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Würzburg/Schweinfurt
Urteil nach Tod eines essgestörten Mädchens: "Manchmal merken Eltern gar nicht, wie stark ihr Kind abnimmt"
Am Landgericht Schweinfurt sind jetzt die Eltern einer 16-Jährigen der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen worden. Die Zahl der Essstörungen steigt - auch in der Region.
Ständige Beschäftigung mit Essen und Gewicht? Während der Corona-Pandamie starb eine 16-Jährige in Unterfranken an den Folgen von Mangelernährung (Symbolfoto).
Foto: Annette Riedl, dpa | Ständige Beschäftigung mit Essen und Gewicht? Während der Corona-Pandamie starb eine 16-Jährige in Unterfranken an den Folgen von Mangelernährung (Symbolfoto).
Benjamin Stahl
 und  Désirée Schneider
 |  aktualisiert: 26.11.2024 18:15 Uhr

Das Landgericht Schweinfurt hat am Dienstag eine Mutter und einen Vater, deren 16-jährige Tochter an den Folgen einer Essstörung gestorben war, der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Von einer Strafe sah das Gericht jedoch ab. Die Kammer mache von einer "absoluten Ausnahmevorschrift" Gebrauch, sagte die Vorsitzende Richterin Claudia Guba: Gerichte können von der Verhängung einer Strafe absehen, "wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre".

Das Gericht folgte damit der Forderung der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre auf Bewährung für die Eltern gefordert. Zu Prozessbeginn hatte das Ehepaar aus dem Landkreis Schweinfurt die Schuld für den Tod ihres jüngsten Kindes auf sich genommen.

Unterernährung: Verlauf kann bei Kindern und Jugendlichen rasant sein

Die 16-jährige Jugendliche war im Dezember 2022 nach multiplem Organversagen aufgrund der Unterernährung gestorben. Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung wog ihr Körper nur noch 19 Kilogramm. Die Schülerin habe wegen einer Angststörung nicht in ein Krankenhaus gewollt, sie hätten auch nicht darauf gedrängt, sagten die Eltern im Prozess. Ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass ihre Tochter lebensgefährlich geschwächt war.

Was unglaublich klingt, scheint erklärbar zu sein: Der Verlauf einer Essstörung könne bei Kindern und Jugendlichen extrem rasant sein, warnt Jana Kürschner. Die Sozialpädagogin ist bei der Psychosozialen Beratungsstelle für Suchtprobleme der Caritas in Würzburg für das Thema Essstörungen zuständig. "Manchmal merken Eltern gar nicht, wie stark ihr Kind abnimmt", sagt Kürschner. "Somit ist ihnen auch nicht klar, wie gefährlich die Situation schon ist."

Studien zu Magersucht und Bulimie: Bundesweit 50.000 Jugendliche betroffen

Immer wieder gebe es Fälle, in denen Betroffene ohnmächtig werden und lebensbedrohliche Blutwerte haben. "Deshalb ist es immer wichtig, sich nicht nur an eine Beratungsstelle wie uns zu wenden, sondern auch einen Kinderarzt hinzuzuziehen, damit Gewicht und Blutwerte kontrolliert werden", sagt die Sozialpädagogin.

Der Fall, der jetzt in Schweinfurt verhandelt wurde, mag ein Extremfall sein. Das Thema Essstörungen ist jedoch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Studien gehen bundesweit von 50.000 Jugendlichen aus, die von einer Essstörung wie Magersucht oder Bulimie betroffen sind. Beratungsstellen verzeichnen seit Jahren einen immer größeren Zulauf.

Psychische Belastung und Essstörungen: Corona hat die Lage verschärft

"Prozentual gesehen, sind Jungen und Männer weniger betroffen", sagt Kürschner. Die Dunkelziffer sei aber hoch. 2023 kam eine Analyse der Krankenkasse DAK zu dem Schluss, dass immer mehr Kinder und Jugendliche stark psychisch belastet seien und unter Essstörungen litten. Betroffen seien vor allem Teenagerinnen: 2022 kamen demnach 700 Jugendliche in Bayern mit einer Essstörung ins Krankenhaus, davon 650 weiblich. Ein Plus von 49 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019.

Studien nennen unter anderem sogenannte Fake-Ideale und die Flut von Bildern vermeintlich makelloser Menschen auf Social-Media-Plattformen als Gründe. Die Corona-Zeit habe die Fallzahlen aber "massiv erhöht", sagt die Würzburger Beraterin. "Viele waren einsam, hatten mehr Zeit, sich mit Themen wie Ernährung und Gesundheit auseinanderzusetzen." Die ständige Beschäftigung mit Gewicht, Nahrungsaufnahme oder Verweigerung könne sich zu einer Essstörung entwickeln.

Wichtig ist es laut Kürschner, dass man diese nicht "als Schrei nach Aufmerksamkeit" abtut: "Eine Essstörung ist eine ernstzunehmende Erkrankung."

 
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  • Sieglinde Scholl
    Sorry, aber die Überschrift "Manchmal merken Eltern gar nicht, wie stark ihr Kind abnimmt"
    hinkt stark. Das Mädchen hat nur noch 19 Kilo gewogen !!!
    Ich habe auch 2 Kinder und kenne Pubertät, Schlankheitswahn usw...
    Aber nicht zu merken, wie abgemagert das eigenen Kind ist ......
    Kann ich nicht nachvollziehen
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  • Andreas Neinhardt
    U d wer ist schuld am den ganzen Sch....
    Die sozialen Medien und die ganzen möchtegern Stars und Sternchen die dort nix besseres zutun haben wie den ganzen Tag irgendwelchen Mist zuverbreiten wie Jugendliche auszusehen haben

    Einfach nur zum ko.... !!!!
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  • Peter Koch
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