Sie sind derzeit in Unterfranken, doch eigentlich verbrachten Anne Marie und Peter Schwittek in den vergangenen Jahren die meiste Zeit in Kabul. Das Ehepaar aus Randersacker (Lkr. Würzburg) hat in Afghanistan schon vor Jahren den Verein "Ofarin" gegründet, der sich um Bildung kümmert, vor allem von Mädchen und Frauen. Jetzt müssen die Schwitteks aus der Ferne mit ansehen, wie Horden durch das Land ziehen und vieles von dem zerstören, was sie in den vergangenen Jahren ausgebaut haben.
Täglich telefoniert der 81-jährige Peter Schwittek mit seinen entsetzten Mitarbeitern in Kabul, spricht mit seinem Büroleiter vor Ort. Auch Nasir Fais hat täglich Kontakt nach Afghanistan. Die Mutter und der Bruder des 33-Jährigen, der in Würzburg eine Heimat gefunden hat, leben in dem Land. Vor allem um seine Mutter macht sich Nasir Fais große Sorgen.
Peter und Anne Marie Schwittek haben in Afghanistan Mädchenschulen gegründet
Peter und Anne Marie Schwittek wären normalerweise jetzt auch in Afghanistan, in ihrem Haus in Kabul. Aber weil es mit der Beantragung eines neuen Visums nicht klappte, kamen sie vor zwei Wochen nach Unterfranken zurück. Vor Jahrzehnten haben die beiden in Afghanistan Mädchenschulen in Moscheen gegründet. Kaum ein anderer Ausländer kennt sich in Afghanistan so gut aus wie der ehemalige Mathematik-Dozent. An die Zusammenarbeit mit den Taliban sei er schon lange gewöhnt, sagt Schwittek. Ohne deren Billigung hätte es keine Schulen gegeben.
Den Verein "Ofarin" hatte das heutige Rentner-Paar in der frühen Taliban-Ära gegründet. Gemeinsam mit freiwilligen Helferinnen und Helfern brachten sie Tausenden von Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen Lesen und Schreiben bei. Davon profitierten hauptsächlich Mädchen und junge Frauen, die sonst keine Chance auf Bildung haben.
Über die Horden, die jetzt das Land zerstören, ist Schwittek entsetzt. "Wegen Corona waren die Schulen lange zu. Jetzt sollten sie wieder öffnen - und nun das." Sie bleiben geschlossen, weil Frauen und Mädchen nicht mehr aus den Häusern gehen dürfen. Noch würden zwei Wächter und Schwitteks Hund auf ihr Haus in einem Vorort von Kabul aufpassen, erzählen die Schwittek. Es ist mit Stacheldraht gesichert und zugleich Wohnung und Büro. Doch wie lange noch?
"Für mich war klar, dass nach dem Truppenabzug die Taliban wieder die Macht übernehmen", sagt Schwittek. Seine Mitarbeiter hätten das mit Gelassenheit gesehen, doch jetzt herrsche blankes Entsetzen. Sie sehen die Plünderungen, erleben, wie mit den Mädchen und Frauen umgegangen wird. Und fürchten, dass auch sie bald bedroht werden könnten, da sie für eine ausländische Hilfsorganisation arbeiten.
"Mein Mitarbeiter sagte noch vor kurzem, wenn die Taliban die Macht übernehmen, dann ist es für Monate schlimm. Doch danach gehe es hoffentlich wieder bergauf." Jetzt hätten die Angestellten nur noch Angst. Angst, dass die Krieger bald auch ihr Domizil stürmen. "Die sind gierig auf schöne Sachen, wie Teppiche, Autos und elektrische Geräte", sagt der 81-Jährige. "Schlimm wird es dann, wenn sie Menschen mitnehmen."
Früher, da habe die Taliban-Führung einigermaßen vernünftige Statements abgegeben, schildert Schwittek. Zum Beispiel, dass Ortskräfte, die für die Nato arbeiten, als Experten gebraucht würden. "Doch die Banden, die jetzt das Land unsicher machen, sind anders."
Der 81-Jährige hofft, dass die neuen Machthaber ihre einmarschierenden Horden bald in den Griff bekommen. Die Kapitulation des afghanischen Heers kann der erfahrene Schulgründer nachvollziehen: "Die Soldaten wollen ihren Kopf nicht hinhalten. Die internationale Hilfe hat versagt, schon in den Ansätzen. Die afghanische Gesellschaft ist seit Dekaden gespalten." Vor allem Bildung und Frauenrechte hatte der Einmarsch der internationalen Truppen vor 20 Jahren bringen sollen. Doch jetzt, sagt Schwittek, ist die Sicherheitslage gefährlicher denn je.
