
Das Tanzstück "Chaplin!" von Ballett-Chefin Dominique Dumais und ihrer Compagnie des Mainfranken Theaters ist derzeit ein Publikumsrenner in der Theaterfabrik Blaue Halle. Ein Gespräch mit der Choreografin und Dirigent Enrico Calesso über Klischee-Fallen, das Wesen der Komik und die Musikalität in Charlie Chaplins Werk.
Dominique Dumais: Manchmal beginnt man Projekte einfach aus Instinkt. Sonja Wilhelm, die Tanzdramaturgin, und ich sprachen darüber, was wir als nächstes machen sollten. Sonja schlug Chaplin vor, und ich spürte sofort, dass das eine gute Wahl war. Ohne weitere Recherche sagte ich: Machen wir das! Als ich dann anfing, war ich genau mit Ihrer Frage konfrontiert: Wie kann ich diesem unglaublichen Künstler gerecht werden, der Produzent, Schauspieler, Autor, Akrobat, Tänzer, Komiker und sogar Komponist war?

Dumais: Ich glaube, er würde nicht wollen, dass wir einfach seine Filme auf die Bühne transferieren, sondern, dass wir als Tänzer seine Kunst als Inspirationsquelle nutzen. Natürlich zitieren wir im Stück Teile seines Lebens und seiner Filme, aber vor allem befassen wir uns mit seiner Präzision und der Gegenüberstellung von Autorität und Individuum, die ihn so interessiert hat. Wir haben Videos geschaut, Workshops gemacht, improvisiert und Situationen nach seinen Vorgaben geschaffen. Zum Beispiel: Er sagte immer, sein Humor bestehe darin, ein Problem zu kreieren und dann seine Figur versuchen zu lassen, das Problem zu lösen.
Dumais: Täglich! Manchmal haben wir uns damit beholfen, dass wir sie bewusst forciert haben. Beim Brötchen-Tanz zum Beispiel, der nur ein kurzes Einsprengsel ist. Aber jeden Tag fragten wir uns: Wie bleiben wir frisch, wie machen wir es zu unserem Stoff und bleiben trotzdem am Vorbild dran? Es war ein ständiger Seiltanz. Auch deshalb habe ich nicht nur Chaplin-Musik verwendet.
Enrico Calesso: Ich glaube, seine unglaubliche Vielseitigkeit. Sein 360-Grad-Allroundertum. Meine Kinder kannten Chaplin nicht, zwei Tage nach der Tanzpremiere haben wir uns "Modern Times" angeschaut. Wenn man die Filme von der Musik her erlebt und nicht von der Handlung her, versteht man, wie unglaublich philosophisch diese Musik ist. Selbst in winzigsten Motiven steckt ein tiefes Wissen darüber, wie Musik einen Charakter definieren kann, vor allem aber auch dessen tieferes Wesen.

Calesso: Wenn man sich selbst begleitet - was soll da schon schiefgehen? Aber so einfach ist es nicht, das sind zwei vollkommen unterschiedliche Leistungen. Ich habe zu Hause trainiert, so wie ich als Student trainiert habe, beide Hände unabhängig zu bewegen.
Calesso: Wir hatten die Original-Stimme auf Band und wollten sie live mit dem Orchester begleiten. Das war wegen der vielen Tempo-Schwankungen, der Rubati, ziemlich schwierig. Dann hat der Techniker in einer Durchlaufprobe vergessen, das Band zu starten. Ich wollte nicht abbrechen, also habe ich spontan selbst gesungen.
Dumais: Das war einfach so viel besser, also bin ich in der Pause zu Enrico und habe gesagt: Enrico, bitte kannst du das singen? Außerdem hat Chaplin auf dem Band einen kleinen italienischen Akzent, also hat das perfekt gepasst.
Dumais: Ich habe einige Vorschläge gemacht, und wir waren uns sehr schnell einig. Manche Dirigenten hätten ein Problem, zum Beispiel direkt von Beethoven zu Ligeti zu wechseln. Aber Enrico ist sehr offen, es war ungeheuer leicht, mit ihm zu arbeiten. Außerdem gab es eine Menge gegenseitigen Respekt zwischen den Tänzerinnen und Tänzern und dem Orchester.
Calesso: Ich muss sagen, so bedingungslos offen bin ich eigentlich nicht. Aber ich habe von Anfang an gesehen, dass die Auswahl der Stücke unglaublich bereichernd ist. Ich glaube, wenn man nur die Liste der Stücke liest, kommt man nicht auf die Idee, was Dominique daraus macht. Aber ich habe sofort verstanden, worum es ihr geht. Und als Zuschauer kommt man ohne viel nachzudenken auf die richtige Ebene - es hat einfach alles gepasst.
Calesso: Sehr anders. Schon innerhalb der Oper gibt es sehr unterschiedliche Arten von Musik, die man unterschiedlich dirigieren muss. Beim Tanz hat man es mit einer Mischung aus streng choreografierten und freieren Abschnitten zu tun. Dann gibt es die Soli. Bei den Tempi haben wir uns abgestimmt, aber die Tänzer können während bestimmter Bewegungen nur sehr begrenzt auf Abweichungen reagieren. Ich muss also immer vorausdenken und vorausdirigieren, welches Tanzbild als nächstes kommt. Das ist mit Sängern anders.

Dumais: Es gibt Dirigenten, die sehr unflexibel im Graben stehen. Aber du hast da ein großes Talent, Enrico. Ich habe das Gefühl, dass deine Augen ständig mittanzen.
Dumais: Wir hatten schon bei "Alice" einiges an Slapstick gelernt, und für "Chaplin" haben wir vor allem das Timing geübt. Und das Hinfallen. Immer und immer wieder. Das ist bei Chaplin eine besondere Kunst, die man erst einmal lernen muss. Das Ziel ist dann natürlich die Leichtigkeit, der man die ganze Arbeit nicht ansieht. Und die man nur erreicht, wenn man nicht gegen seinen eigenen Körper arbeitet, sondern möglichst natürlich mit ihm.
Dumais: Präzision, Sinn fürs Detail. Hin und wieder könnte man ja sagen, das passt schon so. Aber er tat das nie. Er hat so lange gearbeitet, bis eine Szene, ein Bild genau so waren, wie er sie wollte. Und das ist eine große Bestätigung für meine eigene Detailbesessenheit. Sein Ethos war: Die Arbeit ist nie vorüber. Und genau deshalb kann man bis heute diese Filme nur voller Staunen für die Agilität und Genauigkeit dieses Mannes anschauen.
Die nächsten Vorstellungen: 1., 10., 18., 30. Juni, 23. Juli.