Das größte Lebewesen auf der Erde ist ein Pilz. "Genauer gesagt, ein Hallimasch in den USA, der sich unterirdisch auf neun Quadratkilometer erstreckt." Wenn Rudi Markones aus Kist (Lkr. Würzburg) über Pilze spricht, beginnen seine grau-blauen Augen hinter der Brille zu leuchten. Der Hobbywissenschaftler hat sich seit Jahrzehnten der Erforschung der heimischen Pilzarten und damit der Mykologie verschrieben.
Eigentlich könnte der ehemalige Hausarzt seinen Ruhestand in Ruhe verbringen. Doch noch immer berät Rudolf Markones als ausgebildeter Pilzberater der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft Krankenhäuser aus ganz Unterfranken, wenn bei einem Patienten der Verdacht einer Pilzvergiftung besteht. Das kann bis zu 20 Mal im Jahr vorkommen. "Oft schicken sie mir Pilzreste. Dann heißt es erst einmal Mikroskopieren", sagt Markones und streicht sich über den weißen Vollbart. "Nicht so schön ist es, wenn diese schon mal durch den Magen gegangen sind", fügt er hinzu.
Abgesehen vom medizinischen Interesse sind Pilze für Markones vor allem eines: eine Leidenschaft. Äußeres Zeichen ist sein mit bunten Pilzmotiven bedrucktes Hemd. 45 solcher Pilzhemden hat seine Frau ihm schon genäht.
Nahezu täglich findet man den 70-Jährigen im Wald. Ausgerüstet mit Lupe, Taschenmesser, Kamera, einem Korb zum Pilze sammeln und einer Prise Schnupftabak gegen die lästigen Stechmücken. Denn die gibt es im Irtenberger Forst nahe Kist zuhauf. Vor allem in der Nähe des Naturschutzgebietes "Blutsee-Moor" im Landkreis Würzburg. Dort, wo auf Initiative von Markones im Jahr 2019 ein etwa ein Hektar großes Gebiet zum ersten Pilzschutzgebiet Bayerns erklärt worden ist.
Ein Zaun um das Schutzgebiet soll Wildtiere abhalten. Pilzliebhabern und Forschern steht es offen. Doch für den Kochtopf sammeln, ist dort verboten. Pilze sollen sich ungestört entwickeln können. Der Revierförster hat 50 Stämme unterschiedlicher Baumarten in das Gebiet gelegt.
Das Schutzgebiet und auch das umliegende Waldstück, in dem schon sehr seltene Pilze entdeckt wurden, zieht Pilzforscher aus ganz Deutschland an, berichtet Markones, der sich alle paar Meter auf den Boden kniet, weil er wieder einen entdeckt hat. Hier ein Knoblauchschwindling. "Nicht selten, aber gut. Zwei bis drei Hüte ins Essen mischen, dann können Sie sich den Knoblauch sparen." Dort ein lästiger Ritterling. Markones schnuppert, verzieht das Gesicht und murmelt: "Ungenießbar."
Pilze sind mit Tieren näher verwandt als mit Pflanzen
Die Lachfältchen um seine Augen verstärken sich, als er sagt: "Die erste Erinnerung an meine frühe Kindheit ist, wie ich hinter meiner Mutter her durchs Moos gekrabbelt bin, als sie große Steinpilze gesammelt hat." Seitdem lässt ihn die Faszination für Pilze nicht mehr los. Für diese immer noch weitgehend unerforschten Lebewesen, die mit Tieren näher verwandt sind als mit Pflanzen, weil sie kein Sonnenlicht verwerten, sondern Zucker zum Leben brauchen.
Mykologen gehen davon aus, dass es mindestens drei Millionen verschiedene Arten gibt. Aber erst 120 000 sind bekannt und wissenschaftlich beschrieben. "In Deutschland kennen wir etwa 12 000 Arten, in Unterfranken etwa 3000", sagt Markones. Fast hätte er selbst vor Jahren im Irtenberger Forst eine neue Art entdeckt. Doch ein anderer Mykologe kam ihm zuvor. Wieviel Fachbücher über Pilze in seiner häuslichen Bibliothek stehen? Bei 500 hat er aufgehört zu zählen.
Klimawandel setzt heimischen Pilzen zu
Doch der Klimawandel setzt auch Unterfrankens Pilzwelt zu. Obwohl der Boden jetzt Ende September, mitten in der Hauptsaison vieler Pilzarten feucht ist und es auch im Sommer genügend Regen gab, wachse im Vergleich zu den letzten drei Jahren nicht wirklich viel, urteilt der Pilzkenner. Er vermutet, dass die Trockenjahre 2015, 2018, 2019 und 2020 viele Mycelien (Pilzgeflechte) im Boden geschädigt haben.
