Woche für Woche suchen derzeit mehr Menschen Zuflucht in Deutschland. Allein im November kamen rund 30.000 hinzu – das sind doppelt bis dreimal so viele im Vergleich zu den Monaten des ersten Halbjahres. Die Unterkünfte laufen voll, verzweifelt suchen Behörden nach zusätzlichen Quartieren. Wie ist die Lage derzeit in Unterfranken? Ein Überblick.
Woher kommen aktuell die meisten Asylsuchenden?
Nach Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kam im November jeder dritte Asylbewerber aus Syrien, ein weiteres Drittel aus Afghanistan und der Türkei. Im zu Ende gehenden Jahr 2022 entfallen allein auf diese drei Nationen rund 120.000 von bisher etwa 215.000 Asylanträgen. Asylbewerber werden in Deutschland über den sogenannten Königsteiner Schlüssel verteilt. Danach muss Bayern 15 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen, innerhalb des Freistaates ist Unterfranken für gut zehn Prozent verantwortlich.
Müssen auch Mehrzweckhallen wieder zu Notunterkünften umgewandelt werden?
Groß waren Solidarität und Engagement, als 2015/16 Hunderttausende Menschen aus Syrien nach Deutschland kamen. Zelte wurden aufgestellt, Mehrzweckhallen zu Flüchtlingsquartieren umfunktioniert. Kurzfristig war dies auch im vergangenen März nach der Ankunft von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine der Fall.
Und ausgeschlossen ist es nicht, dass bald wieder Hallen zu Notunterkünften werden. Dann nämlich, wenn sich der Zuzug weiter verstärkt, die zentrale Aufnahmeeinrichtung in Geldersheim (Lkr. Schweinfurt) voll ist und die Ankömmlinge anders nicht mehr aufgenommen werden können. Die Nutzung von Turnhallen gilt freilich als letzte Option. Vorrangig, so heißt es bei der Regierung von Unterfranken, sollen andere lokale Notunterkünfte geprüft werden, dazu zählen leerstehende Heime oder auch Gewerbehallen.
Wie ist die Lage in der zentralen Anker-Einrichtung in Geldersheim?
Die zentrale Anker-Einrichtung in Geldersheim (Lkr. Schweinfurt) ist erste Anlaufstelle für Geflüchtete in Unterfranken und überregional zuständig für die vier Schwerpunktländer Somalia, Elfenbeinküste, Armenien und Algerien. Wegen ihrer großen Zahl muss das Anker-Zentrum wochenweise auch für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan öffnen. "Anker" steht für "ANK-unft, E-ntscheidung, R-ückführung", die Einrichtung in der ehemaligen US-Kaserne Conn Barracks ist ausgelegt für maximal 1500 Bewohner.
Üblicherweise, so Leiter Benjamin Kraus, werde sie mit Rücksicht auf Zusammenleben und anstehende Reparaturen nur mit höchstens 1200 belegt. Aktuell sind aber bereits 1527 (Stand 14. Dezember) Geflüchtete untergebracht, Tendenz steigend. Etwa die Hälfte aller Zugänge kam in den vergangenen Wochen aus Afghanistan, ein weiteres Viertel aus Syrien. Diese Woche verschaffte sich auch Bischof Franz Jung ein persönliches Bild von der Lage.
Wann müsste die Anker-Einrichtung wegen Überfüllung schließen?
Eine maximale Aufnahmekapazität lässt sich schwer beziffern. Fakt ist: In diesem Jahr haben mit mittlerweile 7809 Menschen (Stand 14. Dezember) so viele Schutzsuchende das Anker-Zentrum durchlaufen wie seit dem Fluchtjahr 2015 nicht mehr. Dazu beigetragen haben gut 3000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, aber auch ohne sie erreicht der Zugang eine neuerliche Spitze. Fast 1000 Geflüchtete kamen allein im November.
Umso dringlicher fordert die Regierung von Unterfranken die Landratsämter auf, Quartiere für die Anschluss-Unterbringung zu stellen. Eigentlich, so Sprecher Johannes Hardenacke, müsse man wöchentlich mindestens 150 Geflüchtete aus dem Anker-Zentrum herausbringen, um Platz für Neuankömmlinge zu haben.
Vor Ort schafft Einrichtungsleiter Benjamin Kraus zusätzliche Kapazität, unter anderem mit vier großen Leichtbauhallen zur vorübergehenden Aufnahme. Sie sind aufgeteilt in kleine Einzelbereiche mit Stockbetten. Nach Registrierung und Gesundheitscheck werden die Flüchtlinge dann in reguläre Zimmer verlegt. "Das bringt uns 100 bis 200 Plätze zusätzlich", sagt Kraus.
