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Würzburg
Operette mit Mikrofon - muss das sein?
Immer öfter werden Singstimmen auch bei klassischen Operetten elektronisch verstärkt. Auch am Mainfranken Theater ist das so. Was steckt dahinter?
Kleine, drahtlose Mikrofone werden immer öfter auch bei Operetten eingesetzt. Das Foto entstand in der vorigen Spielzeit bei der 'Csárdásfürstin' am Mainfranken Theater.
Foto: Thomas Obermeier | Kleine, drahtlose Mikrofone werden immer öfter auch bei Operetten eingesetzt. Das Foto entstand in der vorigen Spielzeit bei der "Csárdásfürstin" am Mainfranken Theater.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 07.04.2020 09:57 Uhr

Die schöne Helena flirtet in Würzburg per Mikroport mit ihrem Paris. Auch bei der „Csárdásfürstin“ der vorigen Spielzeit am Mainfranken Theater waren die kleinen, drahtlosen Mikrofone im Einsatz. Das Theater Erfurt verstärkt aktuell Ralph Benatzkys „Im Weißen Rössl“. Das Nürnberger Staatstheater tat das schon vor zwei, drei Jahren . . .

Die Liste der Operetten mit elektronisch aufgepeppten Stimmen ließe sich fortführen. Was vor nicht allzulanger Zeit als Sünde galt, scheint jetzt üblich zu sein. „Ja, das hat zugenommen“, bestätigt Holger Klembt, Professor an der Würzburger Hochschule für Musik und Szenischer Leiter der Opernschule. Sind Sängerinnen und Sänger etwa nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft mit ihrer Stimme einen Theatersaal zu füllen?

„Natürlich können Sängerinnen und Sänger auch heute was", so Klembt. Doch die Operette fordert viel: Singen wie ein Opernsänger, agieren und sprechen wie ein Schauspieler, womöglich auch noch tanzen – und das alles muss unverkrampft über die Rampe kommen. Es soll ja lustig sein.

Damit's unverkrampft klingt

„Um mit der Sprechstimme bis in die letzte Reihe präsent zu sein, braucht es eine gewisse Intensität und Phonstärke“, erklärt Klembt. Erzeugt man die mit Singstimmen-Technik, tönen Dialoge pathetisch und unnatürlich. Die kleinen Mikros – hautfarbene Knubbel im Gesicht – machen es möglich, unverkrampft und trotzdem verständlich zu sprechen. Schon früher habe nicht jeder Sänger das richtige Sprechen draufgehabt, so Klembt. Man habe deswegen bei Schallplattenaufnahmen bisweilen für die Dialoge eigens Schauspieler engagiert.

„Wenn Mikroports eingesetzt werden, geht es in vielen Fällen auch darum, die Balance zwischen Bühne und Orchester herzustellen“, sagt der Würzburger Professor. Elektronisch „ein bisschen angehoben“, komme Gesang besser über den Orchestergraben hinweg.

Die Abstimmung zwischen Bühne und Orchester gehört an sich zu den Kernkompetenzen im Musiktheater. Sängerinnen und Sänger sollten also – ohne Mikro – genügend Druck entwickeln können. Und der Dirigent sollte die Lautstärke des Orchesters im Griff haben, um die Stimmen mikroloser Sänger nicht zuzudecken. „Das muss das Ziel sein“, findet Holger Klembt.

Theorie und Praxis

In der Praxis funktioniert das indes nicht immer. Auch, weil die Zeiten, in denen für jedes Fach, also auch für die Operette, Spezialisten im Ensemble standen, an den meisten Theatern vorbei sind. Klembt: „Heute muss jeder nahezu jedes Genre bedienen.“ Junge Sänger werden inzwischen von Monteverdi über Mozart und Wagner bis zu Henze und eben Operette universell eingesetzt. Dass jeder alles kann ist ein theoretischer Idealfall, den es in der Realität praktisch nicht gibt. Elektronik-Unterstützung macht da manches einfacher.

Offenbachs 'Die schöne Helena' am Mainfranken Theater: Operette näher ans Musical gerückt?
Foto: Thomas Obermeier | Offenbachs "Die schöne Helena" am Mainfranken Theater: Operette näher ans Musical gerückt?

Aber muss das bei Jacques Offenbachs „Die schöne Helena“ sein? Bei einer Operette, die 1864 uraufgeführt wurde, als man „Elektronik“ allenfalls für eine verrückte Idee von Jules Verne gehalten hätte? Berthold Warnecke hat bei „Helena“ kein Problem mit Mikros. „Wir haben das Jahr 2019. Seit Offenbach hat es massive Veränderungen gegeben“, so der Operndirektor des Mainfranken Theaters.

Der erste Saal, in dem Offenbach frühe Stücke, etwa „Orpheus in der Unterwelt“, aufführte, habe gerade mal 300 Zuschauer gefasst – „manche sprechen auch nur von 50 und dazu noch Stehplätze“. Ins Große Haus des Mainfranken Theaters passen 750 Besucher. Auch beim Orchester habe sich viel geändert: „Als Offenbach anfing, hatte ein Orchester 16 Mann. Später, in Paris, durften's vielleicht 30 sein." Zudem sei damals noch auf (leiseren) Darmsaiten gespielt worden. Auch die Bläser klangen anders.

Mehr Spektakel auf der Bühne

Und: „Damals wurde von der Rampe nach vorne agiert, etwa so, wie wir das vom politischen Kabarett kennen.“ Heute nutzt die Regie die Tiefe der Bühne. Die Figuren agieren miteinander und nicht in erster Linie ins Publikum hinein. Es gebe „mehr Spektakel“ auf der Bühne, so Warnecke.

Größere Säle, größere Orchester, anderer Klang, andere Inszenierung: Sänger finden heute ganz andere Voraussetzungen vor. Darauf müsse man reagieren, sagt Warnecke. Zum Beispiel durch Verstärkung. Die ermögliche es auch, natürlich zu sprechen. Da argumentiert der Theatermann genauso wie der Hochschulprofessor. Die Verstärkung helfe zudem über „akustische Tücken“ des Würzburger Theatersaals hinweg. Im Zuge der laufenden Sanierung soll auch die Akustik des Großen Hauses „etwas optimiert“ werden.

Mikrofonierung könne die Operette in Richtung Jetztzeit transportieren, resümiert Berthold Warnecke. Dass Elektronik die altehrwürdige Gattung akustisch ein Stück in die Nähe moderner Musicals rückt, ist durchaus beabsichtigt – es kommt heutigen Hörgewohnheiten entgegen.

Können die's nicht mehr?

Zum Thema „Können die's nicht mehr?“ hat auch Berthold Warnecke einen klaren Standpunkt: Zum Einen beweist das „Helena“-Ensemble in anderen Produktionen, dass es sehr gut ohne Verstärkung zurechtkommt. Zum Anderen sei mit Mikro zu singen genauso schwierig wie ohne. Die Intensität müsse hier wie da stimmen. In blindem Vertrauen zur Elektronik reduziert zu singen klappe nicht. Warnecke: „Nur das, was in die Mikrofone reingeht, kommt auch raus.“

Oper werde man am Mainfranken Theater  auch künftig ohne Verstärkung hören, beruhigt der Operndirektor. Auch die „Schöne Helena“ hätte man opernmäßig auffassen und ohne Mikroports spielen können. Aber das Konzept sei eben ein anderes gewesen. Generell findet der promovierte Musikwissenschaftler: „Mikroports bei der Operette sind kein Muss. Aber immer eine Option.“

Unverstärkte Operette gibt's demnächst von der Hochschule für Musik. Holger Klembt probt Eduard Künnekes „Der Vetter aus Dingsda“. Premiere ist am 8. Februar im Theater Bibrastraße.

 
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