Die beiden wirken wie ein eher ungleiches Gespann: Silvia Kirchhof, das fränkische Multitalent vom Land, und Kai Christian Moritz, der Hochdeutsch sprechende Städter mit der intellektuellen Ausstrahlung. Profis sind sie beide. Sie Sängerin, Schauspielerin, Clownin, Regisseurin und mit ihrem Mann Achim Hofmann Inhaberin des Theaterhauses Gerolzhofen. Er Schauspieler, Autor, Regisseur und Oberspielleiter am Würzburger Privattheater Chambinzky.
Zusammen werden sie eine uralte Geschichte neu erzählen: die Passion Christi. Und zwar auf der Bühne der Sömmersdorfer Passionsspiele. Silvia Kirchhof, Jahrgang 1969, und Kai Christian Moritz, Jahrgang 1976, sind Co-Autoren und Co-Regisseure der Neuauflage 2024, die am 23. Juni Premiere feiert.
Die Passionsspiele, an denen fast das ganze 680-Seelen-Dorf im Landkreis Schweinfurt mitwirkt, sind seit 2020 Teil des immateriellen Kulturerbes Bayerns. Sie finden seit 1933 statt, mit Unterbrechungen durch NS-Zeit und Krieg, seit 1968 alle fünf Jahre, wegen Corona diesmal nach sechs Jahren Pause. 2018 kamen 34.000 Menschen in die 19 Vorstellungen.
Eine Gratwanderung zwischen Bildersturm und Bewahrung
Der Auftrag an Kirchhof und Moritz ist zweiteilig: Sie sollen auf Wunsch des Passionsspielvereins das Spiel aktualisieren, gleichzeitig aber dessen Essenz erhalten. "Er war von Anfang an die Ansage: Es muss unsere Passion bleiben", sagt Silvia Kirchhof.
Eine Gratwanderung zwischen Bildersturm und Bewahrung also, bei der es immer wieder gilt, alle von den neuen Ideen zu überzeugen. "Als ich gefragt wurde, habe ich mir das Stück angeschaut, und es war ganz klar: So mache ich es nicht. Es muss überarbeitet werden. Aber natürlich muss man dann Kompromisse finden."
Dass diese Geschichte für viele junge Menschen heute nur noch eine Heldensaga unter vielen ist, wie "Star Wars" oder "Harry Potter", ist beiden bewusst. "Ich kann auch verstehen, dass es auf jüngere Generationen ein bisschen spießig wirkt, dass man diese Geschichte immer wieder erzählt", sagt Kai Christian Moritz.
Deshalb müsse und könne man sie anders erzählen. Schneller, kürzer, direkter, mit authentischen Figuren, die nicht salbungsvoll, sondern ganz normal sprechen. Und vor allem: kultursensibel und ohne die antijüdischen Stereotype, wie sie schon in den Evangelien stehen.
Es gehe um Menschen, die Entscheidungen treffen, deren Folgen sie selbst gar nicht absehen können. Menschen, die aber auch an diesen Entscheidungen zweifeln, sagt Moritz. "Man darf sie nicht aus dem wissenden Standpunkt von heute beurteilen. Es gibt gute Gründe für das Volk, über Jesus zu sagen: Der muss weg. Der stört."
Wie gehen wir miteinander um? Wie entstehen soziale Dynamiken?
Ein großer Teil der Arbeit sei gewesen, den teilweise erfahrenen Mitwirkenden diese Ungewissheit zu vermitteln, sagt Silvia Kirchhof. "Erst wenn die Passionsgeschichte nicht wie ein Uhrwerk abläuft, in dem jeder wie ferngesteuert seine Funktion erfüllt, werden ganz aktuelle Fragen relevant: Wie gehen wir miteinander um? Wie entstehen soziale Dynamiken?"
"Angesichts des grassierenden Antisemitismus ist eines besonders wichtig: Das ist die Geschichte eines jüdischen Lehrers", sagt Moritz. Deshalb schreibt die neue Version die jahrtausendelang tradierte Behauptung der Kollektivschuld des jüdischen Volkes an Jesu Tod nicht fort. Und deshalb ist Judas nicht Verräter aus Geldgier. "Das ist ein antijüdisches Stereotyp. Bei uns hängt er sich auch nicht auf. Er kann schlicht diesen Weg nicht mehr mitgehen. Er denkt eher politisch, antirömisch, und die Botschaft Jesu ist ihm nicht scharf genug."
Einige Rollen hat das Regie-Duo nach einem Casting neu besetzt, praktisch alle bekommen neue Profile. So ist Maria nicht die Schmerzensfrau, die schon von Beginn an weiß, was ihrem Sohn widerfahren wird. "Wir zeigen die Erinnerungen, die Maria an die positiven Erlebnisse mit Jesus hat. Und die Kraft, die sie daraus zieht. Das ist sehr berührend", sagt Silvia Kirchhof. Ganz allgemein sollen Frauen nicht mehr nur dienend, weinend, Wasserkrüge tragend vorkommen. "Die sind wichtig, sie haben Jesus in vielerlei Hinsicht bewegt."
Es geht um Liebe. Um viele Formen von Liebe. Etwa zwischen Maria Magdalena und Jesus. Oder die der Jünger zu Jesus. Es gelte, dessen Wirkmacht durch Ausstrahlung und Charisma zu zeigen, nicht durch äußerliche Merkmale.
So trete Jesus nicht mehr von Anfang an in heldisch weißen Gewändern auf, sondern als "einer von euch", so Moritz, der viele Gespräche mit dem Neutestamentler Martin Ebner geführt hat. Auch werde Jesus beim Abendmahl nicht sagen, "das ist mein Fleisch". "Das wäre für einen Juden furchtbar gewesen." Jesus habe vielmehr das Passahmahl umgedeutet. "Ich habe deshalb die Formulierung gefunden, 'Ich breche dieses Brot mit euch, weil ich mich für euch brechen lasse wie dieses Brot'."
Passionsspiele Sömmersdorf 2024: 18 Vorstellungen an den Wochenenden zwischen 23. Juni und 18. August. Karten für 25, 30 oder 35 Euro unter www.soemmersdorf2024.de, Tel. (0 97 26) 26 26, Mail: info@soemmersdorf2024.de