Für den Film, der im Juni 1928 in New York zu sehen war, hätte sich kein prächtigeres Ambiente finden können: Das 1927 eröffnete luxuriös ausgestattete „Roxy Theatre“ in der Nähe des Times Square fasste beinahe 6000 Menschen. Im mit viel Gold ausgestatteten Zuschauerraum wiesen livrierte Platzanweise die Sitze zu. Bevor der Streifen „The Strange Case of Captain Ramper“ lief, spielte das hauseigene 110-Mann-Orchester die Peer-Gynt-Suiten von Edvard Grieg; nachdem „Der merkwürdige Fall des Captain Ramper“ zu Ende erzählt war, tanzte die Kino-Truppe „Roxyettes“ auf der gigantischen Bühne.
Der Mann, auf dessen Theaterstück „Ramper“ der Film basierte, war der Würzburger Schriftsteller Max Mohr, dessen Roman „Frau ohne Reue“ in diesen Wochen im Mittelpunkt der Aktion „Würzburg liest ein Buch“ steht. Am Sonntag, 25. Juli, zeigt das Central im Bürgerbräu um 11 Uhr die deutsche Originalfassung „Ramper, der Tiermensch“.
"Ramper" wurde auch von Max Reinhardt in Berlin inszeniert
Der 1891 geborene Max Mohr hatte Medizin studiert, doch als eigentliche Berufung empfand er die Schriftstellerei. 1922, als er schon in einem Einödhof bei Rottach-Egern lebte, feierte er mit dem Stück „Improvisationen im Juni“ einen großen Erfolg, 1925 wiederholte er ihn mit „Ramper“. Auf vier Buhnen simultan uraufgefuhrt und im Berliner Deutschen Theater von Max Reinhardt mit dem berühmten Schauspieler Paul Wegener inszeniert, wurde „Ramper“ deutschlandweit gefeiert. Im Verlauf von zwölf Monaten kam es zu uber 20 Erstauffuhrungen.
Ramper ist ein Polarforscher, der mit seinem Flugzeug im Eis strandet, in vielen Jahren des Alleinseins scheinbar alles Menschliche abwirft, gefunden wird und als „Tiermensch“ in einem Zirkus landet, bevor ihn ein Arzt heilt. Das Stück schildert, manchmal grotesk übertrieben, die Leere des Amüsierbetriebs, die Selbstüberschätzung der Medizin und die verzweifelte Suche von Menschen nach sich selbst. Am Schluss will Ramper nur eines: zurück in die Einsamkeit. Ein Rezensent siedelte Mohrs Werk zwischen Georg Büchners „Woyzeck“ und Ernst Tollers „Hinkemann“ an.
Ins Englische übersetzt, wurde Mohrs Zivilisationskritik 1926 in New York und London gespielt. Es konnte nicht ausbleiben, dass sich eine Filmgesellschaft die Rechte an dem erfolgreichen Stoff sicherte. Damals, als es nur Stummfilme gab und deutsche Kinoproduktionen internationales Renommee besaßen, war klar, dass der Streifen auch im Ausland – mit Zwischentiteln in den jeweiligen Sprachen – laufen würde. Dass es aber in New York sogar das damals größte Kino der Welt war, hätte wohl nicht einmal der selbstbewusste Paul Wegener, der auch im Film den Ramper spielte, ahnen können.
In seinen Briefen an Max Mohr berichtete der aus „Der Golem“ (1920) bekannte Stummfilmstar und König des phantastischen Kinos im Sommer 1927 von den Dreharbeiten. Dabei sei „in keiner Hinsicht gespart und alles so großzügig wie möglich gemacht“ worden. Allein die im Atelier aufgebaute Polarlandschaft habe rund 50 000 Mark gekostet – ganz abgesehen von einigen teuren Drehtagen im ewigen Eis. Seine Briefe unterschrieb er mit „Dein alter Paul Wegener“.
Ende September 1927 war der Streifen fertig und Wegener fand ihn „außerordentlich stark“. Der Enthusiasmus in der Produktionsfirma sei beachtlich: „Man setzt die allergrößten Hoffnungen auf den Film, der wohl in allen Ländern der Welt gespielt werden wird“. Die Deutschland-Premiere fand im Oktober 1927 statt; anschließend lief „Ramper, der Tiermensch“ in vielen deutschen Städten.
Die Würzburger konnten ihn in den Odeon-Lichtspielen („O-Li“) in der Augustinerstraße sehen, wobei er hier als „Ramper – Mensch oder Tier?“ beworben wurde. Gleichzeitig begann die weltweite Auswertung, die „den Film zum Beispiel in die USA und nach Frankreich führte, wo der Film „L’homme du pôle“ (Der Mann vom Pol) hieß.
Das Werk, von dem heute nur ein 60-minütiges Fragment existiert, bei dem der Schluss fehlt, wirkt wie ein – manchmal zu wilder – Gewaltritt durch alle möglichen damals populären Genres. Am Anfang, als der Flieger Ramper beim Versuch, einen neuen Weltrekord aufzustellen, im ewigen Eis Grönlands abstürzt, ist es ein Abenteuerfilm. Dieser wird zum Horrorfilm, nachdem Ramper in einsamen Jahren völlig verwildert und, abgesehen von primitiven Lautäußerungen, das Sprechen verlernt.
In Würzburg war das Stück erst 1928 zu sehen
Die Mannschaft eines Walfängers fängt den „Tiermenschen“ und der Kapitän verkauft ihn an einen Zirkusdirektor. Jetzt geht es im Film um Rampers Ausbeutung als Rummelattraktion und die Liebe der Tochter des Direktors zu ihm, außerdem um einen Arzt, der seine ursprüngliche Persönlichkeit wieder zum Vorschein bringt. Dann stürzt sich Ramper ins Nachtleben und der Film bietet menschliche und visuelle Exzesse, bevor es Ramper, abgestoßen von dieser expressionistisch gezeichneten Großstadtwelt, wieder nach Grönland zieht.
Paul Wegener identifizierte sich völlig mit Max Mohrs Erfolgsstück. Bereits seit Januar 1926 reiste er – wenn er nicht ein Theaterengagement hatte oder drehte – mit seiner Truppe quer durch Deutschland und brachte „Ramper“ auf die Bühnen. In Würzburg war das Stück erst 1928 zu sehen, als Wegeners Compagnie im Stadttheater auftrat. Der im Jahr zuvor gespielte Film hatte eine beträchtliche Werbewirkung entfacht. „Das Theater war ausverkauft, man hatte sogar den Orchesterraum für Zuschauerplätze zur Verfügung stellen müssen“, hieß es anschließend im Würzburger General-Anzeiger. Der Rezensent schrieb, der Schlussbeifall sei „zu einer großartigen Huldigung, zur Bejahung einer darstellerischen Kunstschöpfung von ungewöhnlichem Ausmaß“ angeschwollen.
Den Erfolg mit „Ramper“ konnte Max Mohr nie wiederholen. Er verlegte sich aufs Verfassen von Romanen und floh 1934 vor den Nazis nach Shanghai – damals eine international regierte Großstadt. Hier starb der jüdische Emigrant, der wieder als Arzt arbeitete, 1937 im Alter von 46 Jahren an Überarbeitung.
Aufgeführt wird am Sonntag, 25. Juli, um 11 Uhr im Central die einzig bekannte Überlieferung des Films, ein Fragment von einer Stunde Laufzeit, begleitet von Live-Musik-Improvisation von „Küspert & Kollegen” mit Till Martin (Saxophon, Klarinette), Bastian Jütte (Schlagzeug) und Werner Küspert (Gitarre, Konzeption/Komposition).
Reservierung unter www.central-bb.de, Eintritt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro.