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Würzburg
Streit um Kirchenasyl: Ordensschwester wehrt sich gegen Verurteilung
Der Schuldspruch sei eine Enttäuschung, sagte Schwester Juliana Seelmann nach ihrem Prozess. Nun will sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen – trotz milder Strafe.
Schwester Juliana Seelmann aus dem Kloster Oberzell (Lkr. Würzburg) gewährte zwei Frauen Kirchenasyl. Am vergangenen Mittwoch wurde sie vom Amtsgericht Würzburg wegen 'Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt' verwarnt.
Foto: Daniel Karmann, dpa | Schwester Juliana Seelmann aus dem Kloster Oberzell (Lkr. Würzburg) gewährte zwei Frauen Kirchenasyl. Am vergangenen Mittwoch wurde sie vom Amtsgericht Würzburg wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" verwarnt.
Moritz Baumann
Moritz Baumann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:08 Uhr

Am vergangenen Mittwoch hat das Amtsgericht Würzburg die Ordensschwester Juliana Seelmann verwarnt. Sie gewährte 2019 und 2020 zwei jungen Frauen aus Nigeria Kirchenasyl und verhinderte somit deren Abschiebung. Das Amtsgericht wertete dies als "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt". Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Die 38-Jährige, die seit rund zehn Jahren den Franziskanerinnen im Kloster Oberzell (Lkr. Würzburg) angehört, will sich gegen das Urteil wehren und Rechtsmittel einlegen. Das bestätigte ihr Anwalt am Montag gegenüber dieser Redaktion.

Den Franziskanerinnen geht es ums Prinzip

Nachdem die Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens ablehnte, wählte Richter René Uehlin eine denkbar milde Strafe: Seelmann muss, so die Auflagen des Gerichts, 500 Euro an eine karitative Einrichtung spenden und darf sich zwei Jahre lang nichts zu Schulden kommen lassen. Sie darf kein weiteres Kirchenasyl gewähren, sonst drohen ihr zusätzliche 600 Euro Geldstrafe und ein neues Strafverfahren.

Für die Klostergemeinschaft wäre es sicherlich kein Problem, die Strafe zu zahlen. Doch es geht den Franziskanerinnen ums Prinzip. Schwester Juliana wehrt sich gegen einen Schuldspruch, den sie persönlich als Enttäuschung empfindet. Mit diesem Gefühl ist sie nicht allein. Viele Unterstützer solidarisierten sich mit der 38-Jährigen – darunter der Würzburger Bischof Franz Jung.

Wortwahl des Richters sorgte für heftige Irritationen

Im Prozess hatte sie sich auf Artikel 4 des Grundgesetzes, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, berufen. "Ich konnte nicht anders", beteuerte Schwester Juliana im Gespräch mit dieser Redaktion. Wenn jungen Frauen Zwangsprostitution und Gewalt droht, müsse sie die Klosterpforte öffnen. Das Gericht argumentierte dagegen mit dem ebenfalls in der Verfassung verankerten Rechtsstaatsprinzip. Am Ende ist es eine Frage der rechtlichen Abwägung. Es brauche beim Kirchenasyl ein Grundsatzurteil, heißt es aus Justizkreisen.

Für heftige Irritationen sorgte die Wortwahl des Richters: "Ich spreche kein Urteil im Namen Gottes, sondern im Namen des Volkes", sagte Uehlin in der Verhandlung – und ergänzte: "Wir leben in einer Demokratie, nicht in einem Gottesstaat."

Richter: "Offener Rechtsbruch, der nicht entschuldigt werden kann"

Da würden falsche Assoziierungen geweckt, kritisiert Seelmanns Verteidiger Franz Bethäuser und spricht von einer "diskriminierenden Wirkung" des Urteils. Die Gewissensfreiheit sei eindeutig in der Verfassung verbürgt und jeder könne sich darauf berufen – auch eine Ordensschwester. Kirchenasyl habe "nichts mit einem Gottesstaat zu tun", heißt es in einer Mitteilung des Würzburger Flüchtlingsrats.

Doch wie lautete der Kontext des Zitats? Uehlin sprach in der Verhandlung von einem "offenen Rechtsbruch, der nicht entschuldigt werden kann", somit könne es auch keine strafrechtlichen Privilegien für die Kirchen geben. Und er sprach aus, was sich viele im Saal dachten: Es sei ein "Unding", dass Fälle von Kirchenasyl vor den Strafgerichten landen.

Welche Möglichkeiten Schwester Juliana jetzt hat

Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" und die Grüne Jugend Würzburg forderten nach dem Urteil eine "Entkriminalisierung von Kirchenasyl". Auch der Würzburger Flüchtlingsrat pocht auf eine politische Lösung, um die offensichtlichen Lücken in der Asylgesetzgebung zu schließen.

Schwester Juliana hat indes zwei Möglichkeiten: Sie könnte Berufung am Landgericht Würzburg einlegen oder direkt die Option einer Sprungrevision zum Bayerischen Obersten Landesgericht in Bamberg wählen. Das entscheidet sich, sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen.

Die Staatsanwaltschaft Würzburg will die Entscheidung des Amtsgerichts akzeptieren. Das Urteil sei "vertretbar", teilte Oberstaatsanwalt Tobias Kostuch am Montag mit. Für die Behörde sei der Schuldspruch entscheidend, gleichzeitig stellt er klar: Natürlich habe auch die Staatsanwaltschaft die Grundrechte von Schwester Juliana abgewogen – jedoch mit einem anderen Ergebnis.

Insbesondere die Argumentation der Ordensschwester, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) beurteile Härtefälle falsch und deshalb sei ein Kirchenasyl notwendig, sei nicht nachvollziehbar. Laut Kostuch treffe das Bamf seine Entscheidungen unter anderem auf Basis von "diplomatischen Erkenntnissen", während sich die Geistlichen auf die Schilderungen der Geflüchteten verließen.

 
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  • berndloeber
    Finde die Strafe eher zu milde, wer sich nicht an die Gesetze hält, muss die Konsequenzen tragen, ohne Rücksicht auf Rang und Namen.
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  • bernhard.mott@arcor.de
    Recht und Gesetz gelten für ALLE. Es wäre schlecht, wenn man sich heraus suchen könnte, wann für die Kirche Recht und Gesetz nicht angewandt wird.
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  • Horschti
    Es wäre interessant zu erfahren, warum der Verteidiger von Frau Seelmann von einer "diskriminierenden Wirkung" des Urteils spricht und worin diese bestehen soll.

    Gerade beim Thema "Kirchenasyl" besteht ein hohes Risiko der sicher im Einzelfall gut gemeinten, aber dennoch missbräuchlichen Ausübung der Gewissensfreiheit. Sollte dieses Grundrecht höher als das Rechtsstaatsprinzip bewertet werden, ist das eine faktische Kapitulation des Rechtsstaates. Höhere Instanzen werden es aber hoffentlich nicht so weit kommen lassen.

    Der Richter hat weise entschieden. Prinzipienreiterei, wie sie die Ordensschwester jetzt betreibt, ist völlig fehl am Platz. Sie sollte sich in Demut und Gehorsam auch gegenüber der weltlichen Obrigkeit üben. Dass sich der Bischof vor diesen Karren spannen lässt, ist allerdings unfassbar. Die Kirche mit ihrem ganz besonderen Rechtsverständnis hat derzeit andere Sorgen ...
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  • johannes-fasel@t-online.de
    @Horschti: "... Dass sich der Bischof vor diesen Karren spannen lässt, ist allerdings unfassbar. Die Kirche mit ihrem ganz besonderen Rechtsverständnis hat derzeit andere Sorgen ..."

    Vielleicht ist es aber auch umgekehrt und der Bischof spannt an: Bei der Ordensfrau ist im Haftungsfall nichts zu holen und die Tagessätze sind deutlich niedriger.
    Und eine demonstrative Zurschaustellung von moralischer Überlegenheit, Menschlichkeit und Barmherzigkeit ist angesichts der 'derzeitigen anderen Sorgen der Kirche' vielleicht nicht die schlechteste Idee.
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  • matthiasr
    Es wäre interessant alle Hintergründe zu kennen, auch die auf deren Entscheidung die Ablehnung des Asylgesuchs durch die Behörden beruht um sich wiklich eine Meinung von dem Thema bilden zu können.
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  • Funkenstern
    wenn das Kirchenasyl (ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, wie die Kirche und deren Anschauungen selbst) zu einer banalen Aufenthaltsverlängerung verkommt und missbraucht wird, wird es Zeit, über den Sinn desselben in der heutigen Situation nachzudenken. Die Dame hat einen Denkanstoss bekommen, ob sie sich vor den Karren der Aufenthaltserschleichung spannen lassen will. Es gibt Asylregelungen und wenn nun ein Grossteil der Abzuschiebenden spitzkriegt, dass ein weiteres Schlupfloch aufgetan ist, können wir so langsam den Laden hier dichtmachen. Es kann nicht jeder machen, was er will oder wie es ihm beliebt. Es gibt Regeln und die sind schon aufgeweicht genug,da brauchts nicht noch die Institution Kirche, deren Vergangenheitsbewältigung auch noch nicht im Hier und Jetzt angekommen ist.
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  • LotharS
    Ich glaub es geht los! Die Ordensschwester soll doch mit dem Urteil des AG zufrieden sein. Das war ein klarer Rechtsbruch. Dass sich der Würzbueger Bischof mit der Ordensfrau solidarisiert ist schon sonderbar.
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  • johannes-fasel@t-online.de
    @LotharS: "... Dass sich der Würzburger Bischof mit der Ordensfrau solidarisiert ..."

