Wenn die Mitbewohner reden könnten, dann ginge es ganz schön rund im Haus von Michael und Elisabeth Schmidt in Gülchsheim. Das Heim des Ehepaares, das kürzlich erst seinen 70. Hochzeitstag gefeiert hat, wird von einer beachtlichen Anzahl von Puppen bevölkert. Dass die über 100-jährige "Berta" dort einen Ehrenplatz einnimmt, liegt nicht an ihrer Größe von 65 Zentimetern, sondern an der besonderen Geschichte, die die Puppe erzählen könnte.
Für die 88-jährige Puppenmutter steht Berta stellvertretend für ein langes Kapitel in ihrer eigenen Familiengeschichte. Die Puppe war auf dem Hof ihres Onkels Valentin Markert (1895-1991) ebenso zuhause wie dessen Schwester, die ledige Tante Berta ( 1912-2002). Bei der Namensgeberin lag die Puppe, wie sich Elisabeth Schmidt erinnert, lange Zeit kaum beachtet auf dem Schrank. Erst als Elisabeth Schmidt längst dem Kindesalter entwachsen war, bekam sie die Puppe von ihrer Tante Berta geschenkt und erfuhr ihre Geschichte.
Fein herausgeputzt ist Berta noch immer. Die Strümpfe, die sie trägt, hat Elisabeths Urgroßmutter gestrickt. Und ihre Schuhe sind jene, die ihr Onkel Valentin, der spätere Bürgermeister von Gülchsheim, als kleines Kind getragen hat. Die Haare sind sogar die der echten ihrer Tante Berta. Als die Puppenhaare spröde geworden sind, hatte sie aus ihren Zöpfen neue machen lassen, erzählt Elisabeth Schmidt.
Wie die Puppe in die Familie gekommen ist, konnte Elisabeth Schmidt leider nicht mehr in Erfahrung bringen, aber unter ihren Haaren verbirgt sich wenigstens ein Hinweis auf ihre Herkunft. Die Inschrift " A14M" weist auf Armand Marseille hin, einem um die Jahrhundertwende bedeutenden Hersteller von Puppenköpfen aus Biskuitporzellan. Dabei handelte es sich um unglasiertes Porzellan, wie es vor der Erfindung des Kunststoffs bevorzugt für die Herstellung von Puppenkörpern verwendet wurde.
Anders als sein französischer Name vermuten lässt, wurde Armand Marseille 1856 im russischen St. Petersburg geboren und starb 1925 in Coburg. 1884 erwarb er im thüringischen Sonneberg eine Puppenfabrik und anschließend eine Porzellanfabrik im heutigen Sonneberger Stadtteil Köppelsdorf. Seine Puppenköpfe, wie jener von Berta , wurden über Deutschland hinaus von zahlreichen namhaften Puppenherstellern verwendet.
Das Interesse an Puppen hatte Elisabeth Schmidt längst gepackt, bevor das Familienerbstück bei ihr eingezogen ist. Zu Paaren in der schmucken Tracht des Ochsenfurter Gau und aus Siebenbürgen, der Heimat ihres Mannes, gesellten sich Sammlerpuppen, denen die Gülchsheimerin bei Besuchen von Ausstellungen nicht widerstehen konnte.
So richtig Fahrt nahm die Sammelleidenschaft auf, nachdem Sohn Harald vor zirka 35 Jahren nach Georgetown in Kanada ausgewandert war. Durch ihre Schwiegertochter Gerda, die die Liebe zu Puppen teilt, kam sie bei einem ihrer Besuch dort mit einer Puppenmacherin in Kontakt. Mehr als zwanzig Mal hat sie die Reise nach Kanada angetreten, erzählt Elisabeth Schmidt. Und jedes Mal hat sie ihr Herz wieder für eines der kunstvoll gearbeiteten und aufwendig gekleideten Puppenkinder entdeckt.
"Ich hab schon gewusst, wenn sie heim kommt, hat sie wieder eine Puppe dabei", sagt ihr Ehemann Michael Schmidt (92) schmunzelnd. Und längst finden sich in der Sammlung auch Teddybären und andere plüschige Exponate aus der Tierwelt. Während der eigens angefertigte Puppenschrank fast aus allen Nähten platzt, findet sich für kuschelige Vierbeiner überall im Haus noch ein Plätzchen.
Plüschtiere erinnern an ihre lebenden Vorbilder
Die Hunde unter den Plüschtieren erinnern an die lebenden Vorbilder, die früher bei den Schmidts ebenso zuhause waren wie die Katzen. Während sich das Ehepaar inzwischen keinen Hund mehr hält, zeugt der bildhübsche Kater "Mucki" weiterhin von ihrer Tierliebe. Früher, als die Landwirtstochter noch ihre Eltern auf dem Hof unterstützt hat, gehörte diese Liebe vor allem den Pferden, auf denen sie auch gerne geritten ist.
Während ihr Mann als Elektromonteur 35 Jahre lang auf Montage tätig war und nur am Wochenende zu Hause mit anpacken konnte, versorgte Elisabeth neben der Hofarbeit die Tochter und die beiden Söhne. Später beschäftigte sie sich in ihrer Freizeit mit dem Garten oder den Strickarbeiten für ihre sieben Enkel und inzwischen zehn Urenkel und musizierte nebenbei gerne auf dem Akkordeon. Inzwischen ist es die große Schar der Puppenkinder, um die sie sich mit Vorliebe kümmert.