zurück
Würzburg
Prozess zu Hammer-Attacke in Würzburg sorgt für Diskussion: Warum werden brutale Gewalt-Pornos vor Gericht gezeigt?
Mit drastischen Mitteln sucht das Landgericht Würzburg im Verfahren um versuchten Mord nach der Wahrheit: Wie Pornos das Verhalten beeinflussen können.
Was bewirkt der Konsum von Pronos für das eigene Verhalten? Die Frage spielt in einem Prozess um versuchten Mord in Würzburg eine wichtige Rolle und sorgt für heftige Diskussionen bei Leserinnen und Lesern.
Foto: Getty Images | Was bewirkt der Konsum von Pronos für das eigene Verhalten? Die Frage spielt in einem Prozess um versuchten Mord in Würzburg eine wichtige Rolle und sorgt für heftige Diskussionen bei Leserinnen und Lesern.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 09.02.2024 11:45 Uhr

Seit Anfang März muss sich ein 28-jähriger Handwerker vor dem Landgericht Würzburg verantworten. Er soll im Mai 2022 eine Studentin in ihrer Wohnung mit einem Hammer niedergeschlagen haben. Doch allein durch die mündlichen Aussagen des Angeklagten hat sich das Motiv nicht erschlossen. Im Prozess um versuchten Mord hat das Gericht deshalb zu drastischen Mitteln der Wahrheitssuche gegriffen - und zeigte in der Verhandlung extrem-brutale Gewalt-Pornos, was Öffentlichkeit und Prozessbeteiligte aufwühlte.

Der Grund für die extreme Maßnahme: Der angeklagte 28-Jährige hatte seinen Aussagen zufolge noch nie eine engere Beziehung und Sex. Dass er sich immer härtere Pornofilme ansah, die Dosis – wie bei Drogen – steigerte und Szenen möglicherweise nachspielen wollte, ist eine These, der die Richter notgedrungen nachgehen.

Filmvorführung im Gerichtssaal mit gebotener Vorsicht

Dabei achtete das Gericht ausdrücklich darauf, dass keine Jugendlichen bei der Vorführung im Gerichtssaal waren. Der Vorsitzende Thomas Schuster hatte die zahlreichen Zuschauer ausdrücklich darauf hingewiesen, dass schwer erträgliche Szenen von Tötung und Vergewaltigung von Frauen zu sehen sein würden. Zwar blieben zunächst fast alle Zuschauer im Saal. Doch die drei etwa zehn Minuten langen Sequenzen wurden so unerträglich, dass viele Anwesende zu Boden blickten und doch noch den Raum verließen.

Parallelen zum mutmaßlichen Tatgeschehen offenkundig

In den Filmen waren dann tatsächlich Handlungsweisen erkennbar, wie sie der Handwerker laut Anklage im Mai 2022 offenbar bei dem Angriff auf die Studentin vollzogen hatte: Frauen wurden überraschend von hinten attackiert, einer wurde das Handy aus der Hand geschlagen, einer sterbenden Frau drehte der Film-Täter den Kopf hin und her. Das hatte man zuvor so ähnlich von dem Angeklagten in seiner Schilderung gehört. 

Im Prozess um versuchten Mord an junger Frau in ihrer Wohnung in Würzburg griff das Gericht um den Vorsitzenden Richter Thomas Schuster (Mitte) zu drastischen Mitteln - und ließ die Gewalt-Pornos vorführen, die bei dem Angeklagten gefunden worden waren.
Foto: Thomas Obermeier | Im Prozess um versuchten Mord an junger Frau in ihrer Wohnung in Würzburg griff das Gericht um den Vorsitzenden Richter Thomas Schuster (Mitte) zu drastischen Mitteln - und ließ die Gewalt-Pornos vorführen, die bei ...

Schon bei einem der brutalsten Gewaltverbrechen in Unterfranken in der Nachkriegszeit, dem Volkacher Foltermord, war das 2007 ähnlich. Die Ermittler fanden damals bei dem Täter, der seine Stiefmutter grausam im Keller über Stunden gequält und getötet hatte, Folter-Videos, die seinem Handeln als Vorlage gedient haben dürften.

