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WÜRZBURG
Würzburger Muslime besorgt um den Ruf ihrer Religion
Sharif Mohsen (links) vom Ausländer- und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg und Ahmet Bastürk, Sprecher der fünf Moscheegemeinden in Würzburg wehren sich dagegen, dass ihre Religion mit Terroranschlägen in Verbindung gebracht wird.
Foto: Angelika Kleinhenz | Sharif Mohsen (links) vom Ausländer- und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg und Ahmet Bastürk, Sprecher der fünf Moscheegemeinden in Würzburg wehren sich dagegen, dass ihre Religion mit Terroranschlägen in ...
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:01 Uhr

Nach dem Axt-Attentat vor zwei Jahren gaben die fünf Würzburger Moscheen eine gemeinsame Presseerklärung heraus, in der sie sich strikt von jeglicher Form der Gewalt im Namen ihrer Religion distanzierten. Im Februar vergangenen Jahres beteten sie beim Friedensgebet der Nagelkreuz-Initiative in der Marienkapelle gemeinsam mit Vertretern der katholischen und der evangelischen Kirche für die Opfer.

Was sich seither an Prävention gegen religiöse Radikalisierung in ihren eigenen Gemeinden getan hat und ob sich Muslime in ganz Europa stärker vom Terror im Namen ihrer Religion distanzieren müssten, darüber sprachen wir mit Ahmet Bastürk, dem Sprecher der fünf Moscheegemeinden und Sharif Mohsen vom Ausländer- und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg.

Was wird an Prävention seither unternommen?

Bastürk: Wir haben Vorträge über Terror gehalten. Jede Moschee hat darüber hinaus über ein anderes Thema des Islam aufgeklärt. Wir haben alle Flüchtlingsunterkünfte in Würzburg besucht, uns vorgestellt und auch die Bewohner zu den Vorträgen über Radikalisierung eingeladen. Wir sind beim Präventionsnetzwerk von Stadt und Landkreis Würzburg aktiv und haben sehr harmonische Beziehungen zur Stadt und zur hiesigen Polizei. Diese guten Beziehungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen wollen wir uns in Würzburg bewahren.

Oft kommt der Vorwurf, Muslime kapseln sich vom Rest der Bevölkerung ab – wie sieht das in Würzburg aus?

Bastürk: Wir wollen uns nicht abkapseln, sondern mitmachen und über unsere Religion aufklären. Auf Wunsch besuchen wir Schulen und Kindergärten. Kurz vor der Fastenzeit haben wir Schülern erklärt, wie der Ramadan abläuft. Bei der Landesgartenschau erläutern wir, wie unsere Religion zur Natur steht. Wir sind hier keine Fremden. Ich lebe seit 48 Jahren in Franken. Wir gehören zu dieser Gesellschaft und wollen friedlich miteinander leben. Darauf legen wir innerhalb und außerhalb der Moscheen unser Hauptaugenmerk.

Wie viele Muslime erreichen Sie mit dieser Botschaft in Würzburg?

Sharif Mohsen: Wenige unserer Moscheebesucher sind eingetragene Mitglieder. Bei den Freitagsgebeten kommen aber pro Moschee 800 bis 1000 Gläubige.

Was ist der Inhalt der Freitagspredigt?

Bastürk: Sie handelt vom richtigen Verhalten des Menschen in der Gesellschaft. Wer zuhört, müsste immun sein gegen Radikalisierung.

Findet Prävention bei Ihnen also schon jeden Freitag in den Predigten der fünf Würzburger Moscheen statt?

Bastürk: Richtig. Jeden Freitag werden Gläubige an die islamischen Werte erinnert: daran, dass man niemandem etwas Böses antun darf, egal, welche Religion, Nationalität oder Herkunft jemand hat. Diese Attentäter haben mit dem Islam nichts zu tun. Sie suchen sich ein Alibi, um Gewalt auszuüben. In Arabien wurden tausende Muslime vom IS gefoltert und ermordet.

Hat sich seit dem Anschlag in Würzburg die Stimmung Ihnen gegenüber verändert?

Bastürk: Nicht nur in Würzburg. In ganz Europa gab es in den vergangenen zwei Jahren über 300 Brandanschläge und Angriffe auf Moscheen. Allein in Deutschland waren es rund 80. Muslima mit Kopftuch werden in der Straßenbahn in Würzburg schräg angeschaut.

Wenn sich Gewalttäter auf den Islam berufen, sind doch vor allem Muslime in der Pflicht, sich von ihnen zu distanzieren.

Mohsen: Ja. Doch dabei gibt es ein Problem. Medien transportieren Fotos oder Videos der Attentäter viel zu oft unkommentiert zur Bevölkerung. Dadurch bekommen viele ein verzerrtes Bild vom Islam, beispielsweise die schrecklichen Bilder von Live-Köpfungen und dahinter eine Sure aus dem Koran. Wenn ich kein Moslem wäre, hätte ich Angst vor dem Islam. Die Aufklärung, was der Islam ist, wie es zu solchen Attentaten kommt und eine Abgrenzung der Attentate zur Religion sind nicht nur von Seiten der Muslime wichtig, sondern auch von Seiten der Medien und der hier lebenden Bevölkerung.

Viele Christen sind aber auf Informationen von Ihnen angewiesen.

Mohsen: Wir versuchen, den Islam richtig darzustellen, doch manche Menschen sind aufgrund von Vorurteilen nicht bereit, Informationen aufzunehmen. Das Wort „Islamismus“ ist ein Problem.

Welches Problem haben Sie damit?

Bastürk: Wenn ein Attentäter vom IS angeleitet wird, spricht man von islamistisch. Automatisch haben die Zuhörer eine Verknüpfung zum Islam. Das tut uns weh. Viele Bürger unterscheiden nicht mehr zwischen Islam und Islamismus.

Wie würden Sie so einen Anschlag betiteln?

Bastürk: Es war der Anschlag eines Verrückten, der sich auf den Islam bezieht, der aber nichts mit der Religion zu tun hat.

Wie stehen Sie zum Begriff Salafismus?

Bastürk: Das Wort „salife“ ist bei Muslimen positiv besetzt. Es heißt im Grunde nichts anderes, als dass man lebt wie die ersten Muslime. Man könnte jeden Moslem, der fünf Mal am Tag betet, an Ramadan fastet und keinen Alkohol trinkt und seine Abgaben entrichtet, als Salafist bezeichnen. Aufgrund der Ereignisse verbindet man aber das Wort mit jener radikalen, gewaltbereiten Gruppe.

Wie ist es mit dem Wort Dschihad?

Bastürk: Bei uns ist das „eine auf ein Ziel gerichtete Anstrengung“. Es heißt nicht, man soll sich Gewehre nehmen und kämpfen. Der größte Dschihad ist, mit sich selbst zu kämpfen. Wenn ich in einem nicht muslimischen Land meine Religion richtig ausübe und mich gleichzeitig der Gesellschaft anpasse und ein Vorbild bin, dann ist das für mich ein Dschihad.

Doch der Begriff wurde hier durch den IS bekannt...

Mohsen: Das ist richtig. Doch mein Sohn sagt, wenn ich analog dazu eine Passage eines Werkes von Goethe aufgreifen würde, so könnte ich etwas daraus übersetzen, was mit dem Kontext, mit der ganzen Geschichte und der Ethik dahinter nichts mehr zu tun hat. Er nannte mir das lateinische Wort ratio. Es hat mehr als 20 verschiedene Bedeutungen. Ähnlich verhält es sich mit dem arabischen Begriff Dschihad. Doch mittlerweile hat jeder nur eine Deutung im Kopf.

Müssten sich Muslime nicht stärker vom IS distanzieren?

Bastürk: Wir müssen auch eigenkritisch sein. Wir Muslime in Europa haben vieles nicht richtig rüberbringen können. Wir hätten lauter unsere Stimmen erheben und sagen müssen: Töten ist eine große Sünde im Islam.

 
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  • F. B.
    Natürlich ist der Ruf der Muslime deutschlandweit und im Westen ruiniert, da man nicht nur durch den IS sondern auch durch zahlreiche Staaten wie den Iran, mittlerweile aber auch die Türkei, ein eindeutig negatives Menschen- und Werte-Bild assoziiert. Wir Deutsche wissen doch aus eigener Erfahrung am Besten, wie lange es braucht um ein negatives Image in den Köpfen zu beseitigen. Ich sehe allerdings bei den meisten Muslimen gar nicht den Versuch, dieses Negativimage nachhaltig und nicht nur alibimäßig zu beseitigen. Ich habe eher den Eindruck, dass viele Muslime dies stillschweigend sogar hinnehmen. Auf Massendemonstrationen von Muslimen gegen Missbrauch ihrer Religion wartet man in Deutschland bezeichnenderweise bis heute. Ist der Ruf erst ruiniert, …….. Ich hoffe dass endlich eine Gegenreaktion der säkularen und gemäßigten Muslime in Würzburg und Deutschland kommt. Dann müssen Sie aber raus aus ihren "kritisch" gesehenen Moscheen in die Öffentlichkeit!!!!! Nicht reden, handeln!!!!
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  • G. S.
    Sind alles gute Menschen. Prima! Nirgendwo Parallelgesellschaften und keine Kriminalität. Respekt! Alles cool in Würzburgs Moscheen. Friedliche Gläubige in unserer wunderbaren Stadt! Was ein Sommermärchen!
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  • T. B.
    @meeviertel, alle Bayern tragen Lederhosen, gell. Natürlich gibt es radikale Islame, natürlich gibt es Parallelgesellschaften, wobei dies in Unterfranken noch sehr moderat sein dürfte im Vergleich zu Berlin, Hamburg, Köln und anderen Städten. Aber deswegen kann ich nicht alle Muslime unter Generalverdacht stellen. Wir haben definitiv Fehler in der Integration der Muslime in den 1960er Jahren und auch später gemacht. Wir haben zugesehen dass Muslime unter sich blieben und haben diese Ghettobildung nicht unterbunden. Die gleichen Fehler werden zum Teil heute wieder gemacht. Ich wehre mich nur dagegen alle Muslime über einen Kamm zu scheren. Ich habe mich oft genug kritisch zum Thema Islamismus erklärt und wo es für mich angebracht schien auch mehr als deutlich ausgedrückt. Ihr Kommentar hat allerdings mehr mit Stammtisch zu tun, weniger mit eigener differenzierter Meinung.
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  • R. D.
    "Unterbunden"? Wenn Sie heutzutage etwas versuchen zu unterbinden haben sie das nächste Problem. Dann sind sie nämlich intolerant, altmodisch, rechts,...
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  • G. S.
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  • G. S.
    Wenn Sie ThomasB nur das lesen würden, was ich tatsächlich geschrieben habe, dann bräuchten Sie mir nicht mit einer Litanei an Unterstellungen antworten. Ich trage weder Lederhose, noch habe ich einen Generalverdacht erhoben. Und an dem Stammtisch an dem ich Platz nehmen darf, wird auf hohem Niveau diskutiert. Also hören Sie auf meine sachlich vorgetragene Meinung abzuqualifizieren. Ihre Ausführungen entspringen der reinen Theorie. Sie haben garantiert noch keinen Fuß in ein islamistisches Land gesetzt, geschweige jemals dort gelebt.
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  • H. S.
    "Bei den Freitagsgebeten kommen aber pro Moschee 800 bis 1000 Gläubige" Haben die dann immer Freitags frei?
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  • H. S.
    Wo ist der Unterschied zwischen (dem späteren, gültigen) "Koran wirklich ernst nehmen" und Radikalisierung?
    Warum haben „diese Attentäter nichts mit dem Islam zu tun“?
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  • T. B.
    @jesusHans, die Gemäßigten Muslime erklären den Dschihad als reine Selbstverteidigungsmaßnahmen für das Heimatland des Islam, während radikale Muslime darauf hinweisen, dass Mohammed und die ersten Kalifen die größtmögliche offensive Ausbreitung des Islam anvisierten. Auch zu moderate muslimische Regierungen werden als Feind gesehen. Der Koran lässt sehr viel Interpretationsmöglichkeiten zu, die Muslime für sich unterschiedlich auslegen. Der Koran ist keine Lehre, vielmehr ein Befehlsbuch. Um Ihre Frage zu beantworten, es gibt keinen späteren gültigen Koran, ist gibt nur einen Koran und der ist mit seinen 114 Suren bis heute unverändert. Die westliche Welt ruft ja immer wieder dazu auf, den Koran zu reformieren. Eine Säkularisierung staatlicher Herrschaft, wie in der christlichen Welt, ist im Islam nicht möglich und aus islamistischer Perspektive ja auch sicher nicht wünschenswert.
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  • G. L.
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  • T. B.
    Islam und Islamismus sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze. Während der Islam in seiner gemäßigten Form die Hingabe und Unterwerfung an den einen Gott verlangt, steht der Islamismus für verschiedene politische Ideologien, die davon ausgehen, dass man auf der Grundlage von Koran und Sunna die Regeln einer Gesellschaft ableiten kann. Nicht wenige Islamisten rufen zum wahren Islam auf und orientieren sich dabei an den Männern, die im 7. Jahrhundert zur Zeit Muhammads lebten. Ihr Ziel ist es, einem idealisierten frühen Islam wieder Geltung zu verschaffen. Der politische Islam ist dabei mit westeuropäischen Gesellschaftswerten nur schwer in Einklang zu bringen. Der allergrößte Teil der Muslime lehnt diese Art des Islamismus jedoch ab. Es bleibt allerdings die Gefahr der Radikalisierung, insbesondere bei jungen Muslimen. Die Zusammenarbeit mit den Moscheen und den Imamen ist von großer Bedeutung, hier beginnt bereits die Prävention.
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  • H. S.
    Unterwerfung an Gott wurden in islamischen Ländern nicht von Politik getrennt.
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