    Die Ordensfrau steht zwar im Vordergrund, aber dem Gehorsam verpflichtet, hat wohl im Hintergrund der Bischof die Fäden in der Hand.
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  • webewue
    Auch eine Ordensschwester hat ihren Platz im Rechtstaat und da muss auch sie sich unterordnen. Sonst geht es ja zu wie am Mainufer! Wo bleibt die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel?
    Wie wäre der Stand bei einem Bürger ohne Lobby?
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  • ra.kellermann@gmx.de
    wenn nur sie RM einlegt, kanns nicht schlechter werden. Wird aber wohl nichts bringen...
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  • kej0018@aol.com
    @Franken 48

    Es soll schon so mancher totgelacht haben...
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  • k.a.braun@web.de
    Viele fatale Fehlentscheidungen der Justiz in Sachen Asyl (und die lebensbedrohlichen bis tödlichen Folgen der daraus resultierenden Abschiebungen) belegen, dass das Regulativ Kirchenasyl als letztes Mittel notwendig ist und bleibt. Es wird legitimiert durch die im Grundgesetz verankerte Gewissensfreiheit. Ein Grundsatzurteil hat diese also zu bestätigen, nicht zu unterhöhlen!
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  • Albatros
    @Silvaner, das Regulativ der Kirche darf es nicht mehr geben, denn genau hinter diesem Regulativ hat sich die Kirche im umgedrehten Fall über Jahrzehnte mit grausamen sexuellen Verbrechen versteckt. Wir benötigen keinen Staat im Staat, die Gesetze müssen für Jeden gelten, ohne wenn und aber. Die Tatsache, dass sich Frau Seelmann gegen das Urteil wehrt, ist legitim und führt möglicherweise zu einer höchstrichterlichen wegweisenden Entscheidung, welche zu begrüßen wäre. Denn Artikel 4 des Grundgesetzes, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, gilt nicht nur für Frau Seelmann, sondern für jeden Bürger dieses Landes. Somit könnte auch Jedermann künftig Asyl gewähren, dann allerdings wären die Gesetze in Deutschland und in Europa in Sachen Asylrecht überflüssig.
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  • rolandroesch@web.de
    Das Gesetz aber auch
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  • martin-dobat@t-online.de
    In dieser Auseinandersetzung geht es um einen "religiösen Humanismus", weltliche Organisationen stellen sich auf die Seite der Ordensschwester, biblische Wahrheiten spielen wohl eher keine Rolle. Die Nächstenliebe wird dann häufig missbraucht, um eigene Anschauungen zu legitimieren. L.G. Martin Dobat
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  • Franken48
    Ich würde lachen, wenn die Strafe jetzt höher ausfällt.
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  • gowell70@yahoo.de
    Lachen Sie doch, Franken 48 !
    Lachen ist oftmals ein Zeichen für nicht verstehen.
    Und offensichtlich haben Sie nicht verstanden, dass es hier nicht um die Höhe der Strafe geht, sondern darum, die Sache mit dem Kirchenasyl höchstrichterlich und grundsätzlich klären zu wollen.
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  • harryamend@outlook.de
    @GWM
    Wie so schon sagten ist dies höchstrichterlich zu entscheiden und bis dies so ist solange gilt das was der Richter entscheidet und nicht die Kirche. Die Kirche steht nicht über das Gesetz auch wenn sie sich das einbildet. Im übrigen ist das Kirchenasyl durch die Härtefallkommission obsolet geworden.
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  • dbuettner0815@gmail.com
    Es gibt Menschen, die lachen über ihre eigene Dummheit! 🤣
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  • e.max.s@t-online.de
    Ihr Kommentar trägt nicht zur Diskussion bei.
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