
Der Druck ist spürbar, auf allen Seiten. Die Mitarbeitenden erhalten ein Redeverbot gegenüber Medien, eine Führungskraft wird offenbar degradiert - und Verantwortliche räumen ein, dass es bei ihrer Entscheidung auch um ein Signal an die Politik gehe. Seit öffentlich wurde, dass das Bayerische Rote Kreuz (BRK) drei Beratungsstellen des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) in Würzburg, Kitzingen und Ochsenfurt aus Kostengründen zum Jahresende schließen will, ist die Aufregung groß.
Man ringe um den Erhalt der Beratungsstellen, teilte der BRK-Kreisverband Würzburg an diesem Donnerstag in einem Presseschreiben mit. Doch "trotz aller Bemühungen" habe man in einer Vorstandssitzung zu Beginn der Woche "keine mehrheitsfähige Lösung" gefunden, um den Betrieb längerfristig zu sichern. Weder sei bisher klar, ob und wie die drei Beratungsstellen von anderen Trägern übernommen werden könnten, noch hätten "intensive Gespräche mit dem Bezirk Unterfranken zur Finanzierung" etwas ergeben.
Drohende Schließung der Dienste im Raum Würzburg: Präzedenzfall für die Politik
Der Bezirk fördert sozialpsychiatrische Beratungsstellen nach einer bayernweit einheitlichen Richtlinie für Personal- und Sachkosten. Damit sei keine "auskömmliche Finanzierung" möglich, betonte Kreisverbands-Geschäftsführer Oliver Pilz gegenüber dieser Redaktion am Donnerstag erneut. Das Defizit in den Beratungsstellen belief sich im Jahr 2024 laut Pilz auf "über 50.000 Euro".
Auf die Frage, ob man mit den Schließungen einen Präzedenzfall schaffen wolle, um Druck auf die Politik auszuüben, antwortet der Geschäftsführer: "Wenn Sie es so ausdrücken wollen - ja. Es kann nicht sein, dass wir eine Leistung für den Staat erbringen, wo wir als Organisation Geld mitbringen müssen." Das Finanzierungssystem für niederschwellige Beratung müsse überdacht werden.
Einladung des BRK ins Bayerische Gesundheitsministerium
Die angekündigte Schließung ist inzwischen auch Thema beim Bayerischen Gesundheitsministerium in München. Es habe dazu eingeladen, "ergebnisoffen mögliche Lösungen für den anzustrebenden Erhalt" der drei Beratungsstellen auszuloten, heißt es beim BRK. Das Gespräch soll im April stattfinden.
Die Leidtragenden bisher: Hilfesuchende, die Sorge haben, dass sie künftig keine schnelle Unterstützung in seelischen Krisen mehr erhalten. Und Mitarbeitende, die um ihre Jobs bangen und eine Versorgungslücke in der Region befürchten. Ärzte und Psychotherapeuten warnen bereits vor einer "Eskalation" psychischer Erkrankungen ohne Beratung und den gesellschaftlichen Folgen.
Vor den Risiken gewarnt hatten auch Sozialpsychiatrie-Bereichsleiter Michael Urbas und zwei Kolleginnen des BRK in einem Gespräch mit dieser Redaktion. Sie wiesen auf die Wichtigkeit ihrer Arbeit hin - offenbar aus Sicht der Geschäftsführung unerlaubt. Kurz nach dem Gespräch erteilte Pilz allen Beschäftigten des Sozialpsychiatrischen Dienstes ein Redeverbot gegenüber Medien, wie er nun bestätigt: "Es geht nicht, dass Mitarbeitende uns erst im Nachgang darüber informieren, wenn sie mit der Presse sprechen."
Durch ein "Wirrwarr" an Auskünften sei es in der Öffentlichkeit zu Missverständnissen gekommen, erklärt Stefan Krüger, Pressesprecher des BRK-Kreisverbandes. Es sei wichtig, "mit einer Stimme" zu sprechen. Dass der Kreisverband erst einen Monat, nachdem diese Redaktion das geplante Aus der Beratungsstellen publik gemacht hatte, erstmals mit einer Pressemitteilung selbst Stellung nimmt, sei "nicht klug" und ein "Versäumnis" gewesen, räumt Krüger ein. Man habe keine "große Wallung" machen, sondern abwarten wollen, ob man noch eine Finanzierung oder Übernahme der Beratungsstellen hinbekomme.
Sozialpsychiatrie-Bereichsleiter offenbar degradiert
Brisant: Kurz nach dem Treffen mit dieser Redaktion verschwand der Name des bisherigen Bereichsleiters Sozialpsychiatrie, Michael Urbas, in dieser Funktion von der Homepage des BRK-Kreisverbands. Ob der 55-Jährige von seiner Führungsaufgabe entbunden wurde, als Sanktionsmaßnahme? "Ich kommentiere Personalangelegenheiten nicht", sagt Geschäftsführer Pilz. Auf Nachfrage erklärt er aber, er selbst habe die administrativen Aufgaben von Urbas übernommen.
Indirekt bestätigt er also dessen Degradierung. Urbas bleibe beratend beim Sozialpsychiatrischen Dienst tätig, sagt Pilz. Der bisherige Bereichsleiter selbst schweigt - und verweist an seinen Chef.

Nach Informationen dieser Redaktion kritisierte Pilz die Belegschaft der Beratungsstellen dafür, sich für "Öffentlichkeitsarbeit" zu engagieren statt für Sparmaßnahmen. Dass Geschäftsführer Pilz auch Urbas mitverantwortlich macht für die Misere, wird am Donnerstag deutlich: Er meine das "nicht despektierlich", sagt Pilz, aber es gehöre "zur Wahrheit dazu": Man habe vor drei Jahren für die Bereichsleitung "bewusst jemanden gesucht, mit der Maßgabe, Kosten zu optimieren".
Doch obwohl die finanzielle Not in den Beratungsstellen bekannt gewesen sei, seien Einsparungen nicht wie gewünscht erfolgt. Konkret möglich gewesen wären Sparmaßnahmen laut Pilz bei der Anzahl der Büros, Fortbildungen oder Supervisionen.
Der Geschäftsführer wiederum wird wiederholt für harsche Wortwahl kritisiert. So heißt es von mehreren Seiten, bei der Personalversammlung am 30. Januar habe Pilz zu den vor der Entlassung stehenden Mitarbeitenden gesagt: "Ihr seid nicht die Ersten, die über die Klinge springen und werdet auch nicht die Letzten sein." Pilz dementiert dies: "Vollkommen falsch."
Sanierungsausschuss soll defizitäre BRK-Bereiche überprüfen
Offensichtlich ist: Der Druck ist hoch, auf allen Seiten. Und er wächst weiter durch sinkende Spenden und wegfallende Fördermitglieder. Die Schließung der Beratungsstellen sei ein "äußerst schmerzhafter Schritt" wird der BRK-Kreisvorsitzende, Landrat Thomas Ebert, in der Pressemitteilung zitiert. Doch habe man den vergangenen Jahren rund eine Million Euro an Mitgliedsbeiträgen und Spenden nur dafür zur Refinanzierung aufgebraucht.
Ein Sanierungsausschuss soll nun andere defizitäre Bereiche wie die Altenheime, Tagespflegen und Kitas überprüfen, um Kosten zu sparen. Bezirksgeschäftsführer Harald Erhard warnt in dem Schreiben vor der Gefahr, "dass der Kreisverband als Sanierungsfall eingestuft wird und somit auch andere nicht refinanzierte Angebote eingeschränkt werden müssen".
Eventuell sollte sich auch die zuständige Polizeibehörde einmal äußern bzw. durch die Redaktion angefragt werden: die Beamtinnen und Beamten sind nämlich die ersten, die das merken werden, wenn Menschen in psychischer Notlage nicht mehr versorgt werden, keine Ansprechpartner mehr haben.
Und schlimmstenfalls geht es eben um Leib und Leben.
https://www.zeit.de/2025/11/gefahr-hausgemeinschaft-nachbarschaft-psyche-wahn-polizei