Noch laufe alles in geordneten Bahnen, aber er spricht bereits von einer "Ausnahmesituation". Als mögliche Notreserve hat er bereits das Anker-Café als Unterkunft herrichten lassen, die alte Kapelle der US-Armee und ein Dachgeschoss könnten folgen. Das sei vorübergehend zumutbar, sagt Kraus, "ist aber natürlich keine Lösung auf Dauer". Durchschnittlich zwei bis zweieinhalb Monate verbringen Geflüchtete derzeit in der Anker-Einrichtung.
Wo werden die Menschen aus der Ukraine untergebracht?
Der überwiegende Teil der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist nach der Registrierung in Privatwohnungen untergekommen. Geschätzt rund 2500 leben in dezentralen Quartieren, die – koordiniert durch die Landratsämter – teilweise auch von den Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Laut Regierung von Unterfranken handelt es sich bei den Geflüchteten aus der Ukraine vorrangig um Frauen und Kinder, teilweise auch ältere Männer. Nur wenige sind in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften (GU) untergebracht. Wegen ihres Sonderstatus dürfen Ukrainerinnen und Ukrainer sofort arbeiten oder haben Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen.
Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine kommen derzeit in Unterfranken an?
Trotz Wintereinbruch und Stromausfällen im Kriegsgebiet hält sich der Zustrom ukrainischer Flüchtlinge derzeit in Grenzen. Die Zahlen seien in den vergangenen Wochen stagniert, so die Auskunft der Regierung. Aktuell kämen pro Woche im Schnitt 50 bis 100 Flüchtlinge aus der Ukraine, sagt Sprecher Johannes Hardenacke. Ein Blick auf die Entwicklung zeigt: Vor allem direkt nach Kriegsausbruch im März und April war ein großer Zustrom zu bewältigen. Knapp 17.000 Ukraine-Geflüchtete sind für dieses Jahr in Unterfranken registriert, davon ein gutes Drittel Kinder und Jugendliche. Rund 3000 ukrainische Flüchtlingskinder besuchen derzeit Schulen in der Region.
Wäre Unterfranken für eine weitere Flüchtlingswelle aus der Ukraine gewappnet?
Ein Zuzug wie im Frühjahr brächte erhebliche Probleme, denn: Wegen der zuletzt stark steigenden Zahl von Asylsuchenden aus anderen Teilen der Welt sind die Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen in der Region praktisch erschöpft. Die Landkreise und Gemeinden suchen händeringend zusätzliche Quartiere.
Zahlen der Regierung von Unterfranken zeigen den Druck: Waren Ende Januar 128 dezentrale Unterkünfte mit 1629 Geflüchteten belegt, waren es Ende November bereits 6618 in mittlerweile 259 Quartieren – also viermal so viele Menschen in doppelt so vielen Unterkünften. Dazu noch rund 3400 Flüchtlinge in 43 Gemeinschaftsunterkünften und rund 700 Personen in 17 Übergangswohnheimen – darunter Aussiedler und rund 450 Ortskräfte aus Afghanistan.
Kämen wegen Kälte oder Kriegsentwicklung noch viele Geflüchtete aus der Ukraine hinzu, wäre ihre Aufnahme schwierig und vermutlich nur über private Vermietung zu schultern.
Wer kann privaten Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen?
Sowohl die Regierung von Unterfranken wie auch die Landratsämter appellieren an die Bevölkerung, Wohnraum für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge bereit zu stellen. In Frage kommen Unterkünfte fast aller Größen, weil sich Familien unterschiedlich zusammensetzen. Der Wohnraum sollte abgeschlossen sein und eine Zentralheizung haben. Wünschenswert sei eine gute Anbindung an den ÖPNV und Einkaufsmöglichkeiten für die Grundversorgung.
Größere Unterkünfte als GU oder dezentrale Unterkunft mietet der Freistaat an. Kleinere Unterkünfte können an die Gemeinden vor Ort oder die Landratsämter gemeldet werden. Die Regierung sucht Gemeinschaftsunterkünfte mit Platz für 40 bis 100 Personen, Ansprechpartner für Wohnraumangebote ist Lothar Menzel, Telefon: (0931) 380-6008, E-Mail: lothar.menzel@reg-ufr.bayern.de.