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WÜRZBURG/HALLE
Gerlinger-Sammlung: Kunst, die Brücken schlägt
Die Moritzburg in Halle stellt die Bilder des Würzburger Unternehmers aus. Ein Besuch in Sachsen-Anhalt weckt Wehmut.
Du und ich: Öl auf Leinwand, Karl Schmidt-Rottluff, 1919.
Foto: Sammlung Hermann Gerlinger | Du und ich: Öl auf Leinwand, Karl Schmidt-Rottluff, 1919.
Von unserem Redaktionsmitglied Michael Czygan
 |  aktualisiert: 17.11.2011 10:17 Uhr

Wenn es Würzburg schon nicht sein kann, dann ist Halle der beste Ort für unsere Sammlung“, sagt Hermann Gerlinger. Ein bisschen Wehmut darf schon sein, wenn der 80-Jährige gemeinsam mit seiner Frau Hertha durch die „Brücke“-Ausstellung führt. Noch dazu, wenn die Gäste aus seiner Heimatstadt Würzburg kommen wie beim Besuch des Ehrenrats der Karnevalsgesellschaft Elferrat. Doch die Wunden, die die Diskussion um ein „Brücke“-Museum für Würzburg gerissen hat, sind längst verheilt. Schließlich sind Hertha und Hermann Gerlinger in Halle mit offenen Armen empfangen worden: Das Land Sachsen-Anhalt hat in der Moritzburg attraktive Ausstellungsräume geschaffen, die beiden Sammler sind mittlerweile Ehrenbürger von Halle. So hat die „Brücke“ Brücken geschlagen, von Würzburg nach Halle.

„Wichtig war und ist uns, dass die Werke der ,Brücke'-Künstler öffentlich zugänglich sind“, sagt Hermann Gerlinger. Sammeln nur fürs Depot ist seine Sache nicht. Die Leidenschaft für die Holzschnitte, Zeichnungen und Gemälde will der 80-jährige Unternehmer teilen. Entsprechend bebt die Stimme, wenn er durch die Räume führt, erzählt, wie er sich die Kunst von Ernst-Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Emil Nolde, Max Pechstein oder Karl Schmidt-Rottluff, aber auch die Künstler-Biografien erschlossen hat. Und wie er zu den Werken gekommen ist.

Etwa wie er als Student der Wärmetechnik in einer Münchner Galerie den Holzschnitt „Melancholie“ von Schmidt-Rottluff entdeckte – und für seine Studentenbude kaufen konnte, nachdem der Galerist ihm angeboten hatte, die 30 Mark in Raten abzustottern. Der Sammler bekommt noch immer feuchte Augen, wenn er schildert, wie er 1975 „Du und ich“, eines der Highlights der Sammlung, erwarb. Das Doppelporträt hatte Schmidt-Rottluff 1919 seiner Frau zur Hochzeit gemalt. Beim Tee im Atelier habe er, so Gerlinger, den Künstler, mit dem er mittlerweile gut bekannt war, gefragt, ob er sich vorstellen könne, „dass das Bild eines Tages Teil meiner Sammlung ist“. Schmidt-Rottluff habe zunächst nicht geantwortet. „Nach einigen Monaten meldete er sich. Er hatte sein Bild für mich reserviert.“

Der Ingenieur Gerlinger ist im Lauf der Zeit zum Experten für die Kunstgeschichte der Klassischen Moderne geworden. Als „Kunsthistoriker der Tat“ hat ihn der Kirchner-Fachmann Wolfgang Henze gewürdigt. Von einem der „profundesten Kenner“ der „Brücke“ spricht Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Wiener Albertina. Aufgrund seiner einzigartigen Kenntnisse habe der Würzburger die „bei weitem umfangreichste und bedeutendste ,Brücke'-Sammlung“ aufgebaut.

Gerlinger interessiert die gemeinsame Zeit der jungen wilden (Archtektur-)Studenten nach der Gründung der Künstlergemeinschaft 1905 in Dresden, als Kirchner, Heckel und Co. mit ihrem Verzicht auf Form-Details und dem großflächigen Einsatz von Farbe das Malen revolutionierten, genauso wie das weitere Schaffen, nachdem sich ihre Wege getrennt, sie die Verfemung durch die Nazis erleben mussten und in der Nachkriegszeit große Anerkennung erfuhren.

„Landschaften der Brücke“, „Porträts“, „Brücke und Literatur“ oder aktuell „Gemälde aus sechs Jahrzehnten“: Bis zu vier Wechselausstellungen pro Jahr gestaltet Gerlinger aus seinem Fundus. Wer nach Halle kommt, erlebt die „Brücke“ jedes Mal neu.

Brücke-Sammlung in der Moritzburg

Die Moritzburg in Halle präsentiert die über 900 Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte und Lithografien der „Brücke“-Sammlung von Hermann Gerlinger (Bild) in wechselnden Ausstellungen. Bis 22. Januar 2012 sind „Gemälde aus sechs Jahrzehnten“ zu sehen. Zum ersten Mal werden alle 38 Gemälde der Sammlung in der Moritzburg gezeigt. Es handelt sich um Bilder unter anderem von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein und Otto Mueller.

 

Den Grundstein für die Moritzburg legte Erzbischof Ernst von Sachsen 1484. 1505 wurde sie von seinem Nachfolger Kardinal Albrecht von Brandenburg bezogen und kunstvoll ausgestattet, unter anderem mit Bildern von Cranach, Grünewald und Dürer. Der Name Moritzburg bezieht sich auf Mauritius, den Schutzheiligen des Erzbistums Magdeburg. Im 30-jährigen Krieg wurde die Moritzburg zerstört. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie als Museum genutzt. In den 20er Jahren beherbergte Halle eine bedeutende Sammlung moderner Kunst. Auch nach dem zweiten Weltkrieg war die Moritzburg ein Museum. Nicht zuletzt, um die Sammlung Gerlinger dauerhaft unterzubringen, investierte das Land Sachsen-Anhalt ab 2005 18 Millionen Euro in einen modernen Erweiterungsbau nach Plänen der spanischen Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano.

 

Öffnungszeiten: Dienstag 10 bis 19 Uhr, Mittwoch bis Sonntag und Feiertage 10 bis 18 Uhr, Montag geschlossen. Eintrittspreise: Fünf Euro für Erwachsene; Senioren und Studenten zahlen nur drei Euro; Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt. Führungen kosten einen zusätzlichen Euro.

 

Halle/Saale erreicht man von Würzburg aus in etwa 3,5 Stunden auf der Autobahn über Schweinfurt, Suhl, Erfurt, das Hermsdorfer und das Schkeuditzer Kreuz. Micz/FOTO: Czygan

Landschaft mit drei Brücken: Öl auf Leinwand, Erich Heckel, 1927
| Landschaft mit drei Brücken: Öl auf Leinwand, Erich Heckel, 1927
Fünf gelbe Akte am Wasser: Farblithografie von Otto Mueller, 1921
| Fünf gelbe Akte am Wasser: Farblithografie von Otto Mueller, 1921
Das blaue Mädchen in der Sonne: Öl auf Leinwand, Ernst-Ludwig Kirchner, 1910
| Das blaue Mädchen in der Sonne: Öl auf Leinwand, Ernst-Ludwig Kirchner, 1910
 
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