
Der Anklage zufolge war er ein Mann mit zwei Gesichtern: Für seine Jünger war der 38-Jährige einer jener Gurus, die sich als sogenannte Life Coaches großer Verehrung erfreuen. Doch hinter den Mauern seines Hauses in Walldürn im Neckar-Odenwald-Kreis soll der selbstbewusst auftrumpfende "Heilsbringer" sein wahres Gesicht gezeigt haben - und die Lust am Erniedrigen, Quälen und an Vergewaltigungen.
Charakterformung und Tipps im Schulungszentrum versprochen
Vor zwei Jahren wurde auch eine 31-Jährige aus einem kleinen Ort bei Würzburg von einer Freundin zu einem Vortrag des "Persönlichkeits-Formers" mitgenommen. Begeistert kaufte sie seine Weisheiten in Buchform: "Raus aus der Opferrolle" und "Nie wieder scheitern" schien genau, was sie suchte. Der selbsternannte Lebensberater Nikolaj G. empfahl ihr intensive Schulungen zur Charakterformung in seinem Zentrum im 70 Kilometer entfernten Walldürn.
Damals habe sie nicht die Kraft dazu gehabt, sagt die 31-Jährige. Und ist froh darüber. Andere junge suchten Hilfe im "Boot-Camp", wie Nikolaj G. sein Zentrum mit dem englischen Begriff für "Umerziehungslager" nannte. Sie haben ein Martyrium hinter sich - gefangen gehalten von einem Mann, zu dem sie aufschauten, der sie aber wie Sex-Sklavinnen gefangen gehalten haben soll.
31-Jährige aus Unterfranken berichtet über Begeisterung
Auch die Frau aus dem Raum Würzburg war von Nikolaj G. begeistert: "Er kam daher, als habe er im Paradies vom Baum der Erkenntnis genascht - und wolle uns an seinem Wissen teilhaben lassen," beschreibt die 31-Jährige. Der "Psychocoach" habe Tipps gegeben, wie man vom verzweifelten, zweifelnden Menschen zum Alpha-Tier wird, das vor Selbstbewusstsein fast platzt.

So schwärmte ein Teilnehmer im Internet in höchsten Tönen: "Das Bootcamp formte aus mir die Persönlichkeit, die ich insgeheim mein ganzes Leben lang sein wollte!" Er habe bekommen, was sich viele wünschen: "Ein riesiges Selbstbewusstsein, finanzieller Erfolg in meinem Business sowie ein höheres Ansehen innerhalb meines Kunden- und Bekanntenkreises."
Die andere Seite des "Lebensberaters" und Psycho-Gurus
Die Anklage schildert jetzt, was sich insgeheim in dem abseits stehenden Haus abspielte. Sie wirft dem 38-Jährigen Geiselnahme, besonders schwere Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung vor.
Drogen konsumierend, lebte der selbsternannte Guru abgeschieden mit Frau, Kind und offenbar zwei, drei "Jüngerinnen". Mit brutalen Unterwerfungsritualen soll der Angeklagte die jungen Frauen systematisch verunsichert und ihnen den letzten Rest Selbstbewusstsein geraubt haben. Häufig erniedrigte und quälte er demnach seine eigene Ehefrau zur "Abschreckung" - und zwang so die anderen, sich zu fügen, damit ihnen nicht das gleiche passierte.
Gewalt und Demütigung: Was die Opfer erleiden mussten
Eine 26-Jährige lebte der Anklage zufolge mehr als ein Jahr bei dem Mann. Einmal, als sie ihm nicht gehorsam genug schien, soll er sie in die volle Badewanne gesteckt haben: "Er stellte sich über sie und drückte sie unter Wasser, so dass sie nicht mehr atmen konnte", schreiben die Ermittler. Die junge Frau "glaubte, nun sterben zu müssen".
Einer entsetzt zuschauenden anderen Frau soll der Angeklagte befohlen haben, eine Einkaufstüte zu holen - um sie dann der 26-Jährigen über den Kopf zu ziehen, bis sie fast erstickte. Auf sie einprügelnd, zwang er die zweite Frau, ihm sexuell zu Willen zu sein.
Anklage erhoben: Sieben Frauen, ein Kind und drei Männer als Opfer
Im Oktober 2022 war einer Frau nach drei Tagen voller Qualen in einem unbewachten Moment ein flehender Anruf bei einer Freundin gelungen. Diese alarmierte die Polizei, der Fall flog auf.
Laut Staatsanwaltschaft hat der "Psychocoach" sieben Frauen mehrfach sexuell missbraucht und körperlich misshandelt, drei der Frauen soll er zeitweise als Geiseln genommen haben. Zudem wird ihm zur Last gelegt, weitere zwei Frauen, ein Kind und drei Männer körperlich misshandelt zu haben.
Würzburger Anwalt vertritt Nebenkläger
Einer der Männer ist als Nebenkläger im Prozess dabei, ihn wird der Würzburger Anwalt Jan Paulsen vertreten. Ihm zufolge demütigte und misshandelte Nikolaj G. auch männliche Anhänger, die Rat suchten und denen er doch angeblich Selbstvertrauen eintrichtern wollte.
Paulsens Mandant soll beschuldigt worden sein, bei seinem Besuch in Walldürn Kontakt zu einer der Frauen aufgenommen zu haben. Das Eindringen in "sein" Revier habe dem Guru missfallen. Er soll den Mann unversehens brutal mit einem Trainingsschwert geschlagen und verletzt haben - um ihm dann zu erklären, er habe ihm "großmütig verziehen". Auch dies ist Teil der Anklage.
Prozess am Landgericht Mosbach beginnt im Januar
Ab Januar muss sich der "Psychocoach" vor dem Landgericht Mosbach verantworten. Die 31-Jährige aus Unterfranken ist froh, nicht selbst in Walldürn in den Teufelskreis geraten zu sein. Ihr Mitgefühl gilt vor allem dem 26-jährigen Opfer: "Der Auftritt vor Gericht wird die Hölle für sie werden."
Prozessbeginn ist am 11. Januar.