Es war ein äußerst seltenes und millionenfach betrachtetes Ereignis: die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999. Damit man ohne Augenschaden nach oben blicken konnte, hatte der Würzburger Hobby-Astronom und Tüftler Klaus Hünig (73) eine Schutzbrille aus Pappe und Aluminiumbeschichtung entwickelt – und den Coup seines Lebens gelandet. 17 Millionen der SoFi-Brille wurden weltweit verkauft und bescherten Hünig Erfolg und ein großes Medieninteresse. Die Bezeichnung "Deutschlands Brillenkönig", wie ihn "Bild" nannte, mag er bis heute nicht. Zum zwanzigsten Jahrestag erinnert sich Hünig und erzählt, wie das Ereignis sein Leben verändert hat.
Frage: Ist der 11. August für Sie noch ein besonderer Tag?
Klaus Hünig: Ja, natürlich. Die Sonnenfinsternis 1999, verbunden mit meiner Brillenaktion, das war schon ein bedeutender Einschnitt in meinem Leben und auch dem meiner Familie. Eines. Nach 20 Jahren werden viele Erinnerungen wach.
Welche fallen Ihnen ein?
Hünig: Da ist nicht zuletzt der Tag der Sonnenfinsternis. Wir sind aufs Geratewohl Richtung Süden gefahren, weil man da die Sonnenfinsternis besser sah. Wir waren dann am Kloster Maulbronn oberhalb von Pforzheim. Und es war beeindruckend. Als ob eine riesige Hand über die Erde wischte. Dazu die vielen Menschen mit meinen Brillen. Doch so ganz genießen konnte ich es nicht. Denn ich dachte ständig, hoffentlich sind die Schutzbrillen auch alle sicher.
Eine unbegründete Angst?
Hünig: Letztlich ja. Allerdings hat sich am nächsten Tag ein Mann bei mir gemeldet und gesagt, sein Sohn sehe kleine weiße Flecken. Ich habe ihm geraten, sofort zum Arzt zu gehen, wo man dann aber feststellte, dass die Flecken andere Ursachen hatten. Durch die frühe Entdeckung konnte man die Netzhaut sogar noch gut behandeln. Als das klar war, fiel mir ein Stein vom Herzen.
Das war nicht der erste Stress mit der Brille ...
Hünig: Nein, den hatte ich zwei Tage zuvor, als wir Schutzbrillen in der Echtergalerie verkauften. Ungefähr 10 000 an diesem Tag, das Stück zu fünf Mark. Bis zum Dominikanerplatz ging um 9 Uhr früh schon die Schlange. Und ständig klingelte mein Handy, weil einer noch Brillen wollte. Dass das solche Ausmaße annimmt, hat mich überrascht. Zum Beispiel kam ein Optiker extra aus Hamburg, um Brillen zu kaufen. Aus Hannover schickte einer ein Taxi. Und inmitten des ganzen Trubels erhielt ich einen Anruf, dass ein ZDF-Wissenschaftsmagazin die Meldung von defekten und möglicherweise gesundheitsschädlichen Brillen verbreitet hat.
Mit welchen Folgen?
Hünig: Viele Menschen waren verunsichert, riefen bei Optikern und Augenärzten an. Manche gaben ihre Brille zurück. Dabei ging es lediglich um 14 nur einseitig beschichtete Schutzbrillen, mit denen man aber bis zu einer Viertelstunde gefahrlos in die Sonne schauen konnte. Das war Panikmache.
Der Erfolg kam ungeplant?
Hünig: In diesem Ausmaß mit letztlich 17 Millionen verkauften Schutzbrillen schon. Aber eine gewisse Nachfrage habe ich vorhergesehen. Eineinhalb Jahre lang habe ich an der Entwicklung der Brille mit ihren beidseitigen Aluminium-Schutzschichten gearbeitet. Dann bot ich sie als Bausatz einem großen Verlag an. Dieser wollte aber eine fertige Brille, was für ihn rückblickend eine gigantische Fehlentscheidung, aber mein großes Glück war. Ich nahm die Fertigung und den Vertrieb selbst in die Hand.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Hünig: Interesse an Himmelskunde hatte ich schon immer, aber wenig Ahnung von Astronomie. Als Lehrer an der Waldorfschule, was ich bis 1997 war, machte ich mit einer Klasse Sternenkunde und fand kein Anschauungsmaterial. So entwarf ich ein kleines, dreidimensionales Modell der Himmelskuppel - der Grundstein für meinen 1981 gegründeten Astromedia-Verlag. Das Miniplanetarium zum Selberbauen schlug mit über 1000 Bestellungen gleich richtig ein. Meine Frau und ich haben den Vertrieb und das ganze Drumherum damals zuhause selbst gemacht, das war sozusagen eine Küchentischfirma.
Wie hat der Schutzbrillen-Erfolg ihre Firma verändert?
Hünig: Sie ist größer und professioneller geworden. Es wurde für meinen Geschäftspartner und mich nach der Sonnenfinsternis möglich, auch größere Projekte, also umfangreichere und kostspieligere Bausätze in Angriff zu nehmen, ohne dabei geschäftsgefährdende Risiken einzugehen. Das hat mir vor allem einen größeren Freiraum für Kreativität verschafft. Und der Kundenstamm vergrößerte sich enorm.
Haben Sie nie daran gedacht, sich nach dem Riesen-Coup zur Ruhe zu setzen?
Hünig: Nein, das hätte ich zwar gekonnt. Aber dafür ist meine Leidenschaft am Tüfteln zu groß. Und auch meine Motivation, mit meinen Bausätzen aus Pappe eine Astronomie, Naturwissenschaft und Technik zum Anfassen und Verstehen zu schaffen – wie beispielsweise mit der Camera Obscura, dem Stirling-Motor oder der Dampfmaschine. Wenn man die Sachen zusammengebaut hat, hat man auch was verstanden.
Wann kommen Ihnen die Ideen?
Hünig: Bei Museumsbesuchen, beim Blättern in antiken Spielzeugkatalogen oder auch beim Surfen. Die Realisierung eines neuen Bausatzes fängt im Kopf an, oft bei einem Spaziergang im Wald. Dann geht es ans Zeichnen am Computer. Erst nach vielen, bis an die 20 Versionen steht die Endfassung fest. Das dauert oft ein halbes Jahr, nicht selten auch ein ganzes.
Wie hat der Erfolg Sie privat verändert?
Hünig: Äußerlich eigentlich nicht. Meine Frau und ich wohnen noch immer im selben Haus, essen dasselbe, machen ähnliche Urlaube wie früher. Aber ich selbst habe mich verändert, weil ich ungemein viel dazugelernt habe, und zwar Dinge, die sich nur in einer solchen Herausforderung lernen lassen. Ich habe gelernt, die Übersicht über eine größere Zahl parallel ablaufender Produktions- und Vertriebsvorgänge zu behalten, habe die Scheu vor dem Umgang mit größeren Geldbeträgen verloren und bin gleichzeitig umsichtig und vorsichtig dabei geblieben. Und ich habe vor allem gelernt, wie unendlich viel vom vermeintlich eigenen Erfolg man den vielen Menschen um einen herum verdankt.
Wie viel haben Sie eigentlich mit dem Schutzbrillen-Verkauf verdient ?
Hünig: Sagen wir, es war reichlich. Und meine Frau und ich haben uns schon vor dem sich abzeichnenden Erfolg überlegt, wie wir damit umgehen wollen. Wir konzentrierten uns dann auf vier Felder: Die Finanzierung der Ausbildung unserer drei Kinder, die Aufstockung unserer Altersvorsorge und die Unterstützung einer Schule und einer Gesundheitsstation in Nepal, an deren Betreuung ich selbst lange beteiligt war, sowie weitere Schulprojekte. Zudem leisteten wir uns ein Wochenendhaus in der Rhön, wo wir oft und gerne sind. Der mit großem Abstand höchste Betrag ging aber ans Finanzamt. Eigentlich hätte ich vom damaligen Finanzminister Eichel eine Urkunde bekommen müssen.
Wie wäre ihr Leben wohl ohne die SoFi-Brille verlaufen?
Hünig: Ich glaube, im äußeren Ablauf nicht viel anders. Ich hätte aber nicht so viele interessante Menschen aus astronomischen und anderen Wissensgebieten wie auch aus dem Bereich der Wirtschaft kennen gelernt.
Haben Sie ein Erfolgsrezept ?
Hünig: Man darf den Erfolg nicht herbeizwingen wollen. Man muss geduldig sein und Fehlschläge mit ähnlichem Gleichmut hinnehmen wie Erfolge. Ein Vertrauensvorschuss wird zudem fast immer mit Vertrauen beantwortet.
Wie sieht ihr Leben heute aus? Denken sie als 73-Jähriger an Ruhestand?
Hünig: Nach Problemen mit meinem ehemaligen Geschäftspartner musste ich mich zuletzt wieder verstärkt um den Verlag kümmern - mit der Aussicht, bald wieder nur noch Entwickler neuer Bausätze zu sein. Das will ich auch beibehalten, so lange ich kann. Das macht nach wie vor sehr viel Spaß, und die Liste an Ideen ist lang.
Feiern Sie den Brillen-Erfolg vor 20 Jahren?
Hünig: Ja, klar, bei uns in der Familie werden wir gehörig feiern. Und ich habe auch alle meine Geschäftspartner und Weggefährten aus dieser Zeit angeschrieben. Denn ohne dieses fantastische Team wäre der Erfolg nicht möglich gewesen.