
Für Eltern von aktuellen Viertklässlern und für Gymnasien in Bayern ist der März ein wichtiger Monat: Übertritt ja, aber wohin? Infoabende der Schulen sollen Eltern und Kindern beim Weichenstellen helfen. Wichtiges Auswahlkriterium dabei ist die erste Fremdsprache. Für die meisten heißt das Englisch, aber gar nicht wenige entscheiden sich auch heute noch für Latein.
Wie Fünftklässler den Latein-Unterricht erleben
Wie lebendig und begeisternd die "tote Sprache" sein kann, zeigt der Besuch einer 5. Klasse am Würzburger Wirsberg-Gymnasium. Eifrig melden sich fast alle Mädchen und Buben zu Wort, schwärmen von ihrem Latein-Unterricht. Von spannenden Geschichten aus Antike und Mythologie, von Göttern und Römern. Oder von Vokabeln, die sogar im Spanien-Urlaub mit den Eltern etwas bringen.

Einige haben schon bei ihren Geschwistern gesehen, dass Latein eine gute Grundlage ist – vor allem für weitere Sprachen. Andere fanden Englisch in der Grundschule nicht besonders prickelnd, zumal in der Pandemie-Zeit. Latein, sagt die elfjährige Julia, "ist für mich ein Neuanfang."
Wieder andere sind dankbar, dass es praktisch keinen Unterschied zwischen Schreibweise und Aussprache gibt. Und anders als in Englisch oder Französisch findet der Unterricht auf Deutsch statt – bis auf die Übersetzungen. "Es wird heute aber viel weniger übersetzt als früher", erklärt Wirsberg-Lateinlehrerin Birgit Schaible. "Wir sprechen dafür umso mehr über die Inhalte."
> Einen Kommentar, warum Latein-Unterrricht sinnvoll ist, lesen Sie hier: "Lernt Latein! Warum diese Sprache auch heute noch so wertvoll ist"
Es gehe dabei um europäische Kultur, um Glück und Unglück, Liebe und Tod, Demokratie und Gerechtigkeit, "letztlich Grundfragen der menschlichen Existenz", sagt Schaible. Das schaffe ein Wertebewusstsein. Als Beispiel nennt sie die Geschichte vom fliegenden Ikarus und den Grenzen des Menschseins, "das fasziniert die Kleinen."
Wer Latein unterrichtet, gilt als Überzeugungstäter. Schaible ist auch Seminarleiterin für den Lateinlehrer-Nachwuchs. Und wehrt sich dennoch gegen ein Entweder-Oder alter und neuer Sprachen: "Alles spricht für Latein, nichts spricht gegen moderne Fremdsprachen."
An 16 Gymnasien in Unterfranken wird Latein als erste Fremdsprache unterrichtet
Nach Angaben des Kultusministeriums lernen im laufenden Schuljahr in Bayern rund 114.000 Kinder und Jugendliche Latein als erste oder zweite Fremdsprache, in Unterfranken sind es etwa 12.000. Die Zahlen, so ein Ministeriumssprecher, blieben relativ stabil. Der leichte Rückgang von 5,6 Prozent im Vergleich zu 2017/18 hänge mit der Pandemie zusammen, weil Infoveranstaltungen ausfallen mussten. Nach Englisch ist Latein weiterhin die zweithäufigste Fremdsprache an Bayerns Gymnasien.
Alle 43 öffentlichen oder staatlich anerkannten Gymnasien in Unterfranken haben grundsätzlich Latein im Fächerkanon, an 16 wird es als erste Fremdsprache in der 5. Klasse unterrichtet. Die Schulen werben dafür. In Würzburg haben sich zuletzt drei Gymnasien – Wirsberg, Riemenschneider und Siebold – zusammengetan und Viertklässler zu einer Latein-Mitmach-Aktion unter anderem mit einem Archäologen eingeladen.
Ziel sei es, so Latein-Lehrkräfte aus den drei Gymnasien, das Fach in seinen Facetten greifbar zu machen. Der Anteil der Latein-Lernenden in der 5. Jahrgangsstufe schwankt bei diesen Schulen zwischen einem Zehntel (Siebold) und zwei Dritteln (Wirsberg, Riemenschneider).

Dass Latein von vielen als "tote Sprache" verworfen wird, läuft bei den Lehrkräften ins Leere. "Das aktive Sprechen ist doch gar nicht die Zielsetzung des Faches", erklärt Birgit Schaible. Sie betont die Schlüsselqualifikationen: "Die Schüler dröseln mit System und Logik die einzelnen Sätze auf, erkennen die Zusammenhänge. Das schult das kombinatorische und problemlösende Denken auch für andere Sprachen und Fächer", ist die erfahrene Lehrerin überzeugt.
