Man hatte an den Lehrstühlen große Hoffnung in die millionenschwere Hightech Agenda von Ministerpräsident Markus Söder gesetzt. Zählt doch die Raumfahrtforschung an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU) in Satellitenentwicklung und Informatik zu den führenden Zentren in Deutschland. Doch statt einem ordentlichen Anschub sollen jetzt nur Brotkrumen von der satten Förderung des Freistaats übrig bleiben. Der pumpt das meiste Geld in den Aufbau einer neuen Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie (Erdvermessung) mit 55 Professuren an der TU München.
Politik und Wirtschaft machen sich für Würzburger Raumfahrtforschung stark
Ein Prestigeprojekt auf Kosten bestehender Kompetenz in Würzburg? Jedenfalls droht an der hiesigen Universität nun zu verhungern, was man über die Jahre mit großem Einsatz – und öffentlichen Mitteln – aufgebaut hat. Das ruft auch Wirtschaft und Politik auf den Plan. In einem gemeinsamen Brief haben sich kurz vor Weihnachten die Gesellschafter des Würzburger Technologie- und Gründerzentrums (TGZ) an den Ministerpräsidenten gewandt.
Unterzeichnet ist der Brief von den Spitzen der IHK und Handwerkskammer in Unterfranken, von Würzburgs OB Christian Schuchardt und Landrat Eberhard Nuß sowie den Präsidenten von Uni und FH. Sie fordern in dem Schreiben eine ordentliche Grundfinanzierung für das im TGZ angesiedelte Zentrum für Telematik unter Leitung von Prof. Klaus Schilling. IHK-Hauptgeschäftsführer Ralf Jahn hält das Zentrum für einen "Leuchtturm an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft". Es benötige und verdiene die politische und finanzielle Unterstützung aus München, sagt Jahn.
Höchste europäische Forschungspreise für Satellitenentwicklung
Klaus Schilling ist Inhaber des Lehrstuhls für Robotik und Telematik an der Uni und Pionier der Würzburger Raumfahrtforschung. 2003 kam er nach Mainfranken, hatte zuvor für die ESA und an der renommierten Universität Stanford (USA) gearbeitet. Im Lauf der Jahre hat Schilling eine vielbeachtete Expertise vor allem bei der Forschung mit Kleinstsatelliten entwickelt. Dekoriert wurde er dafür mit den höchsten europäischen Forschungspreisen (ERC Grants).
An Würzburgs Uni ist die Raumfahrtforschung gewachsen, gerade wurde im Rahmen des Elitenetzwerks Bayern die fünfte Professur (für Satellitenkommunikation) besetzt, eine sechste ist – finanziert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt – auf dem Weg. Ab dem nächsten Wintersemester gibt es den Studiengang Luft- und Raumfahrtinformatik sogar als Master.
Entsprechend groß ist der Ärger über die Antwort des Wissenschaftsministeriums auf eine Anfrage des Aschaffenburger FDP-Abgeordenten Helmut Kaltenhauser vom November. Darin werden Kapazität und Kompetenz der Raumfahrtforschung in Würzburg heruntergespielt und nahegelegt, künftig nur noch als eine Art Juniorpartner mit der TU München zusammenzuarbeiten. Dabei verfügt diese laut Schilling gerade mal über eine einzige echte Professur für Raumfahrttechnik gegenüber bald fünf Stellen in Würzburg.
Doch das Ministerium differenziert nicht zwischen Luft-, Raumfahrt und Geodäsie (Erdvermessung), sondern wirft 18 bestehende Professuren an der TU München in einen Topf. Auch der CSU-Landtagsabgeordnete Manfred Ländner aus Kürnach (Lkr. Würzburg) hat sich eingeschaltet. Er findet: "Die Anfrage wurde unglücklich beantwortet." Und in manchen Punkten einfach falsch. Deshalb hat er Wissenschaftsminister und Parteifreund Bernd Sibler um korrekte und belastbare Aussagen gebeten.
