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Warum das blaue Mädchen blau sein muss
Von Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.12.2020 14:02 Uhr
Schweinfurt Warum das blaue Mädchen blau ist, darüber will Hermann Gerlinger nichts sagen. Er habe die ganzen gedrechselten Interpretationen satt. "Bilden Sie sich selbst eine Meinung", fordert er. Gut 160 Werke seiner Expressionisten-Sammlung sind bis 15. Januar im Schweinfurter Museum Georg Schäfer zu sehen. Darunter 32 Gemälde und unter diesen eben auch Ernst Ludwig Kirchners "Das blaue Mädchen in der Sonne" von 1910, die "Brücke-Ikone" (Gerlinger) schlechthin.

Was an der von Museumsleiterin Dr. Sigrid Bertuleit konzipierten Ausstellung - im Vergleich zu den anderen Brücke-Jubiläums-Schauen - besonders ist: Es sind Arbeiten weit über die offizielle Zeit des Bestehens der Gruppe (bis 1913) hinaus zu sehen. Nicht nur lässt sich die rasante Entwicklung der Künstler - unter ihnen auch Emil Nolde, Max Pechstein, Fritz Bleyl und Cuno Amiet - in den ersten Jahren nachvollziehen. Die wichtigen 1920- und 1930er Jahre sind mit Spitzenwerken vertreten, aber auch die Jahre der Verfemung und die Nachkriegszeit bis hin zum letzten Ölgemälde Schmidt-Rottluffs aus dem Jahre 1964 und sein letztes Aquarell von 1970.

So lassen sich persönliche wie gruppendynamische Entwicklungslinien nachvollziehen. Frühere Arbeiten zeigen noch Einflüsse von Jugendstil oder van Gogh. Binnen weniger Jahre vollzieht sich dann der Weg zur Reduzierung der Formen zu scharfkantigen Flächen. Der Holzschnitt ist hier das ideale Medium. Nicht weniger kompromisslos die Gemälde. Die Maler schichten harte Farbflächen ineinander, scheinbar ohne Tiefe, ohne plausible Lichtregie und oft ohne Bezug zur realen Farbigkeit der Objekte. Über Schmidt-Rottluffs "Junger Wald und Sonne" scheint eine braune Sonne, und die Gesichter in "Du und ich" (Abbildung) sind wuchtig zusammengefügte Felder aus Gelb, Grün, Ocker und Braun.

Doch was auf den ersten Blick wie malerische Kraftmeierei daherkommt, hat mehr mit der Wirklichkeit zu tun, als man vermutet. Wer mehr als einmal hinsieht, macht die Erfahrung, dass sich der eigene Blick plötzlich weitet, dass die hier dargestellte Welt eine weitere Dimension bekommt. Eine Präsenz, eine Plastizität und eine Tiefe, die frappierend wirken - auch 80 bis 100 Jahre später. Und so fängt man ganz allmählich an zu verstehen, warum das blaue Mädchen eben blau sein muss.

Daten & Fakten

Brücke-Ausstellung in Schweinfurt
· Die Sammlung des Würzburgers
Hermann Gerlinger umfasst etwa
800 Arbeiten - Gemälde, Grafik,
Skulpturen, Schmuckstücke - der
Künstlergruppe "Die Brücke". Sie
hat ihren dauerhaften Sitz in Halle
gefunden.

· "Die Maler der Brücke. Samm-
lung Hermann Gerlinger" ist bis
15. Januar im Museum Georg
Schäfer in Schweinfurt zu sehen.
Di.-So. 10 bis 17 Uhr, Do. bis 21
Uhr. Der Bestandskatalog zur
Sammlung kostet 48 Euro.

· Die Ausstellung "Spitzweg & Co.
Gemalter Humor" im MGS ist bis
zum 15. Januar verlängert.

 
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