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Würzburg
Warum heute noch Latein lernen? Wie lebendig die angeblich "tote Sprache" an unterfränkischen Schulen ist
Die einen quälen sich, andere haben ihre helle Freude daran: Latein polarisiert. In Unterfranken lernen aktuell rund 12.000 Schülerinnen und Schüler die Sprache.
Sind überzeugte Latein-Abiturienten: (von links) Emil Schneller, Edwin Gerhardt und Hieronymus Kuttenkeuler mit der nachgebildeten antiken Statue eines Diskuswerfers am Wirsberg-Gymnasium in Würzburg.
Foto: Daniel Peter | Sind überzeugte Latein-Abiturienten: (von links) Emil Schneller, Edwin Gerhardt und Hieronymus Kuttenkeuler mit der nachgebildeten antiken Statue eines Diskuswerfers am Wirsberg-Gymnasium in Würzburg.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 11:09 Uhr

Für Eltern von aktuellen Viertklässlern und für Gymnasien in Bayern ist der März ein wichtiger Monat: Übertritt ja, aber wohin? Infoabende der Schulen sollen Eltern und Kindern beim Weichenstellen helfen. Wichtiges Auswahlkriterium dabei ist die erste Fremdsprache. Für die meisten heißt das Englisch, aber gar nicht wenige entscheiden sich auch heute noch für Latein.

Wie Fünftklässler den Latein-Unterricht erleben

Wie lebendig und begeisternd die "tote Sprache" sein kann, zeigt der Besuch einer 5. Klasse am Würzburger Wirsberg-Gymnasium. Eifrig melden sich fast alle Mädchen und Buben zu Wort, schwärmen von ihrem Latein-Unterricht. Von spannenden Geschichten aus Antike und Mythologie, von Göttern und Römern. Oder von Vokabeln, die sogar im Spanien-Urlaub mit den Eltern etwas bringen.

Gerade junge Schülerinnen und Schüler (hier in einer 5. Klasse am Wirsberg-Gymnasium) lassen sich von der römischen Mythologie faszinieren, etwa zur Jagd-, Mond- und Frauengöttin Diana.
Foto: Daniel Peter | Gerade junge Schülerinnen und Schüler (hier in einer 5. Klasse am Wirsberg-Gymnasium) lassen sich von der römischen Mythologie faszinieren, etwa zur Jagd-, Mond- und Frauengöttin Diana.

Einige haben schon bei ihren Geschwistern gesehen, dass Latein eine gute Grundlage ist – vor allem für weitere Sprachen. Andere fanden Englisch in der Grundschule nicht besonders prickelnd, zumal in der Pandemie-Zeit. Latein, sagt die elfjährige Julia, "ist für mich ein Neuanfang."

Wieder andere sind dankbar, dass es praktisch keinen Unterschied zwischen Schreibweise und Aussprache gibt. Und anders als in Englisch oder Französisch findet der Unterricht auf Deutsch statt – bis auf die Übersetzungen. "Es wird heute aber viel weniger übersetzt als früher", erklärt Wirsberg-Lateinlehrerin Birgit Schaible. "Wir sprechen dafür umso mehr über die Inhalte."

> Einen Kommentar, warum Latein-Unterrricht sinnvoll ist, lesen Sie hier: "Lernt Latein! Warum diese Sprache auch heute noch so wertvoll ist"

Es gehe dabei um europäische Kultur, um Glück und Unglück, Liebe und Tod, Demokratie und Gerechtigkeit, "letztlich Grundfragen der menschlichen Existenz", sagt Schaible. Das schaffe ein Wertebewusstsein. Als Beispiel nennt sie die Geschichte vom fliegenden Ikarus und den Grenzen des Menschseins, "das fasziniert die Kleinen."

Wer Latein unterrichtet, gilt als Überzeugungstäter. Schaible ist auch Seminarleiterin für den Lateinlehrer-Nachwuchs. Und wehrt sich dennoch gegen ein Entweder-Oder alter und neuer Sprachen: "Alles spricht für Latein, nichts spricht gegen moderne Fremdsprachen."

An 16 Gymnasien in Unterfranken wird Latein als erste Fremdsprache unterrichtet

Nach Angaben des Kultusministeriums lernen im laufenden Schuljahr in Bayern rund 114.000 Kinder und Jugendliche Latein als erste oder zweite Fremdsprache, in Unterfranken sind es etwa 12.000. Die Zahlen, so ein Ministeriumssprecher, blieben relativ stabil. Der leichte Rückgang von 5,6 Prozent im Vergleich zu 2017/18 hänge mit der Pandemie zusammen, weil Infoveranstaltungen ausfallen mussten. Nach Englisch ist Latein weiterhin die zweithäufigste Fremdsprache an Bayerns Gymnasien.

