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Berlin / Würzburg
Über die Recherche im Fall Stefan Lurz: "Den Druck gespürt"
Einblicke in Chats und Gespräche mit Betroffenen: "Spiegel"-Redakteurin Ann-Katrin Müller über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen den ehemaligen Schwimm-Bundestrainer.
Der ehemalige Bundestrainer im Freiwasserschwimmen, Stefan Lurz, sieht sich nach Recherchen des Nachrichtenmagazins 'Spiegel' mit Vorwürfen sexualisierter Gewalt konfrontiert.
Foto: ArchivFrankPeters | Der ehemalige Bundestrainer im Freiwasserschwimmen, Stefan Lurz, sieht sich nach Recherchen des Nachrichtenmagazins "Spiegel" mit Vorwürfen sexualisierter Gewalt konfrontiert.
Karoline Keßler-Wirth
Karoline Keßler-Wirth
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:26 Uhr

Ann-Katrin Müller ist Journalistin beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in Berlin und Expertin für sexualisierte Gewalt. Die 34-jährige Politikwissenschaftlerin hat an zahlreichen Recherchen zu dem Thema gearbeitet, auch im Spitzensport. Vor vier Wochen berichtete sie mit Kollegen über den Fall Stefan Lurz. Mehrere ehemalige Schwimmerinnen warfen dem Trainer im "Spiegel" sexualisierte Gewalt vor. Nach der Veröffentlichung trat Lurz als Freiwasser-Bundestrainer zurück, die Staatsanwaltschaft Würzburg ermittelt. Der 43-Jährige bestreitet die Vorwürfe. Ein Gespräch mit Ann-Katrin Müller über nächtliche Chat-Nachrichten und die Frage, ob der Spitzensport durch seine Strukturen sexualisierte Gewalt begünstigt.

Frage: Frau Müller, was hat Sie zu dem Schluss kommen lassen: Die Vorwürfe gegen Stefan Lurz sind glaubhaft und können veröffentlicht werden?

Ann-Katrin Müller: Das, was die Frauen berichteten, ähnelte sich sehr, es war ein Muster erkennbar, das Bild insgesamt schien stimmig. Es gibt auch zahlreiche Nachrichten und Screenshots, die die Vorwürfe untermauern. Außerdem war es nicht so, dass sich die Frauen zusammengeschlossen und gemeinschaftlich gemeldet hätten, wie häufig bei solchen Recherchen angenommen wird. Wir sind Hinweisen nach- und dann auf die Frauen zugegangen. Diese mussten wir nach und nach ausfindig machen.

Ab welchem Punkt waren Sie sich sicher, dass die vorliegenden Chats authentisch sind?

Müller: Ich konnte unterschiedliche Chat-Verläufe und Screenshots einsehen, es handelt sich also um mehrere Quellen. Es gab keine Hinweise darauf, dass die Nachrichten irgendwie gefälscht wurden, auch die Nummern stimmten überein. Und es stellt sich wie immer die Frage des Motivs: Welches Motiv hätten die Frauen, die anfangs kaum reden wollten, um so weit zu gehen, solche Nachrichten zu fälschen?

Wie sahen die Chats aus, in die Sie Einblick hatten?

Müller: Manche Chatverläufe gingen über Jahre, vor allem abends wurde viel kommuniziert.  Dazwischen waren immer wieder Kommentare über den Körper der jeweiligen Athletin. Den Nachrichten und Berichten der Schwimmerinnen zufolge umgarnte er sie regelrecht manipulativ, sagte, er heirate sie, wenn sie 18 Jahre alt seien, gab ihnen das Gefühl, sie seien seine Traumfrau. Das sei bei einigen von ihnen auch der Grund gewesen, warum sie lange nichts sagten.

Wie beurteilen Sie die Sprache des Verfassers?

Müller: Die Sprache war sehr fordernd. Und ich fand es auch ziemlich eindrücklich, mit wie vielen Emojis kommuniziert wurde, von einem Mann, der zu diesem Zeitpunkt Ende 30 war. Offenbar hat er bei der Kommunikation mit im Vergleich sehr jungen Mädchen versucht, sich auf das, was er für junge Sprache hält, einzulassen.

Journalistin Ann-Katrin Müller hat mit betroffenen Frauen gesprochen und hatte Einblick in Chat-Nachrichten.
Foto: Jacobia Dahm | Journalistin Ann-Katrin Müller hat mit betroffenen Frauen gesprochen und hatte Einblick in Chat-Nachrichten.
Gibt es Nachrichten, die Sie als besonders schrecklich empfunden haben?

Müller: Ich fand es neben dem fast befehlenden Ton sehr eindrücklich, dass, wenn eine Schwimmerin nicht geantwortet hat, stakkato-mäßig Nachrichten und Nachfragen folgten. Schon beim Lesen habe ich den Druck gespürt, der aus den Nachrichten heraus sprach. Man sieht, dass manche Frauen versuchten, ihn abzuwehren, schrieben, dass sie müde seien oder kein Foto schicken wollen, nach dem er gefragt hatte. Später aber gingen sie wieder auf ihn ein oder antworteten freundlich. Denn es hatte laut den Schwimmerinnen Konsequenzen, wenn sie nicht enthusiastisch genug antworteten. Sie seien nicht mehr ausreichend trainiert oder sogar ignoriert und angeschwiegen worden, sagen sie. Der Bundestrainer ist aber maßgeblich für die Schwimm-Karriere, insofern war der Druck sehr hoch.

Mit wie vielen Betroffenen und Zeugen haben Sie gesprochen?

Müller: Ich habe mit insgesamt fünf Betroffenen und einer Mutter gesprochen, die Vorwürfe erhoben haben. Außerdem haben wir mit weiteren Menschen gesprochen, die den Schwimmverein Würzburg 05 und die Menschen im Umfeld kennen. Es gibt also weitere Zeugen. Wir haben uns ein sehr breites Bild gemacht, insgesamt hat die Recherche zehn Monate gedauert.

Welchen Eindruck haben die Betroffenen auf Sie gemacht?

Müller: Jede Frau hat einen individuellen Umgang. Aber ich habe bei allen gemerkt, dass es sie stark beschäftigt und dass sie sich – leider – schämen. Sie fragten sich und mich, warum sie nichts gesagt hätten, wie es passieren konnte, dass sie den Sport höhergestellt hätten als dieses Thema. Einige mussten im Gespräch weinen. Aber es sind Frauen, die offenbar versuchen, damit umzugehen und sich damit auseinanderzusetzen.

"Meist fiel der Name Lurz schon, wenn wir nur von 'Vorwürfen sexualisierter Gewalt' sprachen."
Ann-Katrin Müller, SPIEGEL-Redakteurin
Denken Sie, dass die Betroffenen untereinander von dem möglichen Missbrauch wussten?

Müller: Niemand, den wir anriefen, war wirklich überrascht, meist fiel der Name Lurz schon, wenn wir nur von "Vorwürfen sexualisierter Gewalt" sprachen. Uns schien es, als habe jeder im Schwimmverein und teilweise darüber hinaus schon mal etwas von solchen Vorwürfen gehört. Auch die Betroffenen hatten Dinge mitbekommen, nannten Namen weiterer Schwimmerinnen. In Teilen haben sie davon aber erst erfahren, als sie älter waren, sagen sie. Wenn sie schon in jüngeren Jahren etwas gehört hatten, haben sie sich eingeredet, dass die Nachrichten, die sie bekamen, ehrlich gemeint seien, sagen sie, schon allein, um sie besser verarbeiten zu können.

Sehen Sie ein strukturelles Problem im Spitzensport, was sexualisierte Gewalt angeht?

Müller: Absolut. Der Sport generell hat schon den Zusatzfaktor Körperlichkeit. Experten sagen, dass sich Täter gerne ein Amt im Sportverein aussuchen, weil sie dort nah an vielen Minderjährigen sind. Im Leistungssport kommen dann der hohe Leistungsdruck sowie eine stark ausgeprägte Hierarchie hinzu. Und das Heldentum, das problematisch ist, weil die Athleten zu sehr zu den Trainern aufschauen, sie vergöttern. In allen Fällen, die ich im Sport recherchiert habe, waren die Trainer früher selbst Leistungssportler und haben Medaillen gewonnen, nahmen deswegen eine Sonderrolle ein. Oder sie waren Erfolgstrainer, galten als Gold-Garanten. Oder sie stammten aus einer Sportserfolgsfamilie, wie Stefan Lurz.

Sehen Sie Versäumnisse seitens des Vereines oder des Verbandes, als 2019 ein zweites Mal Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Stefan Lurz zur Anzeige kamen?

Müller: Definitiv. Wenn einem Verein oder Verband solche Vorwürfe bekannt werden, müssen sie reagieren und diese bestmöglich untersuchen. Es reicht nicht, an den Präventionsbeauftragten und dann an die Behörden zu verweisen. Und wenn, wie in diesem Fall im Jahr 2019, nicht nur eine Anzeige gestellt wird, sondern vier weitere Namen schriftlich hinterlegt werden, kann man erst recht nicht sagen: Die Vorwürfe in dem Fall waren verjährt, die Staatsanwaltschaft macht nichts, deswegen machen wir auch nichts weiter. Denn neben der juristischen gibt es für die Verantwortlichen auch eine moralische Pflicht, für die ihnen anvertrauten Minderjährigen zu sorgen.

 
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  • M. S.
    Merkwürdig ruhig verhält sich ja der SV Würzburg 05.

    Da werden nun im Hintergrund einige Damen und Herren ziemlich genau wissen was vorgefallen ist, sie wissen, dass sie versagt haben! Schämen sollten sie sich!

    Der Verein trägt meiner Meinung nach eine gewaltige moralische Schuld an den mutmaßlichen Vorkommnissen.
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  • S. W.
    @Albatros
    Was wollen sie hier lesen? Was im Detail passierte?
    Das Gericht wird die Betroffenen dazu befragen - hoffentlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Viele Opfer sind bzw. waren minderjährig und schämen sich. Das gilt es zu berücksichtigen.
    Es ist ein laufendes Verfahren und in Deutschland gibt es zum Glück Datenschutz.
    Nachdem der Staatsanwalt ermittlungen aufgenommen hat, ist sicherlich was an der Sache dran.
    Aber Details sind hier aktuell fehl am Platz.
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  • R. B.
    @KW2020, aber detaillierte Vorwürfe gegen Herrn Lurz, wie "sexualisierte Gewalt" finden Sie in Ordnung? Mir geht es nicht darum die Vorwürfe gegen Herrn Lurz, sofern diese berechtigt sind, klein zu reden, aber hier werden Anschuldigungen in aller Öffentlichkeit erhoben, welche einen Menschen vernichten können. Solange keine stichhaltigen Beweise gegen Herrn Lurz vorliegen, sollte aus meiner Sicht auch nicht darüber einseitig berichtet werden. Ich kenne einen Mann, welcher 9 Monate wegen Vergewaltigung seiner Frau im Gefängnis saß, obgleich er stets seine Unschuld beteuert hat. Der Frau des Angeklagten wurde im Laufe des Verfahrens nachgewiesen, dass sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann hatte. Darauf hin gestand sie, dass sie die Vergewaltigung inszeniert hatte, um im Scheidungsfall das Sorgerecht für die Kinder zu bekommen. Der Mann hatte zwischenzeitlich nicht nur seinen Arbeitsplatz verloren, sein Leben war vollkommen aus den Fugen geraten.
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    Hier geht es nicht um eine Frau, sondern um mindestens 5 Frauen, die Lurz anzeigen....
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  • R. B.
    @Gardner, ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen, welches leider in Deutschland viel zu milde bestraft wird. Im Fall Lurz wird von "sexualisierter Gewalt" gesprochen, was wie folgt definiert wird: "Sexualisierte Gewalt umfasst alle sexuellen Handlungen, die einem Kind bzw. einer Frau oder einem Mann aufgedrängt oder aufgezwungen werden. Sie ist ein Akt der Aggression und des Macht­missbrauchs, nicht das Resultat unkontrollierbarer sexueller Triebe. Sexualisierte Gewalt reicht von der sexuellen Belästigung oder Vergewaltigung erwachsener Frauen und geht bis zum sexuellen Missbrauch von Kindern". Ob Herr Lurz ihm anvertraute junge Frauen verbal belästigt oder sexuell missbraucht hat, können wir aus den Schilderungen nicht erkennen. Der Vorwurf lässt dem Leser jedoch alle erdenklichen Optionen und nimmt somit den schlimmsten Fall in Kauf. Ich finde auch Herr Lurz hat ein Anrecht darauf medial nicht vorverurteilt zu werden.
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    Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht ...
    Es gab Warnschüsse genug für Lurz - irgendwann ist Schluss mit lustig, auch wenn`s nur verbal ist !!
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  • R. B.
    Sehr geehrte Frau Keßler-Wirth, Ihr Interview mit Frau Ann-Katrin Müller hat eigentlich völlig aussagelos. Frau Keßler-Wirth verwendet immer wieder den Begriff "sexualisierte Gewalt", aber im gesamten Interview benennnt sie keinen einzigen konkreten Vorwurf. Katrin Müller:"Ich konnte unterschiedliche Chat-Verläufe und Screenshots einsehen, es handelt sich also um mehrere Quellen". Oder: "Den Nachrichten und Berichten der Schwimmerinnen zufolge umgarnte er sie regelrecht manipulativ, sagte, er heirate sie, wenn sie 18 Jahre alt seien, gab ihnen das Gefühl, sie seien seine Traumfrau". Was halten Sie zurück, was den Vorwurf der "sexualisierten Gewalt" rechtfertigt? Sollten sich die Vorwürfe gegen Herrn Lurz tatsächlich bewahrheiten, dann soll er streng nach geltendem Recht verurteilt werden. Was das Interview mit Frau Müller angeht, da fehlt mir jede konkrete Aussage. Bei manchen "Frauen" muss man heute schon aufpassen wenn man ihnen die Türe aufhält, dies ist für manche schon sexistisch.
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    Wenn das alles stimmt, dann gehört dem Herren das Wasser abgelassen!!!
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