Großer Andrang auf Studiengänge in Würzburg
Ländner verweist auf das Alleinstellungsmerkmal der Würzburger Raumfahrtinformatik, so etwas gebe es sonst deutschlandweit nicht. Eigene Studiengänge wurden dafür angelegt. Beim "SpaceMaster", gefördert von der EU, kamen laut Schilling zuletzt 600 internationale Bewerber auf 50 Studienplätze. Der Studiengang "Satellite Technology" wird seit 2018 im Elite-Netzwerk Bayern gefördert und gemeinsam mit bayerischen Forschungsinstituten durchgeführt.
Weltweit arbeitet man mit renommierten Universitäten zusammen. Die Raumfahrtinformatik in Würzburg nicht auszubauen und durch eine subventionierte neue Konkurrenz im Münchner Raum zu verdrängen, hält CSU-Politiker Ländner schon volkswirtschaftlich für Unsinn. Samuel Kounev, Dekan der Würzburger Fakultät für Mathematik und Informatik sagt dazu: "Wir haben uns im Wettbewerb der Projekte durchgesetzt. Und nun will man das, was läuft, in Gefahr bringen?"
Pionier Schilling und seine Würzburger Professorenkollegen hoffen noch auf eine gute Wendung. Sie könnte zum Beispiel darin bestehen, die bemannte Raumfahrt an der TU München auszubauen, die Bereiche "New Space" und Satellitentechnik jedoch an der Uni Würzburg zu stärken. "Dann könnte jede Hochschule ihre Spezialitäten, die weltweit einen guten Ruf haben, weiterverfolgen", so Schilling.
Wer die Luft- und Raumfahrtforscher an der Uni besucht, erlebt Überraschendes. Verteilt sind sie auf vier Standorte am Hubland, unscheinbar untergebracht in Altbauten der früheren US-Kaserne. Und plötzlich tut sich ein hochmodernes Kontrollzentrum auf. Hier wird "Sonate" auf seinen Schleifen in der Umlaufbahn verfolgt und ausgewertet, erst vergangenes Jahr hatte man den Vier-Kilogramm-Satelliten mit einer Sojus-Rakete ins All befördert.
Oder im Erdgeschoss der ehemaligen Highschool: Eine Weltraum-Simulation mit riesigem Sternenhimmel, der Mondoberfläche, der Erde. Ein paar Meter weiter das Cockpit eines Airbus 320 als Flugsimulator. Während in München ein ganzer Campus neu gebaut wird, würden sich die Raumfahrtforscher in Würzburg schon über ein gemeinsames Gebäude freuen.
Doch es geht nicht nur um die Infrastruktur. "Wenn man uns hier in Würzburg abhängt, müssen wir Mitarbeiter entlassen", befürchtet Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik. Konnten nämlich bisher noch Millionenbeträge als Projektmittel eingeworben werden, könnte man auch hier gegenüber München ins Hintertreffen geraten. Allein in den vergangenen fünf Jahren habe man über 34 Millionen Euro an Forschungsdrittmitteln nach Würzburg geholt, so Schilling. An keiner deutschen Uni würden derzeit so viele Satelliten gebaut wie an der JMU, 18 an der Zahl.
Uni-Präsident: Kleinstsatelliten-Forschung auch über Hightech Agenda ausbauen
Auch Uni-Präsident Alfred Forchel weiß um die Errungenschaften. Die Raumfahrtforschung speziell zu den Kleinsatelliten habe sich zu einem "international sehr sichtbaren Bereich der Universität entwickelt". Was die neue Konkurrenz in München angeht, bleibt er diplomatisch: Man begrüße den dortigen Aufbau einer Luft- und Raumfahrtfakultät. Allerdings geht die JMU davon aus, "dass ein weiterer Ausbau der Würzburger Aktivitäten zu leistungsfähigen Kleinstsatelliten aus Elementen der Hightech Agenda möglich ist."
Die Würzburger Raumfahrt-Professoren fühlen sich mit ihren Leistungen von der Politik "vergessen". Zu gern würden sie dem Ministerpräsidenten ihr Knowhow einmal persönlich vorstellen. Sie hoffen, dass Söder einer Einladung folgt.
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