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Alle 43 öffentlichen oder staatlich anerkannten Gymnasien in Unterfranken haben grundsätzlich Latein im Fächerkanon, an 16 wird es als erste Fremdsprache in der 5. Klasse unterrichtet. Die Schulen werben dafür. In Würzburg haben sich zuletzt drei Gymnasien – Wirsberg, Riemenschneider und Siebold – zusammengetan und Viertklässler zu einer Latein-Mitmach-Aktion unter anderem mit einem Archäologen eingeladen.

Ziel sei es, so Latein-Lehrkräfte aus den drei Gymnasien, das Fach in seinen Facetten greifbar zu machen. Der Anteil der Latein-Lernenden in der 5. Jahrgangsstufe schwankt bei diesen Schulen zwischen einem Zehntel (Siebold) und zwei Dritteln (Wirsberg, Riemenschneider).

Blick ins Hausaufgabenheft eines Fünftklässlers: Noch fehlt bei der Deklination von Substantiv und Adjektiv der fünfte von insgesamt sechs Fällen.
Foto: Daniel Peter | Blick ins Hausaufgabenheft eines Fünftklässlers: Noch fehlt bei der Deklination von Substantiv und Adjektiv der fünfte von insgesamt sechs Fällen.

Dass Latein von vielen als "tote Sprache" verworfen wird, läuft bei den Lehrkräften ins Leere. "Das aktive Sprechen ist doch gar nicht die Zielsetzung des Faches", erklärt Birgit Schaible. Sie betont die Schlüsselqualifikationen: "Die Schüler dröseln mit System und Logik die einzelnen Sätze auf, erkennen die Zusammenhänge. Das schult das kombinatorische und problemlösende Denken auch für andere Sprachen und Fächer", ist die erfahrene Lehrerin überzeugt.

Positive Auswirkungen auch auf Deutsch-Kompetenz

Bei Schülern mit Migrationshintergrund seien sogar die Deutsch-Aufsätze besser geworden. Schaible vergleicht Latein mit einem "geistigen Betriebssystem", das sich Kinder am besten vor der Pubertät aneignen. Auf diesem System laufe dann die ganze "Software" moderner Sprachen, von Kunst und Kultur, von Mathe und Physik.

Und Latein fördert Geduld und Ausdauer in Zeiten schwindender Aufmerksamkeitsspannen. Mit kurzen und längeren Sätzen sei die Sprache ein "wunderbares Training, um Dinge zu Ende zu bringen", ist Lehrer Reiner Streun vom Würzburger Riemenschneider-Gymnasium überzeugt. 

Das Latinum wird mitunter noch für manche Studiengänge verlangt

Wer nach fünf Jahren genug hat von Latein, kann es an etlichen Schulen in der 10. Klasse durch eine spät beginnende Fremdsprache, in der Regel Spanisch, ersetzen – und hat trotzdem das Latinum in der Tasche, das mitunter noch für manche Studiengänge verlangt wird.

> Einen Kommentar, warum Latein-Unterricht Zeitverschwendung ist, lesen Sie hier: "Schluss mit Latein! Warum die Sprache in der Schule Zeitverschwendung ist"

Grundsätzlich aber, so heißt es aus dem Münchner Ministerium, werde Latein von vielen in der Oberstufe am Gymnasium fortgeführt. Und eine große Mehrheit dieser Schülerinnen und Schüler mache in dem Fach dann auch Abitur. So wie Hieronymus, Edwin und Emil aus der 11. bzw. 12. Klasse am Würzburger Wirsberg-Gymnasium.

Warum Latein als Abiturfach sehr gefragt ist

Einfacher sei das Abi in Latein als in Englisch, glauben die drei: "Das Schema ist klar, man muss es nur anwenden." Und auch vor dem Italienisch-Text, den es im Latein-Abi zu verstehen gilt, ist ihnen nicht bange.

Der Gewinn für die romanischen Sprachen sei am größten – aber selbst in Deutsch hätten sie bei Struktur und Fremdwörtern von Latein profitiert, inhaltlich auch in Geschichte. Andere empfinden Latein als Qual – Hieronymus, Edwin und Emil als Freude, Erfolgserlebnisse inklusive: "Man baut die Sätze logisch zusammen und der Text entsteht. Das ist wie bei einem Puzzle."

 
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  • M. S.
    Letztlich geht es doch um die Frage wie "sinnig" Latein als Fach ist bzw. wie notwendig ein Schulfach für das spätere Leben ist bzw. wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, spezielles Wissen zu benötigen!

    Ich halte so etwas für eine gefährliche Fragestellung bzw. die pauschale Ablehnung von Latein und anderen Fächern als falsche Schlussfolgerung!

    Mit ähnlichen Argumenten könnte man auch auf andere Fächer komplett verzichten oder zumindest Themenkomplexe ausklammern die vermutlich eher nicht gebraucht werden im späteren leben.

    Spinnt man das weiter, könnte man zu der Erkenntnis gelanden, dass fünf Jahre Schulpflicht genügen. Mit Lesen, Schreiben, Grundrechnen sind die Grundfähigkeiten nämlich erstmal abgedeckt.

