
Seit Anfang März muss sich ein 28-jähriger Handwerker vor dem Landgericht Würzburg verantworten. Er soll im Mai 2022 eine Studentin in ihrer Wohnung mit einem Hammer niedergeschlagen haben. Doch allein durch die mündlichen Aussagen des Angeklagten hat sich das Motiv nicht erschlossen. Im Prozess um versuchten Mord hat das Gericht deshalb zu drastischen Mitteln der Wahrheitssuche gegriffen - und zeigte in der Verhandlung extrem-brutale Gewalt-Pornos, was Öffentlichkeit und Prozessbeteiligte aufwühlte.
Der Grund für die extreme Maßnahme: Der angeklagte 28-Jährige hatte seinen Aussagen zufolge noch nie eine engere Beziehung und Sex. Dass er sich immer härtere Pornofilme ansah, die Dosis – wie bei Drogen – steigerte und Szenen möglicherweise nachspielen wollte, ist eine These, der die Richter notgedrungen nachgehen.
Filmvorführung im Gerichtssaal mit gebotener Vorsicht
Dabei achtete das Gericht ausdrücklich darauf, dass keine Jugendlichen bei der Vorführung im Gerichtssaal waren. Der Vorsitzende Thomas Schuster hatte die zahlreichen Zuschauer ausdrücklich darauf hingewiesen, dass schwer erträgliche Szenen von Tötung und Vergewaltigung von Frauen zu sehen sein würden. Zwar blieben zunächst fast alle Zuschauer im Saal. Doch die drei etwa zehn Minuten langen Sequenzen wurden so unerträglich, dass viele Anwesende zu Boden blickten und doch noch den Raum verließen.
Parallelen zum mutmaßlichen Tatgeschehen offenkundig
In den Filmen waren dann tatsächlich Handlungsweisen erkennbar, wie sie der Handwerker laut Anklage im Mai 2022 offenbar bei dem Angriff auf die Studentin vollzogen hatte: Frauen wurden überraschend von hinten attackiert, einer wurde das Handy aus der Hand geschlagen, einer sterbenden Frau drehte der Film-Täter den Kopf hin und her. Das hatte man zuvor so ähnlich von dem Angeklagten in seiner Schilderung gehört.

Schon bei einem der brutalsten Gewaltverbrechen in Unterfranken in der Nachkriegszeit, dem Volkacher Foltermord, war das 2007 ähnlich. Die Ermittler fanden damals bei dem Täter, der seine Stiefmutter grausam im Keller über Stunden gequält und getötet hatte, Folter-Videos, die seinem Handeln als Vorlage gedient haben dürften.
Richter müssen sich selbst ein Bild machen
Und vor ein paar Wochen wurde ein Mann in Stuttgart wegen Frauenmordes zu "lebenslänglich" verurteilt, über dessen Motive schon 2007 das Landgericht Würzburg in einem anderen Mordfall gerätselt hatte. Als Beweis dienten dem Gericht jetzt Videos von brutalem Quälen, die bei ihm beschlagnahmt worden waren. Das Landgericht zeigte sie in der Beweisaufnahme über eine Freiviertelstunde hinweg, um sich selbst ein Bild zu machen.
Auch in zahlreichen Prozessen zum sexuellen Missbrauch von Kindern spielen Videos in der Beweisaufnahme häufig eine Rolle. Wie weit Richter beim Vorführen solcher Filme gehen können, zeigt ein bekanntes Beispiel aus Augsburg: Dort stand 2015 ein Paar von 18 und 19 Jahren für ein vergleichsweise harmloses Vergehen vor Gericht. Die beiden hatten öffentlich Sex in der "Erlebnisgrotte" eines Thermalbades - belegt durch Filmsequenzen aus einer Überwachungskamera. Für Diskussionen sorgte die Entscheidung der Jugendkammer das Video im Gerichtssaal zu zeigen. Die Begründung: Die Transparenz des Verfahrens erfordere eine öffentliche Inaugenscheinnahme.
Psychologin: Wie sich Pornokonsum auswirken kann
Für die Psychologin Tabea Freitag von Fachstelle für Mediensucht in Hannover ist erwiesen, dass häufiger Konsum von Internet-Pornografie die "Fähigkeit zu partnerschaftlicher Intimität" beeinträchtigt. Es entwickle sich zudem eine potentielle Abhängigkeit und "eine zunehmende Toleranz für und Bereitschaft zu sexueller Gewalt".
Laut ihrem "Praxisbuch zur Prävention von Internet-Pornografie-Konsum" sind Jungen mit täglichem Konsum dreimal häufiger auch Konsumenten von Gewaltpornografie und fast sechsmal so häufig Konsumenten von Kinderpornografie wie Altersgenossen, die gelegentlich Pornos schauen. Auch der Wunsch, das Gesehene real auszuprobieren, liegt laut Freitag deutlich höher: bei 70 gegenüber 42 Prozent.
Die Psychologin schreibt: "Früher Pornografie-Konsum hat auch dann eine besonders prägende Wirkung, wenn dies die ersten sexuellen Erfahrungen sind, also wenn kein Referenzwert durch vorausgegangene eigene sexuelle Erfahrungen zur Verfügung steht." Dies ist laut Aussage des Angeklagten in dem Prozess in Würzburg bei ihm der Fall.