Samstag, 12. Dezember 2020: Auf der A3 brennt ein Lkw mit Feuerwerkskörpern. Um 15.09 Uhr erhält die Notrufzentrale in Würzburg die Information über den Unfall vor dem Autobahndreieck Würzburg-West, Fahrtrichtung Würzburg. Drei Minuten später geht das Alarmfax von der Integrierten Leitstelle (ILS) an die Feuerwehren Helmstadt und Waldbüttelbrunn. Zeitgleich werden der Kreisbrandrat Michael Reitzenstein und der damalige Kreisbrandinspektor für den Bereich West, Winfried Weidner, alarmiert. Doch bis die nächstgelegene Feuerwehr in Waldbrunn ausrücken darf, vergehen weitere fünf Minuten.
Warum wird Waldbrunn erst um 15.17 Uhr von der ILS – zusammen mit zwei anderen Feuerwehren – alarmiert? Die Reihenfolge der Alarmierungen wird bei Feuerwehrleuten im Landkreis Würzburg in den Tagen nach dem Unfall auf Unverständnis stoßen.
Denn in diesen wenigen Minuten spielen sich an der Unfallstelle tragische Szenen ab. Teile der brennenden Lkw-Ladung explodieren, über Waldbrunn verdunkelt sich der Himmel. Meterhohe Flammen und Rauch sind weithin sichtbar, heißt es im Bericht, den die Feuerwehr Waldbrunn später auf ihrer Internetseite veröffentlicht.
Bei dem Unfall auf der A 3 stirbt eine 53-jährige Frau
Vom Feuerwehrhaus in Waldbrunn ist es nicht weit zum Unfall. Etwa 900 Meter sind es bis zu einer Behelfsumfahrung (BU) auf die A3, zum Einsatzort dann noch mal 800 Meter. Dort meldet sich – um 15.23 Uhr, sechs Minuten nach ihrer Alarmierung - die Feuerwehr Waldbrunn als erste an, wie aus den Daten der ILS hervorgeht. Unmittelbar danach melden sich auch die Feuerwehren Helmstadt und Waldbüttelbrunn am Unfallort. Beide hatten einen wesentlich längeren Weg zur Einsatzstelle.
Eineinhalb Stunden später ist das Feuer unter Kontrolle. Eine 53-jährige Frau aus dem Raum Frankfurt ist ums Leben gekommen.
Nach dem Einsatz können einige Feuerwehrleute aus dem Landkreis Würzburg die Reihenfolge der Alarmierung nicht nachvollziehen - vor allem nicht, dass die ortsansässige Feuerwehr nicht als erstes angefordert wurde. Bei der Integrierten Leitstelle in Würzburg sind für verschiedene Einsatzszenarien Pläne hinterlegt, nach denen Feuerwehren in einer festgelegten Folge alarmiert werden. Für den Unfall auf der A 3 lautete die Reihenfolge: zunächst Helmstadt, dann Waldbüttelbrunn, dann Waldbrunn. Weitere Wehren folgten.
Ein Feuerwehrkommandant fordert Aufklärung
Der Kommandant einer Freiwilligen Feuerwehr wendet sich drei Tage nach dem Unfall am späten Abend per E-Mail an den Fachbereich für Einsatzplanung bei der Kreisbrandinspektion Würzburg. Er schreibt: "Hallo Kollegen der Einsatzplanung, könnt ihr mir Bitte mal die aktuelle Alarmierung auf der A 3 Würzburg/West erklären ????"
Die Antwort von Kreisbrandmeister Christof Frank folgt eine Stunde später. Er schreibt: "Als allgemeine Information kann ich dir vorweg mitteilen, dass sich an der Alarmierung auf der A 3 nichts verändert hat. Es wird nach wie vor nach den gleichen Festlegungen der Kreisbrandinspektion alarmiert, wie in den letzten Jahren." Da aber "die bekannten Schwächen im Bereich Helmstadt/Waldbrunn/Kist in den letzten Tagen wieder mehr als deutlich geworden sind" habe man sich dazu entschlossen "diese jetzt kurzfristig zu beheben".