    Letztlich geht es um einen ganzheitlichen Fächerkanon und dabei bieten sämtliche Fächer die ein oder andere Bereicherung.

    Ich finde es toll, dass trotz aller Probleme Deutschland so ein Schulwesen hat. Um die Möglichkeiten beneiden uns viele Länder und viele Kinder.
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  • J. N.
    Latein ja oder nein - ich meine, das kommt immer aufs Kind an.
    Die einen quälen sich schon mit einer Fremdsprache, andere haben auch mit dreien (inkl. Latein) kein Problem.
    Dass Latein in erster Linie eine logische Puzzlesprache ist, hilft allerdings auch zum Beispiel den eher mathematisch als sprachlich Begabten.

    Eine kleine Bemerkung am Rande: der Artikel lobt das Lateinische, spricht aber dann von der Ikarus-Sage und zeigt die Statue eines Diskuswerfers... 😜
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  • M. H.
    Naja, von der Ikarus-Sage gibt es immerhin eine Fassung von Ovid, und Diskusse wird man in Rom schon auch noch geworfen haben. Tatsache aber ist: Die Römer haben FAST nichts selber erfunden (sogar den Imperialismus gab's schon vorher), sondern das meiste von den Griechen abgekupfert. Wenn's wirklich um die kulturelle Basis des "Abendlands" geht, müsste man korrekterweise auf das Altgriechische und die griechische Philosophie zurückgreifen.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Ich kann nur bestätigen, dass man von Latein tatsächlich profitiert, und zwar in vielen Lebensbereichen. Der Vergleich mit einem Betriebssystem für viele andere Sprachen ist ebenfalls treffend.
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  • K. J.
    Hatte neun Jahre Latein im Grünewald/Würzburg , ABI Jahrgang 1978, Latein auch als Abiturfach, den Stowasser habe ich nach dem Abitur nie mehr aufgemacht. 10 Jahre später begann ich mit dem Lernen romanischer Sprachen, das Lesen ging fast im Handumdrehen. Das systematische, logische Denken wie man lateinische Schachtelsätze auflöst hilft nicht nur beim späteren Studium, sondern auch der alltäglichen Problemlösung.
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  • R. E.
    Im Prinzip kann man viele Fächer in der Schule - nicht nur im Gymnasium - in Frage stellen. Aber letztlich scheint mir gerade die Mischung VIELER Fächer in Naturwissenschaft, Sprache und allgemeinen Fächern das Entscheidende zu sein. Denn damit wird für jeden klar, wo er seine Stärken hat. Und: es muss ja kein Mensch Latein lernen, denn es gibt doch viele Schulwege, die nach Rom führen.
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  • E. W.
    Latein schult Logik und Klarheit des Denkens. Die Fähigkeiten, die ich mit dem Großen Latinum erworben und weiterentwickelt habe, waren mir im Leben vielfach von Nutzen.
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  • M. S.
    Und mal wieder kippen die Latein-Lehrer, die Nachwuchs an Schülern brauchen, ihre übliche Propaganda für einen tote Sprache in die Öffentlichkeit aus, und keiner fragt nach, was daran eigentlich wahr ist. Oder sonst falsch.

    Falsch ist schon mal, dass es keinen Unterschied zwischen Schreibweise und Aussprache gibt. Im Unterricht wird Latein einfach wie Deutsch gesprochen, was absolut falsch ist. Die antike Sprechweise wurde von den Römern selbst überliefert. Nur ein Beispiel ist Caesar: wir sagen alle Zäsar, korrekt ist es aber deutlich näher am deutschen Kaiser dran und klingt auch fast so. C ist grundsätzlich ein K etc. Einfach mal den Kanal Polymathy auf Youtube ansehen.

    Und dann natürlich wie immer die romanischen Sprachen, und wie einfacher man sie lernen könnte mit Latein. Nur: wenn man eine romanische Sprache direkt lernt, trifft dasselbe danach für den Rest auch zu.

    Es gibt nur wenige Bereiche, wo Latein benötigt wird. Und selbst da kann man es nachholen.
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  • D. E.
    Das gilt inzwischen fast für alle Fächer. Warum lernen, wenn man's googeln kann?
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  • J. H.
    Latein hilft beim systematischen Lernen und verbessert die Fähigkeiten für Problemlösungen. Das fehlt den meisten Studenten nämlich, viele lernen Lösungen aber nicht den Weg zur Lösung.
    Das Sprachen leichter gelernt werden ist zusätzlich nützlich.
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  • L. B.
    Auch die Mathematik hilft bei Problemlösungen, ist aber viel leichter zu lernen
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  • M. S.
    Und da ist sie wieder, die Propaganda ohne Substanz: sowas kann man auch den Schülern direkt beibringen, dafür braucht es keine tote Sprache!
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