihre eigene Entscheidung sein? Lebensqualität entspringt Lebensfreude und zu der sollten wir alle wieder zurück kommen und nach vorne schauen. Viele Menschen waren und sind immer noch traumatisiert von den Ausbrüchen des Virus und das damit verbundene Sterben vieler Menschen. Schreckliche Lebensereignisse wiederholen sich und werden eventuell wiederkehren. Nach der spanischen Grippe, die sicherlich viel prägender und mit schlechterer medizinischen Versorgung einherging, kehrten die Menschen zu ihren gewohnten Leben zurück. Warum nicht wir? Ich möchte frei leben und atmen, das kann ich mit der Maske nicht.