Die bekannten Schwächen? Die Pressestelle des Landratsamtes sieht diese nicht. Auf Nachfrage dieser Redaktion teilt sie die Einschätzung von Einsatzplaner Frank nicht. Sie spricht von einer "Fehleinschätzung", weil die bestehende Planung den rechtlichen Vorgaben entsprechen. Das bayerische Innenministerium hat dazu Grundsätze der Alarmierungsplanung vorgegeben: "Die zuständige Ortsfeuerwehr ist immer in die Einsatzmittelkette aufzunehmen." Und es sind "immer die am schnellsten verfügbaren geeigneten Einsatzmittel" einzuplanen. Demnach hätte die Feuerwehr Waldbrunn in der ersten Alarmierung dabei sein müssen.
In der Alarmplanung ist Helmstadt fälschlicherweise die örtlich zuständige Feuerwehr
Weil dies offenbar nicht das erste Mal falsch lief, hatten Feuerwehrleute schon vor dem Unfall immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt würden. Von einer Vergabe der Einsätze nach "Gutsherrenart" spricht ein Feuerwehrmann aus dem Landkreis Würzburg. Es sei "reine Glückssache", ob schnell Hilfe komme. Häufig würden Feuerwehren, die sich nahe an einem Unfallort befinden, erst später oder gar nicht alarmiert, schreibt er an diese Redaktion.
Ein begründeter Vorwurf? Die Alarmplanung sieht für den betroffenen Autobahnabschnitt seit Jahren Helmstadt als örtlich zuständige Feuerwehr vor, obwohl er zu einem großen Teil in der Gemarkung Waldbrunn liegt, wie das Landratsamt mitteilt. "Warum genau dieser Abschnitt, von den damaligen Bearbeitern, so zugewiesen wurde, ist nicht bekannt", so das Landratsamt. "Es gab schon immer Änderungsvorschläge. Die Frage ist immer, wann wird es umgesetzt", sagt Alfred Wilhelm, seit 1994 Kommandant der Waldbrunner Wehr.
Die Feuerwehr Waldbrunn hat nur 900 Meter bis zur A 3
Winfried Weidner, der frühere Kreisbrandinspektor, verfolgte ein ähnliches Anliegen. Er war für diesen Autobahnbereich zuständig und überarbeitete schon 2017 die Reihenfolge der Alarmierung. Als örtlich zuständige Feuerwehr wollte er Waldbrunn festlegen. Unklar ist, ob seine E-Mail vom 7. Juli 2017 mit der geänderten Alarmierungsplanung bei Kreisbrandrat Michael Reitzenstein angekommen ist: Im Landratsamt Würzburg, als Kreisverwaltungsbehörde für Alarmierungsplanung zuständig, kann weder ausgeschlossen, noch bestätigt werden, dass das Schreiben des Kreisbrandinspektors tatsächlich eingegangen ist. Denn, so die Begründung der Pressestelle: "In dieser Zeit fand der Umzug des Kreisbrandrats aus dem Feuerwehrzentrum Klingholz in das Landratsamts Würzburg und damit verbunden eine Umstellung der Server und Rechner statt."
Winfried Weidner sagt, er habe auch nach mehrmaligen Nachhaken nie eine Reaktion auf seine Vorschläge bekommen. Deshalb habe er im Mai 2018 erneut eine Mail an Reitzenstein geschrieben. Darin setzte er sich wieder für eine Anpassung der Alarmierung ein. Den Zeitvorteil seiner Pläne gegenüber der bestehenden Alarmierung markierte er deutlich in Rot.
Sechs Minuten, sagt Weidner, könnten eingespart werden – weil er die Behelfsumfahrung eingeplant hat, die vom Waldbrunner Feuerwehrhaus nur 900 Meter entfernt ist und direkt auf die Autobahn führt. Diese Auffahrten sind eigens für Rettungsdienst oder Winterdienst vorbehalten und dürfen nicht von regulären Verkehrsteilnehmern genutzt werden. Die Behelfsumfahrung bei Waldbrunn besteht dem Landratsamt zufolge seit 2012.