Er und seine Frau wollen durchhalten. Weil sie überzeugt sind, dass nur Bildung dem Land helfen kann. "Bevor ich sterbe, will ich auf alle Fälle noch einmal zurück in unser Haus in Kabul", sagt die 79-jährige ehemalige Psychologin.
Nasir Fais hat 2011 Afghanistan verlassen und betreibt jetzt in Würzburg ein Restaurant
Nasir Fais hat in Würzburg seine neue Heimat gefunden. Geboren in Kundus, hat er Afghanistan 2011 verlassen. Als Geflüchteter kam er nach Deutschland, auf der Suche nach einem friedvollen Leben. "Mein Vater war ein angesehener Geschäftsmann, der gezwungen wurde, die Taliban finanziell zu unterstützen. Wir wurden immer stärker bedroht und haben schließlich unser Geschäft geschlossen", berichtet der 33-Jährige. Der Vater starb, "meine zwei anderen Brüder versuchten, in den Iran zu gelangen und sind seitdem verschollen".
Aus Sicherheitsgründen habe seine Mutter Kundus dann verlassen und Zuflucht in Kabul gesucht, sagt Nasir Fais. Noch bekommt er täglich Nachrichten aus der Hauptstadt via WhatsApp, doch die Lage vor Ort werde immer unsicherer: "Zurzeit versprechen die Taliban Ruhe und Hilfe, andernfalls wäre das Chaos immens. Ich mache mir große Sorgen um meine Mutter und meinen jüngeren Bruder."
Die Taliban-Krieger würden von Haus zu Haus gehen, alle Mädchen ab 14 Jahren mitnehmen. Und alle Frauen, die unverheiratet oder verwitwet sind, berichtet Nasir Fais: "Zu diesem Personenkreis gehört auch meine Mutter und sie hat große Angst, verschleppt zu werden. Ich sehe die Nachrichten im Fernsehen, bekomme Gräueltaten aus Kabul gemeldet und kann nicht mehr schlafen. Die Taliban sind überall, kontrollieren Straßen, fordern Einlass in Häuser, nehmen Autos mit, plündern. Niemand ist mehr sicher."
Der gelernte Koch und Gastronom ist überzeugt: Afghanistan werde innerhalb von wenigen Wochen zurückfallen, in die Zeit, bevor die internationale Intervention begann. "Frauen werden verstärkt Selbstmord begehen, da sie nicht in die Hände der neuen Machthaber fallen wollen", befürchtet der 33-Jährige. "Viele werden sich mit Säure selbst verstümmeln, um die Taliban davon abzuhalten, sie mitzunehmen."
Nasir Fais weiß, dass er selbst nichts tun kann. Nur hoffen und beten und solange Kontakt zu seiner Familie halten, wie eben möglich. In Würzburg hat der Koch in diesem Sommer erst das Restaurant "Luisengarten" übernommen, gemeinsam mit seinem iranischen Partner Hassan Arjmand. Traditionelle Küche aus Persien und aus Franken bieten die beide an. "Die Deutschen haben mir sehr geholfen. Jetzt liegt es an mir, ihnen etwas zurückzugeben", sagt Nasir Fais. "Durch meine Arbeit und durch mein Restaurant möchte ich meine Dankbarkeit zeigen."
Da scheinen Sie ja über ganz besonders gute Kenntnisse von Land und Bevölkerung zu haben, wenn Sie das so felsenfest behaupten können...
Solche pauschalisierenden Äusserungen sind einfach nur dumm, denn kein Volk ist eine heterogene Masse, auch bei den Afghanen und Afghaninnen gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen und Positionen. Von heute auf morgen ein westliches Demokratieverständnis in einer Gesellschaft zu fordern, die in weiten ländlichen Teilen in Stammesverbänden leben, die in etwa unserem mittelalterlichen Sozialgefüge entsprechen, ist unrealistisch - da sind Entwicklungsprozesse gefragt, die erheblich mehr Zeit einfordern. Aber ein Anfang ist gemacht, auch Dank der Leistung vieler westlicher Helfer*innen, die sich um Bildung verdient gemacht haben.