Über vier Jahrzehnte lang hat Eberhard Schellenberger seiner Heimat eine Stimme gegeben. Wortwörtlich. Viele Menschen in Mainfranken kennen vielleicht nicht sein Gesicht, aber seinen warmen, fränkisch gefärbten Tonfall. "Ich bin ein Radio-Mann durch und durch", sagt der 63-Jährige vom Bayerischen Rundfunk (BR) über sich selbst. Am kommenden Donnerstag um 12 Uhr verabschiedet er sich von seinen Hörern in den Ruhestand. Ein letztes Mal moderiert Eberhard Schellenberger dann "Mittags in Mainfranken", das Regionalmagazin auf Bayern 1.
Fragt man den Leiter des Studios Mainfranken, wie viele Sendungen es denn gewesen sind, die er präsentiert hat, kann er nur schätzen. "So um die 2000 Mal das Mittagsmagazin – und dazu kommen bestimmt nochmal 2000 Volksmusiksendungen auf Bayern 2 und Bayern 1".
Seine Beiträge als Reporter hat niemand gezählt, sie aber sind die Grundlage seiner Popularität. Eberhard Schellenberger war mit dem Mikrofon draußen bei den Menschen vom Untermain bis in die Rhön, vom Spessart bis in den Steigerwald. "Es gibt nichts Schöneres, als mit Radio Bilder im Kopf der Hörer zu erzeugen", so lautet sein Credo.
Die kleinen Geschichten, die unterhaltsamen, die skurrilen, manchmal auch die traurigen, die hat Schellenberger am liebsten erzählt. Seine "Sympathie noch fürs letzte kleine Nest im fränkischen Nirgendwo", die sei einfach ansteckend gewesen, sagt der Kabarettist Frank-Markus Barwasser, der in den 90-er Jahren bei Eberhard Schellenberger Radio-Journalismus gelernt hat und deshalb im Regionalstudio "ziemlich schöne Jahre" hatte.
Beim Haßfurter Tagblatt startete Schellenberger seine Laufbahn
Geboren 1957 in Zeil am Main (Lkr. Haßberge) beginnt Schellenberger nach dem Abitur ein Volontariat beim Haßfurter Tagblatt. Schon während der zweijährigen Ausbildung zum Zeitungsredakteur klopft er beim BR an. Ihm ist aufgefallen, dass das 1977 in Würzburg gegründete Regionalstudio "fast gar nichts aus den Haßbergen berichtet". Aus der Beschwerde bei Studioleiter Siegfried Müller wird bald der erste Auftrag für den Sender.
"Ein Manöver der US-Armee an der innerdeutschen Grenze" ist im Herbst 1978 Thema seiner ersten Radioreportage. Und die kommt offensichtlich an, so dass er nun hin und wieder neben dem Schreiben fürs Tagblatt auch fürs Radio unterwegs sein darf. Schnell ist eine Leidenschaft geweckt: 1980 wechselt Schellenberger zum Rundfunk nach Würzburg. Anfangs freier Mitarbeiter, wird er 1983 fester Redakteur, 1996 dann Redaktionsleiter beim Radio. Heute ist er der dienstälteste Studioleiter in Reihen des BR und auch für die Fernseh- und Internet-Aktivitäten des Senders in Unterfranken verantwortlich.
Unterhält man sich mit Eberhard Schellenberger über die Höhepunkte seiner journalistischen Arbeit, dann nennt er den Fall des Eisernen Vorhangs und die Deutsche Einheit. Aufgewachsen im sogenannten Zonenrandgebiet interessiert ihn von klein auf, wie die Menschen auf der anderen Seite des Stacheldrahts leben. Regelmäßig ist er drüben, privat wie beruflich.
Und begleitet von der Staatssicherheit. Knapp 400 Seiten akribische Aufzeichnungen des DDR- Geheimdiensts über sich hat der Reporter nach der Wende in den Akten entdeckt. Vieles lässt einen aus heutiger Sicht schmunzeln, den Stasi-Leuten aber war es bitterer Ernst, den Journalisten aus dem Westen ("Deckname Antenne") möglicht lückenlos zu überwachen. Das beginnt 1985, als er in Sachsen für ein Doppelporträt der im zweiten Weltkrieg ähnlich schwer zerstörten Städte Würzburg und Dresden recherchiert, erreicht seinen Höhepunkt 1988/89, als die Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und dem thüringischen Suhl besiegelt wird.
Selbst nachts wird der Journalist von der Stasi verfolgt
Selbst nachts wird er verfolgt: "23.12 Uhr betrat Schellenberger mit weiteren Delegationsmitgliedern die Hotelbar. Hier unterhielt er sich angeregt und nahm alkoholische Getränke zu sich. Um 2.15 Uhr verließ Schellenberger die Bar und ging an der Rezeption vorbei zum Betten-Komplex ", heißt es in einer Stasi-Aufzeichnung vom 25. Januar 1989 in Suhl. Bitter war, so erinnert er sich, dass ihn auch Westdeutsche bespitzelten. Bei einer Fahrt mit dem "Arbeitskreis innerdeutsche Kontakte" nach Zeulenroda hat er heimlich ein zigarettenschachtelgroßes Tonbandgerät dabei, um in einer Kirche Gesang und Glockenläuten aufzunehmen. Ein Mitreisender berichtet das dem DDR-Geheimdienst alles detailgetreu.
