Im Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg ist das Foto bereits ausgestellt – nun erfährt es auch in Unterfranken die Aufmerksamkeit, die es verdient. Auf dem Bild zu sehen sind ein US-amerikanischer Soldat mit Helm und schwarzer Sonnenbrille, der am Steuer eines Jeeps sitzt, und auf seinem Schoß ein kleiner Junge mit Strickweste und Strampelanzug. Die beiden lächeln sich an, als wären sie miteinander vertraut wie Vater und Sohn.
„Ein im unterfränkischen Estenfeld stationierter US-Soldat freundet sich mit einem einheimischen Buben an“, ist im Regensburger Museum neben der Schwarz-Weiß-Aufnahme zu lesen. Dazu die Namen zweier Frauen als Bildquelle: Maria Schlun und Ulrike Eckardt, bei der Bergtheim als Wohnort angegeben ist. Eckardt, Jahrgang 1950, die das Bild dem Museum zur Verfügung gestellt hat, kann mehr über dessen Geschichte erzählen.
Dem Bombenangriff auf Würzburg entgangen
Das Wichtigste: Das Kind, das sich im Arm des fremden Soldaten so wohlzufühlen scheint, heißt Gerd-Dieter Schlun. Er ist der Sohn von Maria und Gerhard Schlun – und Ulrike Eckardts Bruder. Mit seinen Eltern war er Anfang 1945 von Berlin nach Würzburg gekommen. Weil die Familie dort keine Wohnung gefunden hat, bekam sie eine in Estenfeld zugewiesen: bei der Familie Wolz, deren Haus sich an der Ortsdurchfahrt befand, direkt gegenüber von der Gastwirtschaft „Zum Greifen“, dem „Straßwirt“.
„Im Nachhinein muss man sagen: Es war ein großes Glück, dass meine Eltern und meine Geschwister nach Estenfeld gekommen sind“, sagt Ulrike Eckardt. Denn so seien sie dem verheerenden Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945 entgangen, bei dem Tausende Menschen getötet wurden. „Meine älteste Schwester, sie ist Jahrgang 1940, kann sich noch an das brennende Würzburg erinnern, das sie von Estenfeld aus sah.“
Das Foto mit Ulrike Eckardts Bruder ist ganz sicher nach dem Bombardement Würzburgs entstanden – vermutlich im April 1945, nachdem Estenfeld kampflos an die vorrückenden US-Truppen übergeben worden war. Zu diesem Zeitpunkt war der kleine Gerd-Dieter ein Jahr alt. Aber wer hat das Bild gemacht? Ulrike Eckardt ist überzeugt, dass es ihre Mutter war, denn sie habe schon immer viel fotografiert. „Ich frage mich nur, wie sie in Kriegszeiten an Fotomaterial gekommen ist“, sagt Eckardt.
Mit seiner Bereitschaft, sich von einer Deutschen ablichten zu lassen, hat sich der freundliche US-Soldat über eine eindeutige Bestimmung der westlichen Alliierten hinweggesetzt: das sogenannte Fraternisierungsverbot. Festgeschrieben war es in Erlass CCS 551 – und es besagte, dass „zwischen alliierten Truppen die Verbrüderung streng zu unterbinden ist mit (…) der Bevölkerung“.
US-Soldaten sahen deutsche Kinder nicht als Feinde
Die Wirklichkeit sah jedoch oft anders aus: Gerade im Umgang mit Kindern hielten sich viele US-Soldaten nicht an die geltenden Vorgaben. Sie wollten die, die nun wahrlich keine Schuld am Krieg hatten, nicht als ihre Feinde betrachten. Mit ihrem Verhalten trugen die Soldaten dazu bei, dass das Fraternisierungsverbot nach Kriegsende Schritt für Schritt gelockert wurde: Erst gestattete das Oberkommando ihnen, nett zu deutschen Kindern zu sein, dann durften sie sich mit erwachsenen Deutschen in der Öffentlichkeit unterhalten – und schließlich wurde das Verbot zum 1. Oktober 1945 gänzlich aufgehoben.
Gerade weil es gar nicht hätte entstehen dürfen, ist das Foto der beiden „ungleichen Freunde“ ein herausragendes Dokument – speziell für Estenfeld. Es existiert sonst kein anderes Bild, das die Präsenz von US-Soldaten im Dorf zeigt. Umso schöner, dass es eine zeitlose Botschaft vermittelt: Verständigung kann so einfach gelingen.