Nutzen unterfränkische Feuerwehren Behelfszufahrten für Autobahnen?
Nach den Vorgaben des bayerischen Innenministeriums ist bei Bundesautobahnen die Alarmierung "grundsätzlich" zwischen Auffahrten zu planen. Das bedeute aber nicht, dass ausschließlich zwischen zwei Anschlussstellen beplant werden dürfe, teilt das Ministerium mit.
Würzburgs Landrat Thomas Eberth (CSU) hat dazu eine eindeutige Meinung: "Behelfsumfahrungen gehen gar nicht", sagt er in einem Gespräch mit dieser Redaktion Ende Oktober und führt mögliche Gefahren und Probleme wie Nebel, Schnee, Eis oder unzureichend Platz für die großen Feuerwehrfahrzeuge an. Die Pressestelle des Landratsamtes teilt wenige Tage später mit: In der Alarmierungsplanung für Autobahnabschnitte im Landkreis Würzburg seien schon seit längerem vier Behelfsauffahrten eingeplant.
"Selbstverständlich dürfen Einsatzkräfte der Feuerwehr bei einem Einsatz auf einer Autobahn die Behelfszufahrten nutzen. Jedoch ist stets zu berücksichtigen, dass eine uneingeschränkte Befahrbarkeit nicht immer gewährleistet ist", sagt eine Sprecherin des Innenministeriums. So ist es auch in den Landkreisen Schweinfurt und Main-Spessart üblich. In Schweinfurt werden diese Zufahrten nur dann genutzt, "wenn sich hierdurch ein zeitlicher Vorteil ergibt", sagt der Sprecher des Landratsamtes, Andreas Lösch. "Dies ist nur bei sehr wenigen der Fall." Wenn die Behelfszufahrten geeignet sind, würden sie in der Planung berücksichtigt, sagt Mandy Feser vom Landratsamt Main-Spessart.
Nach Beschwerden über die Alarmierungsplanung gibt es einen Workshop
Im Landkreis Würzburg wird über Behelfszufahrten weniger pragmatisch diskutiert. Im Sommer 2020 lädt Christof Frank, der in der Kreisbrandinspektion Würzburg für die Einsatzplanung zuständig ist, Kommandanten der betroffenen Feuerwehren und Führungskrafte zu einem Workshop mit dem Titel "Alarmplanung BAB A3+A81" ein. Der Anlass laut E-Mail: An den Fachbereich würden "immer wieder Anfragen und Beschwerden bezüglich der Alarmierungsplanung für diverse Autobahnabschnitte herangetragen". Er wolle zusammen mit Feuerwehrfunktionären die Beplanung der A 3 zwischen Helmstadt und der Anschlussstelle Kist "auf den Prüfstand stellen", schreibt Frank.
Konkrete Änderungen für die A3 ergeben sich daraus zunächst nicht, teilt das Landratsamt auf Nachfrage mit: "Die Workshops zielten nicht auf eine voreilige Änderung der Alarmplanung in Einzelfragen ab", sondern dienten "einer ganzheitlichen Grundlagenbildung für zukünftige Planungen". Und weiter: "Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass in dem Workshop nicht gefordert wurde, die BU Waldbrunn oder andere BUs neu zu beplanen." Von einem teilnehmenden Feuerwehrkommandanten wird das bestritten.
Drei Tage nach dem Unfall wird die Alarmierung neu geplant
Ein halbes Jahr nach dem Treffen, an jenem Samstag im Dezember 2020, dann der furchtbare Unfall bei Waldbrunn. Plötzlich wird innerhalb von drei Tagen das möglich, was zuvor unmöglich schien: Eine neue Alarmierungsplanung wird kurzerhand auf den Weg gebracht. Am Dienstag nach dem Unfall reagiert Einsatzplaner Frank auf die Beschwerde eines Feuerwehrkommandanten: "Ich denke bis Ende der Woche können wir über Ergebnisse informieren."
Schließlich informiert Frank am 1. Februar 2021 die Kommandanten und Führungskräfte: "Hallo Kameraden, erfreulicherweise wurde mir von der ILS mittlerweile mitgeteilt, dass unsere bereits vor Weihnachten eingereichten Änderungen der Zonenplanung auf der A 3 umgesetzt wurde. Wie im Workshop gewünscht/besprochen wurde die BU Waldbrunn (...) mit in die Planung aufgenommen." Die Pressestelle des Landratsamtes bestätigt, dass seitdem die Behelfsumfahrung Waldbrunn eingeplant ist. Paul Justice, Geschäftsführer des Zweckverbands für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung im Zuständigkeitsbereich der ILS Würzburg, sagt: "Alarmplanung ist eben nichts Statisches, sondern ein dynamischer Prozess."
Die Staatsanwaltschaft Würzburg, die die Ermittlungen zur Unfallursache führt, teilt auf Nachfrage dieser Redaktion das Ergebnis des Obduktionsberichtes mit: Die 53 Jahre alte Frau war noch am Leben, als ihr Auto in Flammen stand.
was plötzlich alles geht wenn erstmal was passiert ist... sollte man vielleicht zum Anlass nehmen, die Alarmierungspläne überregional zu prüfen und ggf. zu aktualisieren, bevor noch jemand sterben muss, einfach nur "weil es so geschrieben steht"...
Da bei der Neuwahl des KBR nur Herr Reizenstein vom Landrat zugelassen wurde, müssen beide Konsequenzen Ziehen und ihre Ämter niederlegen.
So sieht keine Demokratie aus
Aber jeder, der sich jetzt hier beschwert, sollte sich auch mal selbst an die Nase fassen und überlegen, ob er im Fall ein Staus, egal welche Ursache er hat, gleich immer eine Rettungsgasse bildet.
Das tun nämlich nur die allerwenigsten!
Und wenn sich Einsatzfahrzeuge erst immer wieder die Rettungsgasse "freischieben" müssen, geht auch wertvolle Zeit verloren und dann dürfte es egal sein, welche Feuerwehr zuerst am Unfallort ist.
Was diesen Unfall nochmal angeht, nicht, dass dies noch strafrechtliche Konsequenzen haben, sollten Angehörige der toten Frau womöglich wegen fahrlässiger Tötung klagen, mit der Begründung, die Feuerwehr hätte ja schneller am Unfallort sein können.
Zum zweiten kommen die Animositäten der verschiedenen Ebenen in der Feuerwehrführung und den angeschlossenen Landramtsämtern zum Tragen.
Auch hier sitzen nicht immer die Koryphäen, die dieser gewaltigen Führungsqualität im Anspruch auch nur ansatzweise genügen.
Desweiteren darf wie schon geschrieben, angezweifelt werden, ob der Frau geholfen werden konnte. Ein Fahrzeug im Vollbrand und du hast als Insasse leider verloren. Wenn da kein Ersthelfer etwas ausrichten konnte, wage ich zu bezweifeln, ob ein Feuerwehrmann etwas anders hätte machen können. Tragisch, aber so ist es zuweilen bei Unfällen.
Ein Landrat der einmal mehr was verzapft, was Tage später bereits widerlegt ist.
Er hinterlässt ein Geschmäckle als könnte die Verstorbene noch leben…
Ist das erwiesen? Diskutiert?
Ein im Vollbrand stehendes Fahrzeug erzeugt soviel toxische Gase, da liegt die Zeitspanne der möglichen Rettung bei Sekunden, nicht bei Minuten!
Ihr solltet seriös bleiben und keine Kampagnen fahren!
Immerhin ist erwiesen, dass sie noch am Leben war als ihr eigenes Auto in Brand geriet! Man kann also davon ausgehen, dass bei rechtzeitigem eintreffen der Feuerwehr eine Rettung nicht völlig ausgeschlossen werden kann.
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/winfried-weidner-ist-neuer-csu-kreisrat-art-10091007