Positive Auswirkungen auch auf Deutsch-Kompetenz
Bei Schülern mit Migrationshintergrund seien sogar die Deutsch-Aufsätze besser geworden. Schaible vergleicht Latein mit einem "geistigen Betriebssystem", das sich Kinder am besten vor der Pubertät aneignen. Auf diesem System laufe dann die ganze "Software" moderner Sprachen, von Kunst und Kultur, von Mathe und Physik.
Und Latein fördert Geduld und Ausdauer in Zeiten schwindender Aufmerksamkeitsspannen. Mit kurzen und längeren Sätzen sei die Sprache ein "wunderbares Training, um Dinge zu Ende zu bringen", ist Lehrer Reiner Streun vom Würzburger Riemenschneider-Gymnasium überzeugt.
Das Latinum wird mitunter noch für manche Studiengänge verlangt
Wer nach fünf Jahren genug hat von Latein, kann es an etlichen Schulen in der 10. Klasse durch eine spät beginnende Fremdsprache, in der Regel Spanisch, ersetzen – und hat trotzdem das Latinum in der Tasche, das mitunter noch für manche Studiengänge verlangt wird.
> Einen Kommentar, warum Latein-Unterricht Zeitverschwendung ist, lesen Sie hier: "Schluss mit Latein! Warum die Sprache in der Schule Zeitverschwendung ist"
Grundsätzlich aber, so heißt es aus dem Münchner Ministerium, werde Latein von vielen in der Oberstufe am Gymnasium fortgeführt. Und eine große Mehrheit dieser Schülerinnen und Schüler mache in dem Fach dann auch Abitur. So wie Hieronymus, Edwin und Emil aus der 11. bzw. 12. Klasse am Würzburger Wirsberg-Gymnasium.
Warum Latein als Abiturfach sehr gefragt ist
Einfacher sei das Abi in Latein als in Englisch, glauben die drei: "Das Schema ist klar, man muss es nur anwenden." Und auch vor dem Italienisch-Text, den es im Latein-Abi zu verstehen gilt, ist ihnen nicht bange.
Der Gewinn für die romanischen Sprachen sei am größten – aber selbst in Deutsch hätten sie bei Struktur und Fremdwörtern von Latein profitiert, inhaltlich auch in Geschichte. Andere empfinden Latein als Qual – Hieronymus, Edwin und Emil als Freude, Erfolgserlebnisse inklusive: "Man baut die Sätze logisch zusammen und der Text entsteht. Das ist wie bei einem Puzzle."
Ich halte so etwas für eine gefährliche Fragestellung bzw. die pauschale Ablehnung von Latein und anderen Fächern als falsche Schlussfolgerung!
Mit ähnlichen Argumenten könnte man auch auf andere Fächer komplett verzichten oder zumindest Themenkomplexe ausklammern die vermutlich eher nicht gebraucht werden im späteren leben.
Spinnt man das weiter, könnte man zu der Erkenntnis gelanden, dass fünf Jahre Schulpflicht genügen. Mit Lesen, Schreiben, Grundrechnen sind die Grundfähigkeiten nämlich erstmal abgedeckt.
Letztlich geht es um einen ganzheitlichen Fächerkanon und dabei bieten sämtliche Fächer die ein oder andere Bereicherung.
Ich finde es toll, dass trotz aller Probleme Deutschland so ein Schulwesen hat. Um die Möglichkeiten beneiden uns viele Länder und viele Kinder.
Die einen quälen sich schon mit einer Fremdsprache, andere haben auch mit dreien (inkl. Latein) kein Problem.
Dass Latein in erster Linie eine logische Puzzlesprache ist, hilft allerdings auch zum Beispiel den eher mathematisch als sprachlich Begabten.
Eine kleine Bemerkung am Rande: der Artikel lobt das Lateinische, spricht aber dann von der Ikarus-Sage und zeigt die Statue eines Diskuswerfers... 😜
Falsch ist schon mal, dass es keinen Unterschied zwischen Schreibweise und Aussprache gibt. Im Unterricht wird Latein einfach wie Deutsch gesprochen, was absolut falsch ist. Die antike Sprechweise wurde von den Römern selbst überliefert. Nur ein Beispiel ist Caesar: wir sagen alle Zäsar, korrekt ist es aber deutlich näher am deutschen Kaiser dran und klingt auch fast so. C ist grundsätzlich ein K etc. Einfach mal den Kanal Polymathy auf Youtube ansehen.
Und dann natürlich wie immer die romanischen Sprachen, und wie einfacher man sie lernen könnte mit Latein. Nur: wenn man eine romanische Sprache direkt lernt, trifft dasselbe danach für den Rest auch zu.
Es gibt nur wenige Bereiche, wo Latein benötigt wird. Und selbst da kann man es nachholen.
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