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Würzburg/Mellrichstadt
Reporter aus Unterfranken im Visier der Stasi: Eberhard Schellenberger über seine Akten und Spitzel im Negligé
Die Überwachung in der DDR hatte bisweilen skurrile Züge. Für Opfer gab es nichts zu lachen. Damit dies nicht vergessen wird, schrieb der langjährige BR-Reporter ein Buch.
Eberhard Schellenberger ist als BR-Reporter jahrelang von der Stasi bespitzelt worden. Seine Erfahrungen hat er jetzt in einem Buch veröffentlicht.
Foto: Thomas Obermeier | Eberhard Schellenberger ist als BR-Reporter jahrelang von der Stasi bespitzelt worden. Seine Erfahrungen hat er jetzt in einem Buch veröffentlicht.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:46 Uhr

Es ist jetzt 32 Jahre her: Die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 sei der emotionale Höhepunkt in seinem Journalisten-Leben gewesen, sagt Eberhard Schellenberger. Der junge Radioreporter berichtete seinerzeit live von der Schanz bei Eußenhausen im Landkreis Rhön-Grabfeld, wo sich 4000 Menschen aus Ost und West in den Armen lagen, miteinander sangen und die deutsche Wiedervereinigung feierten.

Der Kalte Krieg war zu Ende, Deutschland wieder einig Vaterland. "Mir standen die Tränen in den Augen", sagt der langjährige Leiter des Regionalstudios Mainfranken beim Bayerischen Rundfunk (BR). In einem Buch lässt der 65-jährige Schellenberger die Zeiten damals wieder aufleben. Sein besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die Überwachung durch die DDR-Staatssicherheit.

Schellenbergers Stasi-Akten umfassen 400 Seiten

Fünf Jahre lang steht der Journalist im Visier des Geheimdiensts des SED-Regimes. Als Schellenberger 1993 bei einem Treffen mit ehemaligen DDR-Oppositionellen Hinweise erhält, von ihm dürfte es eine umfangreiche Akte in der Gauck-Behörde geben, wird er neugierig. Die Ankündigung des Termins zur Einsicht der Dokumente in Suhl ist mit dem Hinweis versehen, drei bis vier Stunden müsse er sich schon Zeit nehmen. "Da war ich zum ersten Mal überrascht", sagt Schellenberger. "Zum zweiten Mal dann, als mir ein Archiv-Mitarbeiter gleich 300 Seiten vorlegt."

Letztlich umfassen Schellenbergers Akten - eine zweite wurde in Cottbus geführt - 400 Seiten Berichte über private und berufliche Besuche und Begegnungen in der DDR, Beurteilungen seiner Persönlichkeit, einzelne Fotos, Mitschriften von Gesprächen, Telefonaten und Radiobeiträgen.

Das Deckblatt der Stasi-Akte von Eberhard Schellenberger.
Foto: Eberhard Schellenberger | Das Deckblatt der Stasi-Akte von Eberhard Schellenberger.

Unter den Decknamen "Antenne" und "Journalist" hat die Stasi die Aktivitäten akribisch aufgeschrieben. Schellenberger, der aus Zeil im Landkreis Haßberge stammt, ist unweit des Eisernen Vorhangs, im sogenannten Zonenrandgebiet groß geworden. "Ich will es wissen, mich interessiert, wie die Menschen auf der anderen Seite der Grenze leben", sagt er. 1984 reist der Reporter erstmals privat in die DDR. Seine Frau hatte ihn motiviert, Brieffreunde in der Lausitz, denen die Familie regelmäßig Weihnachtspäckchen mit Kaffee und Seife schickt, doch mal zu besuchen.

Agenten am Nebentisch im Restaurant

Dass ein Journalist privat in die DDR einreist, alarmiert die Stasi. Sie ist künftig bei allen Besuchen mit dabei. Zunächst schildert ein GMS, ein gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit vor Ort, immer wieder, wenngleich nicht lückenlos, die privaten Ausflüge der Schellenbergers und ihrer Freunde in die nähere und weitere Umgebung. Einmal, auf der Rückfahrt aus dem Zittauer Gebirge, werden sie von zwei Männern in einem schwarzen Lada verfolgt. Beim Stopp in einem Restaurant verhalten sich die beiden Agenten in Trenchcoat - "wie im Film" - am Nebentisch "so auffällig unauffällig, dass wir lachen müssen". Die Szene fehlt in der Akte.

Was ein bisschen nach Räuber-und-Gendarm-Spiel klingt, verschärft sich, als der Unterfranke erstmals als Radioreporter Einreise in die DDR begehrt. Im Sommer 1985 will Schellenberger in Dresden für eine Sendung "40 Jahre nach der Zerstörung von Dresden und Würzburg - Bilanz des Wiederaufbaus an Elbe und Main" recherchieren. Die Reise wird genehmigt, Schellenberger wird ein "journalistischer Begleiter" zugeordnet.

Man habe schnell einen menschlichen Draht zueinander gefunden, schreibt Schellenberger in seinem Buch. Dass der Mann der Stasi berichtete, erfährt der Journalist erst beim Studium der Akte. Viele Details der Recherchen sind protokolliert, dazu gibt der Begleiter Einschätzungen zur Person Schellenberger ab: Seine "politisch-ideologische Position" sei nicht exakt zu bestimmen, eindeutig aber sei seine Verurteilung von "Neonazis in Bayern und der BRD".

Eberhard Schellenberger mit der DDR-Fahne, die ihm Bernd Höland, der Gründer des Freundeskreises Suhl in Würzburg, kürzlich geschenkt hat. Die Flagge hing einst an der innerdeutschen Grenze.
Foto: Thomas Obermeier | Eberhard Schellenberger mit der DDR-Fahne, die ihm Bernd Höland, der Gründer des Freundeskreises Suhl in Würzburg, kürzlich geschenkt hat. Die Flagge hing einst an der innerdeutschen Grenze.

Ganz offensichtlich aber traut die Stasi ihrem eigenen Zuträger nicht. Neben Gesprächen mit Denkmal-Experten und SED-Funktionären will Schellenberger in der Würzburger Straße in Dresden auch noch O-Töne von Passanten aufnehmen. Eine ältere Frau berichtet vom Wiederaufbau ihres Hauses, bevor es am Ende aus ihr herausbricht: Gerne würde sie mal ins schöne Würzburg fahren, aber man sei hier in Dresden ja eingesperrt. Der Begleiter sei blass geworden, sagt Schellenberger. Er verspricht ihm, die Aufnahme nicht zu verwenden.

Abends dann wird der BR-Reporter gleichwohl ins Foyer seines Hotels gerufen: Die alte Frau aus der Würzburger Straße ist gekommen und bestürmt ihn, bloß nichts von den Sätzen zu verwenden, die sie am Ende des Interviews gesagt habe. Woher sie weiß, in welchem Hotel Schellenberger untergebracht ist? Offenbar sind er und sein Bewacher von einem weiteren Stasi-Spitzel beobachtet worden.

Stasi erarbeitet "Maßnahmenplan" gegen Journalisten

Noch engmaschiger wird die Überwachung, als sich Anfang 1988 eine Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und Suhl anbahnt. Mehrfach reist Schellenberger mit Würzburger Delegationen in die thüringische Bezirksstadt. Die Stasi ist immer dabei, ein ganzer "Maßnahmenplan" zum Umgang mit West-Journalisten wird erarbeitet. In der Akte "Antenne" finden sich - fein säuberlich mit der Schreibmaschine getippt - Beobachtungsprotokolle genauso wie Abschriften von Telefonaten und Radioreportagen. "Einzelne Beiträge, die der BR nicht mehr im Archiv hatte, habe ich tatsächlich in den Stasi-Dokumenten wiedergefunden", sagt Schellenberger heute.

Die innerdeutsche Grenze war in den 70er und 80er Jahren ein beliebtes Ausflugsziel in der Rhön.
Foto: Archivbild Main-Post | Die innerdeutsche Grenze war in den 70er und 80er Jahren ein beliebtes Ausflugsziel in der Rhön.

Ansonsten reichen die Aufzeichnungen von Belanglosigkeiten wie dem Wetter in Suhl oder der Tonqualität der Telefon-Übertragung bis hin zu politischen Bewertungen. "Insgesamt trat Schellenberger in seiner Berichterstattung und Kommentierung äußerst negativ in Erscheinung", heißt es etwa in einem Stasi-Bericht, nachdem der Bayerische Rundfunk Ende 1988 ein "Bürgergespräch" mit dem Oberbürgermeister von Suhl in Würzburg bilanziert und dort unter anderem auch eine ehemalige DDR-Bürgerin zu Wort kommen lässt, die den Umgang des SED-Regimes mit Kritikern und Ausreisewilligen beklagt. Dass Schellenberger auch erwähnt, wie dem Suhler OB beim Versuch, die Anschuldigungen zu begegnen, der Schweiß auf der Stirn steht, stößt dem Stasi-Oberstleutnant besonders auf.

Annäherungsversuch im Negligé

Im Rückblick lesen sich viele Schilderungen aus den Dokumenten, die Schellenberger im Buch veröffentlicht, wie Szenen aus einem (mehr oder weniger schlechten) Film. Über viele Skurrilitäten lasse sich mehr als drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall schmunzeln, sagt Schellenberger. Er warnt aber davor, zu vergessen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, der (mögliche) Kritiker gnadenlos verfolgte.

Wie arglistig die Verantwortlichen dabei vorgingen, zeigt der Buchautor auch anhand der Akte von Bernd Höland. Als die Partnerschaft zwischen Würzburg und Suhl Formen annimmt, gründet der gebürtige Thüringer in Würzburg einen Freundeskreis Suhl - mit dem Ziel, fernab von offiziellen Delegationen auch Bürgerinnen und Bürgern aus Ost und West Kontakte zu ermöglichen.

Bernd Höland, der Gründer des Freundeskreises Suhl in Würzburg, mit seiner Stasiakte.
Foto: Helga Schneider (Archivbild) | Bernd Höland, der Gründer des Freundeskreises Suhl in Würzburg, mit seiner Stasiakte.

Für die Stasi bedeuten solche Aktivitäten Alarmstufe rot. Unter dem Namen "Drahtzieher" wird Hölands Akte geführt. Ein Ziel der Überwacher ist es, "Verunsicherungsmaßnahmen zu ergreifen und kompromittierendes Material zu sammeln". Also wird der Würzburger beim Besuch in Suhl von vermeintlichen Privatleuten zum Übernachten in die Wohnung geladen. Als der Hausherr das Wohnzimmer mit einem großen Spiegel an der Wand unter einem Vorwand verlässt, serviert die Ehefrau Höland Sekt, taucht plötzlich im rosafarbenen Negligé auf und setzt sich neben ihn.

Der Gast aus dem Westen reagiert nicht auf den Annäherungsversuch. Er geht schlafen. Am nächsten Morgen entdeckt er dann im Badezimmer, auf der Rückseite der Wohnzimmer-Wand mit dem Spiegel, einen Bretterverschlag, in dem sich gut eine Kamera verstecken ließ. Hölands Verdacht, dass er kompromittiert und schließlich erpresst werden sollte, bestätigt sich nach der Wende beim Blick in die Stasi-Akte. 2010 ernennt die Stadt Suhl den früheren Staatsfeind zum Ehrenbürger.

Früher Klassenfeind, jetzt Reporter mit Gänsehaut

Auch für Eberhard Schellenberger ändert sich mit dem Mauerfall die Arbeit im und mit dem Osten.  "Das Schönste sind die menschlichen Begegnungen entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs." Regelmäßig sendet das BR-Regionalstudio nun von Verbrüderungsfeiern im ehemaligen Zonenrandgebiet - und darüber hinaus. Am 1. Juli 1990 berichtet Schellenberger anlässlich der Einführung der D-Mark im Osten live aus dem Suhler Studio des DDR-Rundfunks für die BR-Radiowellen, als ihn plötzlich die Anfrage der DDR-Kollegen aus Erfurt ereilt, ob er nicht auch für das Radio der DDR einen Beitrag mit O-Tönen absetzen könne. ",Na klar, gerne', sagte ich. Und dann berichtete der einstige Klassenfeind vom BR - mit einer riesigen Gänsehaut."

Der Grenzübergang Eußenhausen-Meiningen kurz nach dem Mauerfall im November 1989.
Foto: Hubert Herbert (Archivbild) | Der Grenzübergang Eußenhausen-Meiningen kurz nach dem Mauerfall im November 1989.

Anekdoten wie diese zeugen von der historischen Dimension der Wiedervereinigung. Fast von einem Tag auf den anderen waren die Zeiten, dass sich Ost und West hochgerüstet zwischen Unterfranken und Südthüringen gegenüberstanden und belauerten, vorbei. Die deutsch-deutsche Vergangenheit  nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sei seine Motivation, die Geschichte seiner Stasi-Verfolgung aufzuschreiben und zu veröffentlichen, sagt Eberhard Schellenberger. "Viele junge Menschen heute können sich diese Konfrontation mitten in Deutschland heute gar mehr nicht vorstellen." Und so freut sich der Reporter vor allem, wenn Schulen anfragen, ob er seine Erinnerungen nicht im Unterricht vorstellen könne. "Da sage ich sofort zu."    

Buchpräsentation am 3. Oktober

Das Buch "Deckname Antenne. Als Journalist im Visier der Stasi" von Eberhard Schellenberger ist im Würzburger Echter Verlag erschienen. Es ist gebunden, umfasst 195 Seiten mit vielen Bildern und kostet 19,90 Euro.
Autor Eberhard Schellenberger stellt das Buch bei einer Lesung und Gesprächsrunde am kommenden Montag, 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, um 19 Uhr in Würzburg im Theater am Neunerplatz vor.  Kartenreservierung: www.neunerplatz.de
micz
 
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Kommentare
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  • norbert.zirnsak@igmetall.de
    Der BRD Verfassungsschutz war keinen deut besser. Bis in die Schlafzimmer hinein haben die Schlapphüte ihre Ohren in der alten Bundesrepublik aufgesperrt. 50 Jahre Berufsverbote zeigen, wie zehntausende Bürger, auch Würzburger waren Opfer, willkürlich drangsaliert wurden. Es wird Zeit, dass auch die BRD Akten des Inlandsgeheimdienstes endlich öffentlich werden. So mancher dürfte erstaunt sein, welche Sammlungen da zu Tage kommen. Herr Schellenberger macht es richtig. Seine Veröffentlichung zeigt, wie Besessen die Inlandsgeheimdienste zu Zeiten des kalten Krieges waren. Im besten Fall könnte die heutige Generation etwas daraus lernen, und die institutionelle Bespitzelung der eigenen Bevölkerung endlich beenden.
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  • Lebenhan1965
    Die Verschwörungsthesen

    Verbreiter in diesem Forum sollten sich mal das Buch zu Gemüte führen.

    Danach, wenn sie es denn verstanden haben, können sie ihre hohle These, dass wir eine DDR 2.0 wären, eigentlich nicht mehr verbreiten.

    Wenn Sie es doch weiterhin tun, dann haben sie das Buch nicht verstanden oder sind schon sektenähnlich infiltriert.
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