"Denn die Pilze selbst sehen wir nicht, nur ihre Fruchtkörper", erklärt Markones. Der eigentliche Pilz befinde sich unter der Erde. Viele von ihnen, die sogenannten "Mykorrhiza"-Pilze, lebten mit Bäumen zusammen. Wasser und Nährstoffe, die die Bäume brauchen, steuere der Pilz hinzu und bekomme im Gegenzug vom Baum Zucker, so Markones. Die unterirdischen Pilzfäden könnten Bäume sogar miteinander verbinden, die so Informationen austauschen und sich zum Beispiel gegenseitig vor Schädlingsbefall warnen. "Das funktioniert wie eine Telefonleitung", sagt der Mykologe.
Heute sammelt der Forscher Pilze vor allem aus wissenschaftlichem Interesse. Früher war das anders. Da gab es schon mal ein Zehn-Gang-Pilz-Menü, von der Pilzsuppe bis zu den kandierten Steinpilzen als Nachspeise. Markones knabbert an einem weiß-rötlichen Pilz. Er schmeckt scharf. Er spuckt das Lamellenstückchen aus. "Wusste ich's doch. Ein wechselfarbiger Speitäubling." Ob der Pilz giftig ist? "Ja, aber nicht tödlich." Vergiftet hat sich der Pilzforscher noch nie. Sein Credo: "Immer bei den Pilzen bleiben, die man kennt!"
Vor diesen Pilzarten warnt der Pilzforscher
Etwa 1000 Pilzarten sind giftig, rund zwei Dutzend tödlich. Doch erst die Dosis macht das Gift. Bauchweh, Durchfall und Allergien sind noch die harmlosen Folgen. Es gibt auch Pilze, die die Nieren schädigen. Der Geschmack allein könne trügerisch sein, warnt der Pilzkenner. Der grüne Knollenblätterpilz schmecke nach Nuss. Eine Dosis von 75 Gramm führe zum Tod.
Viele Pilze in Süddeutschland, etwa im Bayerischen Wald, sind seit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 mit Cäsium belastet. In Unterfranken ist das nicht der Fall. Problem hier seien die Schwermetalle, vor allem in wild wachsenden Champignons. "Bei Champignons rate ich dazu, nur gezüchtete aus dem Supermarkt zu kaufen", sagt der Pilzberater.
Die 5 besten Tipps des Pilzberaters
1. Wer Pilze essen will, sollte sie hundertprozentig kennen.
Pilz-Apps sind beliebt, aber oft voller Fehler. "Unerfahrene Sammler sollten sich nie auf Apps oder Bücher zur Pilzbestimmung verlassen. Das kann tödlich enden", sagt Markones. Er empfiehlt, zum Kennenlernen neuer Arten einen Pilzkurs zu besuchen oder den Pilz einem Pilzberater vorzulegen.
2. Nicht auf den Ort, sondern auf den Zeitpunkt kommt es beim Sammeln an.
Es gibt keine Orte, an denen immer Pilze wachsen. Steinpilze zum Beispiel finden Sammler in fast jedem Wald, so der Pilzberater. Wer Pilze sucht, muss Glück haben und den richtigen Tag abpassen. Pilzsaison ist zwischen Juni und November. Sommersteinpilze können von Juni bis Oktober, Fichtensteinpilze von September bis November und Pfifferlinge von Juli bis Oktober wachsen.
3. Wer Pilze sammelt, braucht das richtige Werkzeug.
Pilze sammeln sollte man mit einem luftigen Korb und einem Messer. In engen Taschen oder Plastiktüten können Pilze schnell zerquetscht werden oder innerhalb weniger Stunden schädliche Stoffe entwickeln, so der Pilzberater.
4. Pilze am besten frisch zubereiten und verzehren.
"Die häufigste Lebensmittelvergiftung durch Pilze rührt daher, dass essbare Pilze zu lange gelagert werden und vergammeln", sagt Markones. Die Folge seien Magen-Darm-Beschwerden. Pilze sollte man putzen, frisch essen oder je nach Art maximal ein bis zwei Tage im Kühlschrank aufbewahren.
5. Geschützte Pilze sind tabu.
Im Pilzschutzgebiet dürfen ebenso wie in Naturschutzgebieten keine Pilze für den Kochtopf gesammelt werden. Auch einige Arten sind streng geschützt. Der Schwarze Steinpilz zum Beispiel steht in Bayern auf der Roten Liste.