Deutschland fehlen bald sechs Millionen Arbeitskräfte: In den nächsten Jahren gehen jene 20 Millionen Menschen in Rente, die in den 1950er und 1960er Jahren geboren sind. Im selben Zeitraum fangen jedoch nur 14 Millionen Bürger an zu arbeiten. Ab 2025 wird der Babyboomer-Effekt den deutschen Arbeitsmarkt voll treffen. Bereits heute ist rund ein Viertel der Erwerbstätigen In Deutschland älter als 55 Jahre.
Das Durchschnittsalter der mainfränkischen Arbeitnehmer beträgt derzeit 43,9 Jahre und wird bis zum Jahr 2030 auf 48,8 Jahre steigen. Das ist das Ergebnis des IHK-Fachkräfte-Reports 2018. Wie gelingt es Unternehmen, auch ältere Fachkräfte zu halten? Wie gelingt es, selbstbewusst im Beruf älter zu werden? "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource", sagt die Diplom-Pädagogin Doris Heinzen-Voß. Sie bietet immer wieder Seminare für eine bewusste Gestaltung und positive Selbsterwartung des Älterwerdens an.
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Doris Heinzen-Voß: Ältere Mitarbeiter haben vor allem andere Qualitäten als jüngere Mitarbeiter. Jüngere sind vielleicht kreativer oder schneller, aber ältere Mitarbeiter haben mehr Erfahrung, sie arbeiten oft sorgfältiger, haben einen besseren Überblick, übernehmen gerne Verantwortung und verfügen über ein größeres Netzwerk. In vielen Firmen werden daher Tandems aus jungen und älteren Mitarbeitern gebildet, das finde ich großartig.
Heinzen-Voß: Es darf keine Konkurrenz zur jüngeren Generation entstehen, davor warne ich immer. Gerade in der heutigen Zeit, wo es um demografische Entwicklung geht, müssen die Firmen auch mehr Verantwortung für die Älteren übernehmen um sie gesund im Betrieb zu halten. Für die Mitarbeiter ist es wichtig, auch selbst etwas zurückzutreten und mit zunehmendem Alter mehr auf die eigene Gesundheit zu achten.
Heinzen-Voß: Alles, was mit einem hohen Leistungsanspruch verbunden ist, sollte man hinterfragen. Ein Vergleich: Wenn ein Auto mal 20 Jahre gefahren ist, kann ich es nicht mehr so über die Rennstrecke jagen, wie einen Neuwagen. Das bedeutet, man sollte Geschwindigkeit rausnehmen und nicht immer bis zum Anschlag arbeiten. Das gilt vor allem für Führungskräfte: Im Hinblick auf die Gesundheit ist es im fortgeschrittenen Alter zum Beispiel besser, weniger oder keine Überstunden zumachen. Man sollte schonungsvoller mit seinen körperlichen Ressourcen umgehen.
Heinzen-Voß: Für viele ist das ein Eingestehen von Schwäche. Für die Generation der Babyboomer, das heißt die zwischen 1955 und 1964 Geborenen, war und ist Leistung unheimlich wichtig. Sie sind es gewohnt, unter großem Konkurrenzdruck zu arbeiten. Und diese Generation will vermutlich auch noch längere Zeit im Beruf bleiben.
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Heinzen-Voß: Niemand muss rund um die Uhr erreichbar sein, auch wenn man im Homeoffice arbeitet. Man muss sich selbst eine Grenze setzen, zum Beispiel festlegen, dass man das Diensttelefon ab 18 Uhr ausschaltet oder dass man dann keine E-Mails mehr beantwortet. Hier heißt es, konsequent sein zum eigenen Schutz der Gesundheit.
Heinzen-Voß: Manche spüren ab Mitte oder Ende 50, dass sie schneller erschöpft sind, schneller müde und vielleicht auch schneller krank werden. Auch das Gehirn ist etwas langsamer, aber das heißt nicht, dass die Qualität der Arbeit schlechter wird. Im Gegenteil: Die kognitiven Fähigkeiten sind mit Mitte 50 sogar am ausgeprägtesten.
Heinzen-Voß: Erfahrung ist der größte Schatz. In der Regel können sich ältere Mitarbeiter auf ihre Erfahrung stützen. Vieles ist für sie einfach Routine. Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber jüngeren Mitarbeitern. Wir wissen aus der Forschung, dass ältere Mitarbeiter keine schlechteren Arbeitsleistungen erbringen als jüngere und sich im Gegensatz sogar viele positive Effekte des Lebensalters im Arbeitsleben zeigen.
Heinzen-Voß: Bewegung ist wichtig, gesunde Ernährung, aber auch Entspannung. Viele Menschen können sich nicht richtig entspannen. Wer nicht richtig entspannen kann, schläft schlecht. Viele fangen dann an, Medikamente zu nehmen. Das ist schlecht. Ideal ist es, etwas für sich zu finden, außer der Arbeit, das einen erfüllt. Das kann ein Hobby oder ein ehrenamtliches Engagement sein, irgendetwas, bei dem es auch um soziale Kontakte geht. Das tut gut.
Heinzen-Voß: Die meisten Menschen wünschen sich Verständnis und Wertschätzung. Und Wertschätzung lohnt sich auch wirtschaftlich. Die Arbeitgeber werden in Zukunft um Arbeitskräfte konkurrieren. Wenn sich die Mitarbeiter geschätzt fühlen, dann ist das ein Standortvorteil. Und gerade für Ältere ist Wertschätzung zentral. Sie wollen ihr Wissen und ihre Erfahrung nutzen und weitergeben.
Heinzen-Voß: So ab Mitte 50. Denn viele Menschen haben nur ihre Arbeit und vielleicht noch ihre Familie. Wenn sie dann in den Ruhestand gehen, fallen sie in ein großes Loch. Ich rate allen, rechtzeitig eine Bestandsaufnahme zu machen. Es soll darin um Fragen gehen wie: Wo will ich hin? Was will ich noch erreichen? Es ist wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen.