
Der 71-jährige Bruno G. schwieg hartnäckig elf Verhandlungstage lang zum Vorwurf des versuchten Mordes. Seine Pistole bleibt unauffindbar. Aber wer wollte angesichts eindeutiger Zeugenaussagen und Schmauchspuren an seiner Kleidung zweifeln, dass er sich beim Feuerwehrfest in Euerhausen (Lkr. Würzburg) im vorigen Juni hinter seinen verhassten Nachbarn schlich und ihm in den Rücken schoss? Das Opfer überlebte, ist aber seitdem querschnittgelähmt.
Keine Entschuldigung, keine Erklärung
Schweigend sitzt G. auf der Anklagebank: ein kräftiger Mann mit wirrem grauem Haar und leuchtend blauen Hosenträgern überm schwarzen Hemd. Vier Monate lang zeigt er kaum eine Regung, findet kein Wort der Entschuldigung und keine Erklärung, was er gegen die Familie seines Nachbarn hatte.
Als das Opfer im Rollstuhl zum Zeugenstand rollt, sieht Nebenklage-Anwalt Björn Rausch, wie der Angeklagte grinst. Die Frau des Opfers sagt vor Gericht, sie habe Angst, dass G. auf den Rest ihrer Familie losgeht, wenn er auf freien Fuß kommt – wie damals bei ihr, als er sie auf offener Straße fast erwürgt haben soll. Da murmelt der Mann auf der Anklagebank: Er könne ihr schon zeigen, wie man richtig zudrückt.
Gutachter: "Hohes Wiederholungsrisiko"
Ansonsten verfolgt er lange stumm, was über ihn und seine seit Jahren steigende Aggression gegen seine Umwelt zutage gefördert wird. Der psychiatrische Gutachter Dr. Jörg Groß sagt: Es bestehe "ein hohes Wiederholungsrisiko" für weitere Übergriffe gegen die Nachbarsfamilie. Groß will eine "Schuldunfähigkeit nicht ausschließen" und hält "eine Unterbringung für erforderlich".
Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen sagt: "Wer so schießt, will töten." Wie Nebenkläger Rausch fordert er die Unterbringung des Angeklagten in der Psychiatrie. Verteidiger Hanjo Schrepfer geht weiter: Wenn die Zweifel an der Schuldfähigkeit seines Mandanten so gravierend sind, gäbe es nur ein Urteil: Freispruch – aber Unterbringung in der Klinik statt Knast.
Schimpfen auf das Opfer im letzten Wort
Da bricht es plötzlich aus Bruno G. heraus: "Ich habe im Kopf nicht die geringsten Probleme", schimpft er mit hoher Stimme. Es sei "ein Skandal", dass nicht sein von ihm fast getöteter Nachbar "festgesetzt wird".
Die Versuche, ihn zu besänftigen, wehrt er unwirsch ab: "Das ist mir doch sch…egal". Und dann schiebt er hinterher: "Wenn Sie 40 Jahre getreten werden, treten Sie auch mal zurück." Danach herrscht betretenes Schweigen.
Keine Verständigung
Der Fall scheint so klar, dass das Urteil nur noch Formsache ist. Umso mehr liegt dem Vorsitzenden Hans Brückner daran, keine falschen Eindrücke in der Öffentlichkeit aufkommen zu lassen – auch nicht durch unsere Berichterstattung. Unter einem Bild heißt es, einer der Anwälte "verständigt sich in einer Prozesspause mit dem Vorsitzenden." Gemeint war, dass sich beide harmlos unterhielten.
Unter Juristen könnte der Begriff "verständigen" aber missverstanden werden: als habe das Gericht mit Beteiligten einen Deal über das Urteil ausgehandelt. Es gab aber in dem Fall keine (prinzipiell mögliche) Verständigung, machte Brückner klar, um voreiligen Schlussfolgerungen zuvorzukommen.
Das Urteil soll am 1. August fallen.