Richter müssen sich selbst ein Bild machen

Und vor ein paar Wochen wurde ein Mann in Stuttgart wegen Frauenmordes zu "lebenslänglich" verurteilt, über dessen Motive schon 2007 das Landgericht Würzburg in einem anderen Mordfall gerätselt hatte. Als Beweis dienten dem Gericht jetzt Videos von brutalem Quälen, die bei ihm beschlagnahmt worden waren. Das Landgericht zeigte sie in der Beweisaufnahme über eine Freiviertelstunde hinweg, um sich selbst ein Bild zu machen.

Auch in zahlreichen Prozessen zum sexuellen Missbrauch von Kindern spielen Videos in der Beweisaufnahme häufig eine Rolle.  Wie weit Richter beim Vorführen solcher Filme gehen können, zeigt ein bekanntes Beispiel aus Augsburg: Dort stand 2015 ein Paar von 18 und 19 Jahren für ein vergleichsweise harmloses Vergehen vor Gericht. Die beiden hatten öffentlich Sex in der "Erlebnisgrotte" eines Thermalbades - belegt durch Filmsequenzen aus einer Überwachungskamera. Für Diskussionen sorgte die Entscheidung der Jugendkammer das Video im Gerichtssaal zu zeigen. Die Begründung: Die Transparenz des Verfahrens erfordere eine öffentliche Inaugenscheinnahme. 

Psychologin: Wie sich Pornokonsum auswirken kann

Für die Psychologin Tabea Freitag von Fachstelle für Mediensucht in Hannover ist erwiesen, dass häufiger Konsum von Internet-Pornografie die "Fähigkeit zu partnerschaftlicher Intimität" beeinträchtigt. Es entwickle sich zudem eine potentielle Abhängigkeit und "eine zunehmende Toleranz für und Bereitschaft zu sexueller Gewalt".

Laut ihrem "Praxisbuch zur Prävention von Internet-Pornografie-Konsum" sind Jungen mit täglichem Konsum dreimal häufiger auch Konsumenten von Gewaltpornografie und fast sechsmal so häufig Konsumenten von Kinderpornografie wie Altersgenossen, die gelegentlich Pornos schauen. Auch der Wunsch, das Gesehene real auszuprobieren, liegt laut Freitag deutlich höher: bei 70 gegenüber 42 Prozent.

Die Psychologin schreibt: "Früher Pornografie-Konsum hat auch dann eine besonders prägende Wirkung, wenn dies die ersten sexuellen Erfahrungen sind, also wenn kein Referenzwert durch vorausgegangene eigene sexuelle Erfahrungen zur Verfügung steht." Dies ist laut Aussage des Angeklagten in dem Prozess in Würzburg bei ihm der Fall. 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Manfred Schweidler
Angeklagte
Kinderpornographie
Kindesmissbrauch
Landgericht Würzburg
Mord
Mordfälle
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • D. P.
    Tritt die Psychologin als Gutachterin auf? Falls ja, finde ich das problematisch. Sie begründet ihre Aussagen auf einer eigenen Publikation ("Fit for Love - Praxisbuch zur Prävention von Internet-Pornografie-Konsum"), in der sie Studien der letzten Jahrzehnte zusammenfasst und einräumt, dass diese korrelativ sind - es gibt keinen beweisbaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. In ihren Ausführungen stützt sie sich stattdessen auf Wirkungsforschung und Untersuchungen, die bei KINDERN UND JUGENDLICHEN durchgeführt wurden. Hier sieht sie beim Pornografie-Konsum den Hauptgrund für negative Verhaltensweisen und kritisiert in der wissenschaftlichen Debatte eine Relativierung in Richtung Pro-Pornografie. Aspekte der Sozialisierung erwähnt sie zwar, aber geht nicht weiter darauf ein. Nun haben wir hier einen ERWACHSENEN Täter mit offensichtlich schlechter Sozialisierung. Dass alleine der Pornografie-Konsum dazu geführt hat, ist eine nicht haltbare These und eine Vorverurteilung.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten