
Oh! Würzburg hat ein neues Theater. Dieser Satz war bei der Eröffnung, dem "Grand Opening", des neuen Chambinzky Hafentheaters am Samstag im Kulturhafen öfter zu hören. Zum Beispiel von Oberbürgermeister Christian Schuchardt, der sich so erfreut über die gelungene Umgestaltung des einstigen Bockshorns zeigte, dass er in Richtung Dirk Terwey, den anwesenden Geschäftsführenden Direktor des Mainfranken Theaters, frotzelte: "Da müssen wir uns für den großen Saal im Theater noch was einfallen lassen – wenn wir einmal damit fertig werden."
Staunen also allenthalben und viel gegenseitiger Dank für eine gewaltige Umbauleistung. Das neue Haus wirkt in der Tat wie ein vollwertiges Theater – zumindest aus Sicht des Publikums. Aus dem Foyer, das nunmehr die urban elegante "Speicherbar" beherbergt, gelangt man direkt in den Zuschauerraum mit seinen 199 Plätzen in absteigenden Reihen. Die Akustik scheint ebenso gut zu sein wie die Sicht, jedenfalls kamen alle Eröffnungsredner ohne Mikrophon aus.

Theaterchef Csaba Béke rekapitulierte die Schwierigkeiten der vergangenen Jahre, von Corona über Energiekrise und Inflation bis hin zur Kündigung des Mietvertrags im Stammhaus in der Valentin-Becker-Straße, und wies darauf hin, dass mit dem Hafentheater nur ein Teil der Probleme gelöst sei: "40 Prozent unseres Angebots suchen noch eine Bleibe."
Regisseur Kai Christian Moritz lässt das Ensemble nach Herzenslust überzeichnen
Oberspielleiter Kai Christian Moritz charakterisierte das Chambinzky als "Theater aus der und für die Stadtgesellschaft, als Ort der Einladung und Ermöglichung von Kunst". Für seine Eröffnungsinszenierung hatte er die satirische Komödie "Kalter Weißer Mann" der Erfolgsautoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob ("Stromberg") gewählt.
Eine Kapelle (Bühne: Andreas Zehnder, Lennart Jäger) kurz vor dem Trauergottesdienst für den Firmenpatriarchen und Unterwäschefabrikanten Gernot Steinfels, der mit 94 Jahren mitten aus dem Leben gerissen wurde. Eine Schleife am Kranz der Belegschaft wird zum Stein des Anstoßes, will sagen: Anlass eines Shitstorms. Da steht doch tatsächlich "die Mitarbeiter". Ungegendert.

Die ebenso kunstvolle wie rasante Eskalation spült praktisch alles an die Oberfläche, was derzeit im Rahmen von Wokeness und Political Correctness verhandelt wird: Von LGBTQIA+ bis Rassismus, von #Metoo bis kulturelle Aneignung. Regisseur Kai Christian Moritz lässt das agile Ensemble von Anfang an nach Herzenslust überzeichnen und konzentriert sich ganz auf das Timing der vielen, vielen Pointen.
Der designierte neue Chef, Cis-Mann um die 60, versteht das Problem nicht
Silva Schreiner als beängstigend scharfzüngige Marketing-Leiterin, Richard Baudach als Gen-Z-mäßig schluffiger Social-Media-Chef und Kaddy Müller als ultrawoke Praktikantin ("die Schleife ist megacringe") drehen hohl, Andreas Neumann als designierter neuer Chef, Cis-Mann um die 60, hält dagegen: "Ich komme vom Land, da hat man das Geschlecht genommen, das auf den Tisch kam."

Es sind der Pfarrer (Andreas van den Berg) und die Sekretärin (Sonja Schaff), die schließlich fast nebenbei die eigentlichen Probleme benennen: Bildungsmisere und Selbstgerechtigkeit. Der Pfarrer: "Wenn ich vom Neuen Testament rede, denkt die Hälfte, sie hätte geerbt." Und die Sekretärin: "Warum sind sich eigentlich immer alle so sicher, dass sie recht haben?"
Langer Jubel für eine gelungene Premiere und ein Stück, das den gelegentlich quälenden Debatten dieser Tage zwar jede Menge Gags abgewinnt, die eigentlichen Anliegen aber dennoch nicht denunziert.
Hafentheater Chambinzky, "Kalter Weißer Mann", auf dem Spielplan bis 8. Dezember. Karten unter chambinzky.com/hafentheater