260 000 Schülerinnen und Schüler in Bayern haben ihre Abschlusszeugnisse bereits in der Tasche, sie planen nun den weiteren Bildungsweg oder den Einstieg in Studium und Beruf. Darüberhinaus erhalten 1,4 Millionen Schüler an diesem Freitag ihr Jahreszeugnis. Die Noten sind in vielen Familien Thema, doch welche Rolle spielen sie eigentlich für die Zukunft? Klar ist, der Zugang zu vielen Studienfächern richtet sich nach dem Abiturschnitt. Für viele Ausbildungsberufe ist das Schulzeugnis jedoch längst nicht die einzig relevante Zugangsvoraussetzung.
"Je nach Beruf variieren die Voraussetzungen, die potentielle Bewerber mitbringen müssen", sagt Ludwig Paul, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken. Deshalb seien Noten in jenen Fächern, die für den gewählten Ausbildungsberuf wichtig sind, natürlich ein Kriterium, auf das Betriebsinhaber schauen, aber nicht das allein ausschlaggebende. Speziell im Handwerk seien vor allem auch praktische Fähigkeiten gefragt, so Paul.
Noten spielen eine zweitrangige Rolle
"Das mit den Noten ist so eine Momentsache", sagt Wolfgang Rhein, Obermeister der Bäckerinnung Mainfranken auf Nachfrage. Sie gäben lediglich gewisse Anhaltspunkte. Sollte jemand mal eine schlechte Prüfung schreiben, betont Rhein, dann sage dies nicht gleich etwas Schlechtes über die Persönlichkeit des Schülers und dessen Fähigkeiten aus. Dennoch sollte ein Bäcker keine großen Schwächen beim Rechnen und der deutschen Sprache haben. Einen durchweg guten Notenschnitt verlangt Rhein aber nicht. "Es nutzt ja nichts, wenn jemand gute Noten hat, dann aber handwerklich völlig unbegabt ist." Laut Rhein sei es viel wichtiger, die Bewerber im persönlichen Gespräch oder bei der Arbeit in einem Praktikum zu erleben.
Ähnlich sieht es in anderen Branchen aus. "Die Noten spielen bei der Bewerbung eine zweitrangige Rolle", sagt Martin Strobl, Obermeister der Innung für Elektro- und Informationstechnik Würzburg. Unabhängig vom Zeugnis wolle man den jungen Menschen eine Chance geben, sich zu beweisen. Schließlich seien die Betriebe froh, wenn sich jemand für den Beruf des Elektronikers interessiert. Allerdings, betont auch Strobl, sind bestimmte Fächer - je nach Branche - wichtiger als andere. "Wer in Physik und Mathematik schlecht ist, tut sich bei uns keinen Gefallen", so Strobl. Dagegen könne man beispielsweise an der deutschen Grammatik auch im Laufe der Ausbildung noch arbeiten. Auch Schulfächer wie Sport oder Religion seien für den Beruf nicht ausschlaggebend.
Dachdeckerinnung: Beruf erfordert schulische Voraussetzungen
Eine etwas andere Meinung vertritt Karl-Frank Bayer, Obermeister der Dachdeckerinnung Unterfranken. "Wer nicht mal einen Quali (Qualifizierender Mittelschulabschluss) schafft, der braucht auch nicht den Dachdecker-Beruf ergreifen." Demnach erfordere der Beruf Fähigkeiten, die sich schon in den Schulnoten erkennen ließen. Um ein Dach auszumessen sei ein mathematisches Verständnis erforderlich. Auch ein ordentlicher Tagesbericht könne nur dann verfasst werden, wenn die Jugendlichen die Rechtschreibung beherrschen.
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Bayer betont zwar, dass Probearbeiten und Praktika ebenfalls wichtig für eine mögliche Einstellung sind, jedoch seien gewisse schulische Voraussetzungen unerlässlich. Desweiteren beklagt Bayer einen generellen Rückgang qualifizierter Bewerber. "Hier fehlt uns die Mittelschicht." Junge Menschen hätten kaum mehr Interesse an dem Handwerksberuf und strebten nach einer Arbeit "in feiner Kleidung und mit schönem Schreibtisch". Auf der anderen Seite stünden Jugendliche, die die notwendigen Fähigkeiten nicht mitbringen. "Dazwischen gibt es fast nichts mehr", bedauert Bayer.
Bewerber-Mangel: Einstellungsvoraussetzungen nach unten geschraubt
"Der Unterschied zwischen Note 1, 2, 3 oder 4 ist nicht mehr so wichtig." Das zumindest meint Manfred Dallner, Geschäftsführer der Bauinnung Mainfranken-Würzburg. Entscheidender sei, ob der Abschluss überhaupt erreicht wird. Die Voraussetzungen für eine Einstellung sind demnach in den letzten Jahren herabgesetzt worden. Das hänge laut Dallner mit den vielen unbesetzten Stellen zusammen, die man auch in der Baubranche wieder besetzen möchte. Deshalb macht Dallner all jenen Mut, die nicht mit ihren Schulnoten zufrieden sind. "Ich behaupte mal, dass jeder, der mindestens einen Mittelschulabschluss geschafft hat, auch ein Bewerbungsgespräch bekommt." Anschließend entscheide dann sowieso viel mehr das Engagement und der Eindruck als die Noten. Auch die Tugenden wie "Grüß-Gott-Sagen oder Pünktlichkeit bei einem Termin" seien wichtig.
Dagegen werde auf einen anderen Aspekt zu viel Wert gelegt. "Das Bewerbungsschreiben ist völlig überbetont", sagt Dallner. Entscheidend sei der persönliche Eindruck eines Bewerbers und nicht, wie schön er etwas in der Bewerbungsmappe formuliert. "Im Baubereich kommt es eben auf etwas anderes an", betont Dallner. Außerdem merke man in den Unterlagen sofort, wenn der Bewerber zuvor bei an einem der vielen Bewerbungsschreiben-Kurse teilgenommen hat.
Es gibt noch zahlreiche Ausbildungsstellen
Für alle unentschlossenen Schulabsolventen, die noch eine Ausbildungsstelle suchen, gibt es gute Nachrichten. Laut Handwerkskammer Unterfranken gibt es für das in Kürze beginnende neue Ausbildungsjahr in der Lehrstellenbörse noch zahlreiche freie Ausbildungsstellen über alle Berufe hinweg. Mehr Infos unter: www.hwk-ufr.de
- Nummer gegen Kummer: Bundesweit kostenfrei unter Telefon 11 61 11.
- BKE-Jugendberatung: Schüler können sich in einem Chatforum austauschen.
- Staatliche Schulberatung Unterfranken: Telefon (09 31) 7 94 54 10, mail@schulberatung-unterfranken.de