Über mehrere Wochen lesen möglichst viele Menschen in Würzburg ein Buch und kommen darüber ins Gespräch. Vom 15. bis 25. Juli wird bei "Würzburg liest ein Buch 2021" nun der Roman "Frau ohne Reue" des 1891 in Würzburg geborenen Arztes und Schriftstellers Max Mohr gelesen, besprochen, diskutiert, aufgeführt und transformiert. Der Festakt mit den Schirmherren Oberbürgermeister Christian Schuchardt und Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, findet am Donnerstag, 15. Juli, statt. In einer Pressemitteilung stellt die Aktion "Würzburg liest ein Buch" Max Mohrs literarisches Schaffen vor.
Wie aus dem Arzt Max Mohr der Schriftsteller Max Mohr wurde, wissen wir nicht. Vielleicht geschah die Wandlung im Ersten Weltkrieg, vielleicht war eine Episode verantwortlich, die er in dem Band "Querschnitt durch die fränkische Dichtung im Jahr 1928" schildert: Am 21. September 1917 war er mit fünf Kameraden zum Tod durch Erschießen verurteilt worden und musste zusehen, wie drei von ihnen starben, bevor man die nächsten drei begnadigte. Ein Bild vom Rande des Lebens, das er nur an dieser einen Stelle hergezeigt hat.
Nicht in erster Linie Lyriker
Noch im Krieg verfasste er erste Sonette, die recht konventionell daherkommen und nicht über seinen Bekanntenkreis hinausgelangten. Dem Sonett aber blieb er treu, noch 1932 erschienen seine "Sieben Sonette vom neuen Noah", darin nennt er das Sonett "die objektivste Form, die ihm zur Verfügung steht". Nun, Max Mohr war nicht in erster Linie Lyriker, und er hat dies schon bald eingesehen.
Sein Hauptwerk besteht in den vielen Dramen, die seit 1920 entstanden. Bereits das erste ist schon eine Satire, ja, eine Groteske: "Die Dadakratie". Mohr reagierte darin auf die Dadabewegung, eine anarchische Gruppierung, der es um den Ausbruch aus erstarrten Konventionen zu tun war und die sich die Provokation des Bürgertums auf die Fahnen geschrieben hatte. Sein erster großer Erfolg war aber gleich das nächste Stück: "Improvisationen im Juni", wieder eine Komödie und gleichzeitig eine Satire auf die ungebremsten Aktienspekulanten, denen die Wirklichkeit im Zahlensalat abhanden kommt. Und denen Mohr, wie eigentlich in seinem gesamten Werk, etwas entgegenstellt, das man vielleicht am besten "aufgeklärte Bodenständigkeit" nennt.
Polarforscher im ewigen Eis
Die Verbindung zur Natur ist für ihn zentral in seinem ganzen Werk, er nimmt seine Kraft und seinen Wertekanon aus seinem Umgang mit der Natur, natürlich wesentlich auch als Bergsteiger. Der Gegensatz Mensch – Natur bildet das Zentrum seines Werks. Das tritt besonders in seinem Drama "Ramper" von 1925 zutage: Ramper ist ein Polarforscher, dessen Flugzeug abstürzt und der 20 Jahre allein im Eis überlebt. Dann wird er gefunden und als Tiermensch im Varieté vorgeführt. Der "Urmensch" tritt in die Zivilisation, die er spiegelt. Das geht nicht gut aus, soviel sei verraten.
Mohrs literarisches Schaffen vollzog sich an einem Epochenwechsel: Er begann im Expressionismus und schrieb sein Hauptwerk während der Neuen Sachlichkeit, über die er sich freilich ebenso lustig machte wie über den Expressionismus in "Die Dadakratie". Am schönsten tut er das in dem Roman "Venus in den Fischen", wenn er die jeweiligen Fimmel seiner neusachlichen Figur der "Tizianlady" inklusive ihrer Günstlinge auflistet.
Dieser Roman ist von einer geradezu unwiderstehlichen Komik, aber auch er endet in und mit der Natur, bei einer Geburt im Berghof. Man täte Mohr jedoch Unrecht, würde man sein Werk unter "zurück zur Natur" fassen wollen, eher gälte : "vorwärts in die Natur", denn seine Figuren gehen bewusst aus der Stadt in die Natur, auch Lina Gade, die Heldin von "Frau ohne Reue", beschreitet diesen Weg und scheitert daran, dass sie sich der Natur überlegen wähnt.
Mentor D.H. Lawrence
Max Mohrs größter Einfluß war sein Freund und Mentor D. H. Lawrence (1885–1930), und dieser hat manches Unheil über Mohrs Werk gebracht, vielleicht weil sie sich zu spät in Lawrences Leben begegnet sind, an einem Punkt, da sich Lawrence in eine Ideologie zu verrennen begann, die durchaus Züge von "Blut und Boden" aufweist. Da geht es nun nicht mehr um den in Literatur gegossenen Gegensatz Stadt – Land, auch Mensch – Maschine, sondern es geht um die Weltrettung durch das Predigen starker Führer. Das schwächte Mohrs Romane "Die Freundschaft von Ladiz", in dem er seiner Freundschaft mit Lawrence ein Denkmal setzte (1931), und"Die Heidin" (1929) erheblich. Glücklicherweise hatte er sich bei der Arbeit an "Frau ohne Reue"weitgehend von Lawrences Schatten befreit und setzte ihm nur noch ein paar bayerische Enziane aufs literarische Grab.
Text: Stefan Weidle
Veranstaltungen der Stadtleseaktion "Würzburg liest ein Buch"
Lesung des kompletten Romans an acht Mittags-Terminen
12 bis 13 Uhr, Behr-Halle (ehemals Efeu-Hof im Würzburger Rathaus)
Eintritt frei, Anmeldung unter anmeldung@wuerzburg-liest.de
Sonntag, 25. Juli: Ramper, der Tiermensch – Stummfilm mit Livemusik, D 1927, 60 Min., Regie: Max Reichmann, Buch: Max Mohr, Darsteller: Paul Wegener, Mary Johnson, Kurt Gerron; mit Live-Musik-Improvisation von “Küspert & Kollegen” mit Till Martin (Saxophone und Klarinetten), Bastian Jütte (Schlagzeug) und Werner Küspert (Gitarre, Konzeption/Komposition); 11 Uhr, Central im Bürgerbräu. Anmeldung unter www.central-bb.de
Montag, 26. Juli: Venus in den Fischen – Max Mohrs bekanntester Roman interpretiert von Dagmar Holländer, eine Veranstaltung der Buchhandlung Dreizehneinhalb; 19 Uhr, Behr-Halle (ehemals Efeu-Hof im Würzburger Rathaus), Anmeldung unter rottmann@dreizehn-einhalb.de