"Umso schöner war es, live mitzuerleben und den Hörern zu schildern, wie Ost und West wieder zusammenkamen." Die Reportagen aus jenen Tagen sind Zeitdokumente, "sie bezeugen die Freude und Euphorie, die damals herrschte". Bis heute, sagt Eberhard Schellenberger, habe die "Welle Mainfranken" treue Hörer auch in Südthüringen.
Gut 70 Frauen und Männer arbeiten aktuell im BR-Regionalstudio, im neunten Stock des Posthochhauses am Würzburger Hauptbahnhof sowie den beiden Außenbüros in Schweinfurt und Aschaffenburg. Knapp zwei Drittel sind journalistisch tätig, hinzu kommen Kameraleute, Tontechniker und Verwaltung.
"Als ich angefangen habe, waren wir sieben, acht Kollegen", erinnert sich Schellenberger. Allen öffentlich-rechtlichen Sparzwängen zum Trotz habe der Bayerische Rundfunk die Berichterstattung aus den Regionen über die Jahre weiter ausgebaut: Neben den Nachrichten und aktuellen Sendungen für Mainfranken bestücken die Reporter aus der Region rund um die Uhr auch das landesweite Programm der mittlerweile neun Radiowellen, das BR-Fernsehen sowie bei aktuellen Anlässen auch ARD-Aktuell mit "Tagesschau" und "Tagesthemen". Hinzu kommt der regionale Internet-Auftritt. "Trimedial" sollen die BR-Reporter unterwegs sein. Dazu gehören heute auch Livestreams wie zuletzt vom Rathaus-Empfang für die Würzburger Kickers oder von der Einweihung des Mahnmals zur Erinnerung an die Deportation der mainfränkischen Juden.
Schellenberger ist auch eine digitale Marke
Bei aller Liebe zum Radio, Eberhard Schellenberger lebt den Wandel im Journalismus. Mit seinen Facebook- und Twitter-Aktivitäten sei er eine "digitale Marke" in Mainfranken, würdigt ihn Stephan Kirchner. Der stellvertretende Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks ist auch einer, der sein Handwerk im Würzburger Regionalstudio gelernt hat. Es sei nicht selbstverständlich, dass erfahrene und langjährige Journalisten den "Switch ins Digitale" so gut hinbekommen, sagt Kirchner.
Schellenberger sieht in der Digitalisierung die Chance, die Jüngeren für die öffentlich-rechtlichen Sender zu gewinnen, die nicht einfach Bayern 1 oder Bayern 2 einschalten, sondern Inhalte via App und Podcast abrufen. "Radio ist nicht tot", sagt der 63-Jährige, "vor allem dann nicht, wenn es journalistische Qualität produziert und nah bei den Menschen ist".
Die "kritische Liebe zur Heimat" sei sein Antrieb, sagt Schellenberger. Als "Prototyp eines konstruktiven Journalisten" beschreibt ihn Kollege Kirchner. Barwasser erzählt von einem Reporter, "der mit außergewöhnlich viel Herzblut bei der Sache war". Und dem es bei aller Nähe zu den regionalen (Polit-)Größen gelungen sei, das richtige Maß an Distanz zu wahren. "Genau hinsehen, genau hinhören, das Große im Kleinen finden, die Phantasie einzusetzen ohne ihr so viel freien Lauf zu lassen, dass die Wahrheit am Ende einer Pointe geopfert wird", so charakterisiert der Kabarettist ("Erwin Pelzig") Schellenbergers Herangehensweise.
Eine Moderation will er weiter übernehmen
Kann so jemand nun also von heute auf morgen das Mikrofon aus der Hand legen? "Ich habe es ganz fest vor", sagt Eberhard Schellenberger lachend. Seit fast 40 Jahren ist er zuhause im Würzburger Stadtteil Unterdürrbach. Jetzt möchte der dreifache Vater und Opa eines Enkels mehr Zeit mit der Familie verbringen, mit Ehefrau Monika will er viel reisen, Konzerte und Theater besuchen.
Für eine Moderation indes, eine ehrenamtliche, stehe er weiter gerne zur Verfügung, sagt er. Das Internationale Kinderfest, immer im Mai in Würzburg, sei ihm einfach "eine Herzensangelegenheit". 1990 hat der BR gemeinsam mit der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) und der Stadt Würzburg die Organisation übernommen, 500 Ehrenamtliche von 80 bis 100 Organisationen bescheren bis zu 30 000 Besuchern jedes Jahr einen Familien-Sonntag auf "Bayerns größter Spielwiese". Der Erlös ist für Kinder- und Jugendprojekte in Entwicklungsländern.
Dieses Jahr ist das Fest coronabedingt erstmals ausgefallen, beim nächsten Mal aber will Schellenberger wieder mit auf der Bühne stehen.