zurück
Hettstadt
Starb Sabrina, weil Autofahrer seine Tabletten nicht nahm?
Im Prozess um den Tod einer Spaziergängerin in Hettstadt rückt die Entscheidung näher: War der Unfall vorhersehbar und damit vermeidbar?
Nach dem Unfall blieb der Wagen des Unfallfahrers auf dem Gehägsweg bei Hettstadt auf dem Dach liegen. Augenzeugen retteten ihn aus den Trümmern, für die Spaziergänegrin kam jede Hilfe zu spät.
Foto: Berthold Diem | Nach dem Unfall blieb der Wagen des Unfallfahrers auf dem Gehägsweg bei Hettstadt auf dem Dach liegen. Augenzeugen retteten ihn aus den Trümmern, für die Spaziergänegrin kam jede Hilfe zu spät.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 19.10.2020 10:37 Uhr

Welche Überraschungen kommen am heutigen Montag in dem Prozess zur Sprache? Schon bisher bot die Verhandlung um eine fahrlässige Tötung Unerwartetes. Der Würzburger Amtsrichter Frank Glöckner und seine zwei Schöffen sollen entscheiden, ob und wie der 32-jährige Autofahrer Simon L. für den Unfalltod der Spaziergängerin Sabrina P. aus Hettstadt zur Verantwortung zu ziehen ist.

Für und Wider

Einerseits ist Simon L. zu bedauern: Wenn der 32-Jährige einen Anfall bekommt, ist es wie ein Filmriss. Der Karosserieveredler verliert das Bewusstsein und die Kontrolle über sein Tun. Er weiß nicht mehr, wo er ist. So hat er es selbst dem Gericht zum Auftakt beschrieben.

Rund 400 Meter von der Staatstraße 2298 entfernt liegt der Unfallort im Gehägsweg, wo Blumen und Kerzen an den Tod der 26-jährigen Spaziergängerin erinnern, die am 6. Januar 2018 bei einem Verkehrsunfall am Ortsrand von Hettstadt ums Lebens kam.
Foto: Patty Varasano | Rund 400 Meter von der Staatstraße 2298 entfernt liegt der Unfallort im Gehägsweg, wo Blumen und Kerzen an den Tod der 26-jährigen Spaziergängerin erinnern, die am 6.

Darf so einer Auto fahren, der mit seinen Anfällen eine Gefahr für sich und andere werden kann? Unzweifelhaft saß er hinter dem Steuer, als ihn am 18. Januar 2018 wieder so ein Anfall packte. Und dann war die 26-jährige Sabrina einfach zur falschen Zeit am falschen Ort: Simon verlor die Gewalt über seinen Suzuki und überfuhr die Spaziergängerin und ihren Hund – auf dem Gehägsweg, auf dem er nichts zu suchen hatte und auf dem nur 30 Kilometer pro Stunde erlaubt wären.

Straße überquert, weiter gerast

Simon erzählt, er habe beim Erfühlen des Anfalls aus der Ortsmitte heraus gewollt auf den Weg, wo er den Anfall vorübergehen lassen wollte. So überquerte er mit 123 Kilometern pro Stunde die belebte Staatsstraße und raste dann den unbefestigten Weg entlang, ehe er nach 400 Metern die Kontrolle über seinen Wagen verlor, Sabrina erfasste, sich überschlug und auf dem Dach liegenblieb.

Sabrina P. verstarb an Schädelbasis- und Rippenbrüchen noch an der Unfallstelle, Simon L. wurde nur leicht verletzt. Heute sagt er: „Ich hätte gern einige ihrer Verletzungen gehabt.“ Ihr Vater schüttelt da nur fassungslos den Kopf. 

Schon einmal am Steuer eines schleudernden Autos

Denn seit 2009 weiß Simon, dass er nicht mehr ans Steuer soll. 2011 landete er schon einmal vor Gericht. Da war er der Fahrer eines völlig überbesetzten Wagen mit acht Jugendlichen gewesen. Auch der kam ins Schleudern und von der Straße ab. Ein 16-Jähriger, der im Kofferraum saß, war durch die Heckscheibe auf die Straße geschleudert worden und überlebte nur mit Glück. Damals war Alkohol die Ursache – und Simon L. verlor zeitweise den Führerschein.

Der Angeklagte (zweiter von rechts) vor Gericht. Der Vater des Unfallopfers (links) konfrontierte ihn mit unangenehmen Fragen.
Foto: Schweidler | Der Angeklagte (zweiter von rechts) vor Gericht. Der Vater des Unfallopfers (links) konfrontierte ihn mit unangenehmen Fragen.

Den holte er sich 2016 wieder, verschwieg in der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) und im Antrag ans Landratsamt, welche Gefahr von ihm ausgehen könnte, wenn erneut ein Anfall auftrat (was ein bis zweimal pro Monat der Fall war). Drei Monate vor dem Unfall hatte ihn ein Epilepsie-Spezialist eigens noch einmal gewarnt, jemals wieder ein Auto zu steuern. Aber Simon verschwieg selbst seinen Eltern gegenüber seine Erkrankung. 

Tabletten vergessen

Staatsanwältin Martina Pfister-Luz nennet den Unfall, bei dem Sabrina starb, „einen der überflüssigsten, den ich je gesehen habe.“ Sie hat Simon L. der fahrlässigen Tötung angeklagt. Und sie war, wie andere auch, überrascht, als der Fahrer plötzlich zugab: Die Tabletten, die seine Anfälle dämpften, habe er an jenem Morgen schlicht zu nehmen vergessen.

Im Prozess kommen jetzt die Gutachter zu Wort in der Frage: War der Unfall für den Angeklagten vorhersehbar - und damit vermeidbar? Oder war er einfach so weggetreten, dass man ihn nicht für die Unfallfolgen verantwortlich machen kann? Die Verhandlung beginnt am Montag um 9 Uhr

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Hettstadt
Manfred Schweidler
Auto
Autofahrer
Debakel
Gefahren
Staatsanwälte
Tod und Trauer
Tötung
Unfallfolgen
Unfalltod
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Funkenstern
    mag ja sein, dass er da schuldunfähig rauskommt. Aber seinen Führerschein MUSS er lebenslänglich los sein, solange die Anfälle bekannt sind.
    Der bedingte Vorsatz ist alle mal darzustellen. Denn: selbst wenn nichts passiert ist bei einem Anfall, war ihm doch bekannt, dass es einer war. Somit wird es so sein, dass er aus dem Unfall rauskommt, wenn ihm nicht der Führerschein entzogen wird, falle ich vom Glauben ab.
    Auf das Urteil mit der Begründung bin ich gespannt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Da fehlen Dir die Worte -

    bei der MPU die gesundheitlichen Probleme verschwiegen???

    Liebe Leut', das ist für mich keine Fahrlässigkeit mehr - das ist bedingter Vorsatz. Kann man da nicht zumindest wegen erheblicher charakterlicher Defizite die Fahrerlaubnis auf Lebenszeit entziehen? Das macht zwar niemanden mehr lebendig, man muss aber mMn den weiteren Schutz der Allgemeinheit höher gewichten als die Freiheit eines einzelnen, der seine Tendenz zur Verantwortungslosigkeit mit dieser Tat ziemlich krass unterstrichen hat.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albatros
    @grayjohn, ein guter Anwalt wird alle erdenklichen Schlupflöcher unseres Rechtssystems ausschöpfen und dazu gehören nun einmal alle Tatbestände der Schuldunfähigkeit. Alleine die Tatsache dass sich Beschuldigte in einer juristischen Zweiklassengesellschaft bewegen, zeigt, wie unausgewogen unser Rechtssystem ist. Ein erstklassiger Anwalt findet Schlupflöcher und Wege für seinen Mandanten, die möglicherweise zu einem Freispruch führen. Das gleiche Verfahren führt unter Umständen bei einem Pflichtverteidiger oder mittelmässiger Anwalt dazu, dass der Beschuldigte eine Freiheitsstrafe erhält. Also entscheidet möglicherweise auch Geld über Recht und Unrecht? Strafe muss für alle einheitlich sein, das ist sie aber nicht. Unser Rechtssystem hat sich immer mehr in Richtung Täterschutz entwickelt, ich bin mir nicht sicher ob dies den Anforderungen der Gesellschaft gerecht wird. Recht muss für die breite der Gesellschaft verständlich sein, nicht für ein paar Tausend Juristen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • dbuettner0815@gmail.com
    Man kann ihn für den Unfall verantwortlich machen!
    Seine Krankheit war bekannt, er hätte nie fahren dürfen. Dies wurde ihm mehrfach gesagt. Wäre er nicht gefahren, wäre es nicht zum schrecklichen Unfall gekommen. Die vergessenen Pillen, können da keine Entschuldigung sein. Freiheitsstrafe ist unumgänglich und der Führerschein für immer weg!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • harryamend@outlook.de
    das ist noch milde ausgedrückt denn so jemand dürfte gar keinen Führerschein mehr haben bzw, nie einen erlangen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albatros
    Warum sucht unser Rechtssystem nach allen erdenklichen Möglichkeiten den Beschuldigten zu entlasten? Ich denke dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ein Rechtssystem haben möchte, welches man auch ohne Jurastudium versteht. Ein Rechtssystem, dass den Beschuldigten zweifellos ein ordentliches Verfahren ermöglicht, aber eben ein Verfahren, dass den Täter nicht um jeden Preis entlastet. Ein Rechtssystem, dass Menschen für ihre Taten zur Verantwortung zieht. Wir als Gesellschaft sollen unsere Kinder zu selbständigen und verantwortungs-bewussten Menschen erziehen, dass heißt auch im Leben Verantwortung zu übernehmen. Solange Alkohol, Drogen, die Nichteinnahme von Medikamenten zu strafunfähigkeit führen, solange haben wir kein Rechtssystem, welches der Gesellschaft gerecht wird. Simon L. wusste, dass er ohne Tabletten nicht fahren darf, ergo hat er diesen Unfall billigend in Kauf genommen, genau dafür sollte er angemessen bestraft werden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • harryamend@outlook.de
    Sehr gut geschrieben und richtig erkannt. Es ist einfach erbärmlich wie unsere Rechtssystem eigentlich keines ist.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten