Woran erkennen Eltern, Freunde oder andere gläubige Muslime einer Moscheegemeinde, wenn ein Jugendlicher in die Fänge extremistischer Ideologen gerät? Und was ist in diesem Fall zu tun? Rund 40 Zuhörer waren in die Moscheegemeinde Islamische Gemeinschaft Würzburg gekommen, um von Kriminalhauptkommissar Volker Sebold Antworten auf diese Fragen zu bekommen.
Moscheegemeinde: Vorträge seit Attentat
Seit dem Axt-Attentat vor zwei Jahren organisieren die fünf Würzburger Moscheegemeinden Vorträge über Radikalisierung, klären in Schulen oder auf der Landesgartenschau über den Islam auf und sind im Präventionsnetzwerk von Stadt und Landkreis aktiv. Trotzdem ist dieser Abend etwas Besonderes: Denn dieses Mal spricht kein Mitglied der Moscheegemeinde zu den Gläubigen, sondern der Polizist Volker Sebold. „Der Vortrag zeigt, wie wir um unser Würzburg bemüht sind und wie wichtig es uns ist, dass wir alle friedlich miteinander auskommen“, sagen Sharif Mohsen vom Ausländer- und Integrationsbeirat und Ahmet Bastürk, Sprecher der fünf Moscheegemeinden in Würzburg.
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Volker Sebold ist Kommissar der KPIZ (Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben) und hat als eine Art Satellit des Landeskriminalamtes den Überblick über mögliche Gefahren, die von radikalisierten Jugendlichen in Unterfranken ausgehen könnten. Der Polizist befasst sich bereits seit 2002 mit kriminellem Islamismus. Trotzdem versucht er, Schlagworte wie „Islamismus“ oder „Salafismus“ zu vermeiden und spricht stattdessen lieber von „islamischem Fundamentalismus“.
Denn bei dem Wort „Islamismus“ zucken viele Muslime zusammen. Automatisch entsteht eine Verknüpfung zu ihrer Religion. Viele Andersgläubige unterscheiden nicht mehr zwischen Islam und Islamismus. Und genau das ist für viele Zuhörer ein wunder Punkt. Auch Salafismus ist für die meisten Muslime positiv besetzt. Sebold erklärt, das Wort „salife“ bedeute nichts anderes, als nach dem Vorbild der ersten Muslime zu leben. Heute jedoch verbinde man den Begriff mit jener radikalen gewaltbereiten Gruppe. Wie sensibel die Thematik ist und wie sehr es viele kränkt, mit extremistischen Einzeltätern in einen Topf geworfen zu werden, zeigt diese Präventionsveranstaltung.
Erste Anzeichen religiöser Radikalisierung
Gibt es erste Anzeichen einer religiös begründeten Radikalisierung? Volker Sebold sagt: ja. Er spricht von Jungen, die sich urplötzlich einen Bart wachsen ließen oder Mädchen, die sich verschleierten. Weiter kommt er nicht, denn schon regt sich Kritik beim Publikum. Auch eine türkische Frau, die sich für ein Kopftuch entscheide oder ein katholischer Mann, der plötzlich Mönch werden wolle, werde nach dieser Definition der Äußerlichkeiten in eine Schublade gesteckt, beschwert sich ein Zuhörer. Doch Sebold argumentiert, jeder Punkt für sich allein genommen mache natürlich keinen Extremisten aus. Vielmehr gebe es Gemeinsamkeiten bei allen jungen Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Syrien ausreisten, um für den IS zu kämpfen.
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Der Kommissar erzählt von Jugendlichen, die sehr westlich eingestellt waren und sich jäh aus ihrem sozialen Umfeld zurückzogen, sogar ihre eigenen Eltern als Ungläubige bezeichneten und mit einem Mal keine zeitgemäße Interpretation ihrer Religion mehr zuließen. Von Jugendlichen, die von heute auf morgen Musik oder Fernsehen ablehnten und sich stattdessen in einschlägigen Internetnetzwerken aufhielten – Propagandaclips radikaler Prediger wie Pierre Vogel inklusive.
Gefährdete Jugendliche oft traumatisiert
„Wir wollen diese jungen Menschen nicht kriminalisieren, sondern sie rechtzeitig auf einen richtigen Weg bringen“, sagt Sebold. Denn meist gehe es um etwas ganz anderes. Fast immer haben die Jugendlichen etwas Traumatisierendes erlebt, von Todesfällen in der Familie bis zur Scheidung der Eltern. Daher sei es wichtig, die Familie, Freunde oder Moscheegemeinde zu sensibilisieren. „Gerade Mütter sind das beste Frühwarnsystem. Sie bekommen es oft als erste mit, wenn mit ihren Kindern etwas nicht stimmt.“ Dann gelte es, zu hinterfragen: „Kommt die Veränderung aus innerer Überzeugung oder wird der Jugendliche von jemandem beeinflusst?
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Der Kommissar wirbt dafür, sich im Zweifel an die Polizei zu wenden. „Solange nichts passiert ist, behandeln wir die Fälle anonym.“ Meist reiche es aus, wenn Eltern, Lehrer oder die Vorstände der Moschee mit dem Jugendlichen sprechen. Denn, so Sebold: „Ihr Muslime seid nicht das Problem, sondern die Lösung für das Problem.“
Ansprechpartner für Angehörige gefährdeter Jugendlicher
ufuq: Fachstelle zur Prävention religiös begründeter Radikalisierung, Tel. (0821) 65 078 560, E-Mail: bayern@ufuq.de
Polizei: Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben Unterfranken KPI(Z), Operativer Staatsschutz in Würzburg, Tel. (0931) 457-19 85, E-Mail: pp-ufr.wuerzburg.kpiz.praevention@polizei.bayern.de
VPN: Beratungsstelle Bayerndes Violence Prevention Network (VPN), Tel. (089) 416 117 710, E-Mail: bayern@violence-prevention-network.de
BAMF: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Telefonhotline Radikalisierung: Tel. (0911) 9 434 343, E-Mail: beratung@bamf.bund.de
Koordinierungsstelle Unterfranken: Die Zusammenarbeit mit über 100 Netzwerkpartnern erfolgt über das Präventionsnetzwerk von Stadt und Landkreis Würzburg sowie die Koordinierungsstelle Radikalisierungsprävention Unterfranken, Tel. (0931) 373 345, E-Mail: praeventionsnetzwerk-radikalisierung@stadt.wuerzburg.de