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Würzburg/Kitzingen
Aus der sozialpsychiatrischen Beratung des BRK Würzburg: "Eine Katastrophe für alle, die Unterstützung brauchen"
Wo sollen Hilfesuchende hin, wenn das BRK seine sozialpsychiatrischen Beratungsstellen in Würzburg, Kitzingen und Ochsenfurt einstellt? Mitarbeitende warnen.
Warnen vor den Folgen einer Schließung der Beratungsstellen des Sozialpsychiatrischen Dienstes im BRK-Kreisverband Würzburg: (v. li.) Annette Grüttner, die Leiterin der Beratungsstelle in Kitzingen, Sozialpsychiatrie-Bereichsleiter Michael Urbas und Psychologin Johanna Schams.
Foto: Silvia Gralla | Warnen vor den Folgen einer Schließung der Beratungsstellen des Sozialpsychiatrischen Dienstes im BRK-Kreisverband Würzburg: (v.
Bassel Matar
 und  Natalie Greß
 |  aktualisiert: 15.03.2025 02:35 Uhr

Psychische Erkrankungen sind nicht nur persönliches Schicksal. Vorfälle wie die Messerattacke in Aschaffenburg zeigen: Sie sind auch eine gesellschaftliche Herausforderung. "Das Lebenszeitrisiko, an einer psychischen Erkrankung zu leiden, ist in Deutschland erschreckend hoch - es liegt bei rund 50 Prozent", sagt Diplom-Psychologin Johanna Schams vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Die Zahl verdeutliche, wie wichtig es sei, "dass wir über diese Themen sprechen und Unterstützung bieten". 

Seit 25 Jahren ist Johanna Schams beim BRK tätig, sie arbeitet beim Sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi) des Kreisverbands Würzburg. Dessen drei Beratungsstellen in Würzburg, Kitzingen und Ochsenfurt stehen jetzt vor dem Aus: Ende des Jahres sollen sie geschlossen werden, hat Kreisverbands-Geschäftsführer Oliver Pilz im Februar bestätigt.

Als Grund nannte Pilz ein "finanzielles Defizit im mittleren fünfstelligen Bereich". Die Förderung des Sozialpsychiatrischen Dienstes durch den Bezirk Unterfranken in Höhe von 672.000 Euro im Vorjahr und in Höhe von 674.000 Euro in diesem Jahr reiche nicht aus, um kostendeckend zu arbeiten.

Die Beratungsstellen bieten Menschen Hilfe, die psychisch erkrankt sind, manche von ihnen chronisch. Und Menschen, die etwa wegen eines Trauerfalls oder einer Trennung, familiärer oder beruflicher Konflikte in einer seelischen Krise sind. Nicht nur Betroffene, auch Angehörige können sich an den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden.

Die Aufgaben dort sind vielfältig: von stabilisierender Beratung über Überbrückung von Wartezeiten auf einen Therapieplatz bis hin zu Gruppenangeboten wie Wandertreffs oder Gartenarbeit. Dazu haben die Beratungsstellen eine wichtige Lotsenfunktion: Sie vermitteln weiterführende Hilfe bei Fachärzten, in Tageskliniken oder Betreutem Wohnen. "Die Schließung der Beratungsstellen wäre eine Katastrophe für alle, die Unterstützung brauchen", sagt Sozialpsychiatrie-Bereichsleiter Michael Urbas.

Bereichsleiter Sozialpsychiatrie: Über 7000 Beratungskontakte im Jahr 2024

"Es gibt uns seit 45 Jahren", sagt Psychologin Johanna Schams. "Aber wir machen keinen Lärm. Unser Angebot ist leise." Um ihre Rolle in der Gesellschaft sichtbar zu machen, wollen sie und ihre Kollegen die Öffentlichkeit über ihre Arbeit aufklären. Und "aufzeigen, was durch die Schließung verloren gehen würde", wie Sozialpädagogin Annette Grüttner, die Leiterin der Beratungsstelle in Kitzingen, sagt.

Grüttner arbeitet seit 30 Jahren beim BRK, wie Schams und Urbas ist sie 55 Jahre alt. Alle drei rechnen demnächst mit Kündigungen, genauso wie zehn weitere Mitarbeitende. Doch noch hoffen sie auf eine Wende.

Die Wichtigkeit der drei Beratungsstellen belegt Urbas mit Zahlen. Im Jahr 2024 habe es dort insgesamt mehr als 7000 Beratungskontakte gegeben. Dabei seien 681 Klientinnen und Klienten sowie 101 Angehörige unterstützt worden. Hilfesuchende erhielten innerhalb von zwei bis vier Wochen einen Ersttermin. Doch wo bekommen diese Menschen im Raum Würzburg und Kitzingen in Zukunft solch niederschwellige und schnelle Unterstützung?

"Die Beratungsstellen zu schließen wäre, als würde man den Stöpsel aus einem Schlauchboot ziehen."
 Johanna Schams, Psychologin beim BRK-Kreisverband Würzburg

Die Besorgnis und Unsicherheit unter den Klienten und Klientinnen sei greifbar, sagt Michael Urbas. "Viele fragen uns: Wo kann ich denn dann hin? Wir können ihnen keine Antwort geben." Die Schließung der Beratungsstellen würde "eine große Versorgungslücke reißen", betont die Kitzinger Leiterin Annette Grüttner. In ländlichen Gebieten sei der Sozialpsychiatrische Dienst oft die einzige Anlaufstelle für Menschen in psychischen Krisen. "In Würzburg gibt es vielleicht Ersatzadressen, aber keine Ersatztermine. Die Wartelisten sind überall lang." 

Ständiger Kampf gegen das Stigma psychischer Erkrankungen

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stünden in einem ständigen Kampf, erklärt Urbas: "Wir arbeiten im Sinne einer Entstigmatisierung streng dagegen, dass psychisch krank sein gleichgesetzt wird mit gewalttätig sein." Diese Aufklärungsarbeit sei essenziell, um das gesellschaftliche Bild von psychischen Erkrankungen zu verändern und Betroffenen zu helfen, offen über ihre Probleme zu sprechen.

Psychologin Johanna Schams wählt einen eindrücklichen Vergleich: "Die Beratungsstellen zu schließen wäre, als würde man den Stöpsel aus einem Schlauchboot ziehen." Die Folgen wären nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gesellschaft verheerend. Und, ergänzt Annette Grüttner: "Kontraproduktiv in einer Zeit, in der wir unser Angebot eher ausbauen müssten." 

 
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  • Stefan Flessa
    Es wird noch viel schlimmer kommen, wenn wir als Gesellschaft es nicht verstehen, dass nicht das Motto schneller - höher- weiter hilft, sondern, dass wir als Gesellschaft mal ein oder zwei Gänge zurück schalten müssen, damit es nicht mit Vollgas gegen die Wand geht, weil oh Wunder psychische und andere Erkrankungen immer mehr zunehmen.

    Freilich kann man sich in einer globalisierten Welt nicht von allem abkoppeln. Dennoch müssen wir mit der Ressource Gesundheit besser haushalten, weil die Kosten für Krankheiten durch schneller- höher - weiter ganz schnell explodieren und in keinem Verhältnis zu dem Nutzen von schneller - höher - weiter stehen.

    Nur begreifen viele Menschen das erst, wenn die Gesundheit ruiniert ist oder wenn sie einen Klinikaufenthalt haben…
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  • Martin Deeg
    Schneller, höher, weiter?

    Es geht wohl eher um soziale Ausgrenzung, Stigmatisierung, Versagen der Gemeinschaft. Bis es knallt, auf die eine oder andere Weise.

    Das Problem ist, dass charakterlich deformierte Menschen in Führungs- und Entscheiderfunktionen ihre Dogmen und ihr Menschenbild allen anderen überstülpen wollen, die Gesellschaft vergiften, Einzelne immer mehr in die Ecke gedrängt werden, Strukturen kaputt gemacht werden, Bindungen zerstört.
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  • Martin Deeg
    Quellenangaben fehlen. Bitte belegen Sie Ihre Aussagen mit entsprechenden Links und fügen Sie diese in einen neuen Kommentar ein.
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