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WÜRZBURG
Wie die Polizei mit gefährdeten Jugendlichen umgeht
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:37 Uhr

Wie sieht der typische Fall eines vermeintlich radikalisierten Jugendlichen in Unterfranken aus, der bei der Polizei gemeldet wird? Einer, der es wissen muss, ist Volker Sebold. Der Kommissar der KPIZ (Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben) Unterfranken befasst sich seit 2002 beim Operativen Staatsschutz mit kriminellem Islamismus. Nach dem Axt-Attentat wurde im Landeskriminalamt 2017 ein Kompetenzzentrum für Prävention und Deradikalisierung für den extremistischen Bereich eingerichtet. Sebold hat als eine Art Satellit den Überblick über mögliche Gefahren, die von radikalisierten Jugendlichen in Unterfranken ausgehen könnten.

Hat sich Ihre Arbeit seit dem Axt-Attentat verändert?

Volker Sebold: Auch wenn es zynisch erscheint: Die Zusammenarbeit mit allen Einrichtungen, die mit gefährdeten Jugendlichen zu tun haben, läuft seit dem Anschlag im Juli 2016 reibungslos. Die Menschen reagieren sensibler auf abstrakte Ängste, beispielsweise, wenn sich ein junger Muslim plötzlich einen Bart wachsen lässt und sich gleichzeitig aus seinem sozialen Umfeld zurückzieht. Die Bereitschaft, diese, teils lapidaren Sachverhalte, der Polizei zu melden, ist groß.

Haben Pädagogen oder Sozialarbeiter keine Skrupel, ihren Schützling wegen Nichtigkeiten der Polizei zu melden?

Sebold: Die alten Ressentiments zwischen Polizei und Sozialpädagogik sind durch praktische Erfahrungen so gut wie abgebaut. Solange nichts passiert ist, behandeln wir die Fälle anonym. Normalerweise reicht es aus, wenn der Lehrer, die Schule oder der Vormund das Ganze mit dem Jugendlichen klären: Warum verhältst du dich anders? Was ist mit dir los? In diesen Fällen müssen wir polizeilich nicht aktiv werden.

Was wird Ihnen typischerweise gemeldet?

Sebold: Ein typisches Beispiel: Ali zeigt Johanna in der Schule ein Foto, auf dem er in Syrien mit einer Waffe zu sehen ist. Johanna geht nach Hause und erzählt ihren Eltern, Ali habe eine Waffe. Die Polizei muss klären: Wo befindet sich die Waffe? Ali hat erst einmal ein Problem. Wenn mit der Waffe im Ausland posiert wurde, ist das strafrechtlich irrelevant. Doch der Lehrer muss Ali klar machen: In unserer Gesellschaft sind Waffen tabu und auch auf Fotos nicht gern gesehen. Uns ist wichtig, Flüchtlinge nicht zu kriminalisieren, sondern für unsere Gesellschaft sensibel zu machen. Denn umgekehrt gibt es auch in Unterfranken die Johanna, die sich, ohne die Religion überhaupt zu kennen, von einem radikalen Prediger im Internet beeinflussen lässt, konvertiert und nach Syrien ausreist.

Wann wird die Polizei aktiv?

Sebold: Ein häufiger Fall sind Gewaltvideos. Deren Verbreitung ist ein Straftatbestand. Die Polizei muss in diesen Fällen die Straftat verfolgen. Meist kommt er oder sie selbst nicht damit zurecht und will den Freunden zeigen: In meinem Heimatland geht es so schrecklich zu – schau mal! Die Pädagogen müssen dem Jugendlichen klar machen: Wenn ihr ein Problem mit dem habt, was gerade in eurem Land passiert, dann reden wir darüber!

Noch ein Beispiel, bitte!

Sebold: Der Klassiker momentan ist der afghanische Jugendliche, der seinen Abschiebe-Bescheid bekommen hat, sich aus seinem sozialen Umfeld zurückzieht und den Unterricht nicht mehr besucht. Sein Kumpel sagt: Der hängt die ganze Nacht am Computer und schläft nicht mehr. Dann werden bei Pädagogen Ängste wach gerüttelt. Sie rufen bei der Polizei an.

Sind diese Ängste berechtigt?

Sebold: Die Abschiebepraxis mit den jungen Afghanen birgt ein Gefahrenpotenzial. Jede Art von Perspektivlosigkeit kann dazu führen, dass sich Jugendliche Strömungen oder Gruppen zuwenden, die nur darauf warten, solche Jugendlichen zu finden.

Wie gehen Sie mit Jugendlichen um, die scheinbar anfällig für Radikalisierung werden?

Sebold: Die Schulsozialarbeiter löschen derzeit viele Brände unserer Gesellschaft. Wenn sich aber jemand schon in einem Radikalisierungsprozess befindet, müssen wir als Polizei ihn intensiv betreuen. Kommunikation ist das Hauptproblem. Meist sind es junge Menschen, die in irgendeiner Phase ihres Lebens nicht ernst genommen wurden. Hier hilft nur hinsetzen und zuhören. Den Jugendlichen ernst nehmen, ihn zum Reflektieren bringen. ,Glaub nicht dem radikalen Prediger im Internet, der in 30 Sekunden den Islam erklärt!‘ Jeder Muslim würde darüber nur den Kopf schütteln. Doch diese Prediger bedienen genau jene einfachen Lösungen und den Drang vieler Jugendlicher zu Protest und Provokation.

Gibt es Fälle, an denen Sie scheitern?

Sebold: Verschwörungstheoretiker sind eigentlich nicht zu knacken. Sie verschwinden in ihrer eigenen Blase. Da haben Sie keine Chance.

Gehen Ihnen manche Fälle sehr nahe?

Sebold: Die Distanz muss immer gewahrt sein. Doch ohne Empathie und ohne sich den humanitären Gedanken zu bewahren, könnte man diese Arbeit nicht machen. Wenn ich sagen würde: ,Du bist ein Böser. Ich zeige dir jetzt mal, wo es lang geht‘, würde ich nichts erreichen.

Hatten Sie jemals Zweifel an der Wirksamkeit Ihrer Arbeit?

Sebold: Nein. Ich denke, dass man rechtzeitig Dinge verhindern kann, wenn man gemeinsam an etwas arbeitet.

War der Axt-Attentäter auf irgendeinem Radar?

Sebold: Nein. Einer meiner ersten Gedanken war: Hast du ihn gekannt? Hättest du etwas tun können? Dem war nicht so.

Was würden Sie bei der Präventionsarbeit verbessern?

Sebold: Ich würde mir wünschen, dass die Energie, die derzeit personell und mit viel Know-how in religiös-motivierten Extremismus gesteckt wird, in gleichem Maße in den Bereichen Rechtsextremismus und Linksextremismus an den Tag gelegt würde.

 
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