
Vor einem Jahr befreite die Polizei in einem Haus im Marienwallfahrtsort Walldürn, rund 60 Kilometer von Würzburg entfernt, mehrere Frauen. Ein 37-Jähriger, nach eigenen Angaben Persönlichkeitstrainer, soll sie wie Sexsklavinnen gehalten haben. Nun sieht der Verfasser eines Lebenshilferatgebers seinem Prozess entgegen.
Anwalt spricht von "schwer vorstellbaren Demütigungen"
Wie Florian Sommer von der Staatsanwaltschaft Mosbach auf Anfrage bestätigte, hat die Behörde Anklage unter anderem wegen Geiselnahme und besonders schwerer Vergewaltigung erhoben. Einzelheiten nannte der Erste Staatsanwalt nicht. Doch der Würzburger Anwalt Jan Paulsen, der eines der mutmaßlichen Opfer vertritt, sagt: Die etwa 150 Seiten starke Anklage sei "voller bizarrer Details über schwer vorstellbare Demütigungen und Grausamkeiten".
Dabei hatte sich der 37-jährige gelernte Bäcker Nikolaj G. als charismatischer Lebenshilfetrainer stilisiert, der in Kursen Hilfesuchenden Unterstützung anbot, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Nachbarn nannten ihn nicht beim Namen, sondern nur "den Guru".
G. lud Videos bei YouTube, Instagram und Facebook hoch, hielt Vorträge und schrieb Bücher darüber, wie man angeblich die beste Version von sich selbst werden kann – und sich nicht mehr von anderen erniedrigen lässt. Er gab auch Beziehungstipps, gerne mit seiner Partnerin zusammen.
Ein alarmierender Anruf brachte G. in Haft
Drei Jahre lang hatte Nikolaj G. am Stadtrand von Walldürn in dem abseits stehenden Haus gelebt. Dann rief eine 26 Jahre alte Frau im Oktober 2022 in einem unbeobachteten Moment eine Freundin an und flehte um Hilfe: Sie werde gegen ihren Willen festgehalten und fürchte um ihr Leben.
Den Ermittlern sagte die Frau, Nikolaj G. habe sie vier Tage lang festgehalten und sich an ihr vergangen. Die Polizei stieß auf Hinweise, die auf mindestens drei weitere mutmaßliche Opfer schließen lassen. Ihre Schilderungen sprechen von gezielten, fortdauernden Demütigungen und Misshandlungen.
Auch Bruder des Täters in Untersuchungshaft
Der 37-Jährige habe gezielt junge Frauen nach Walldürn eingeladen, um sie dort nach ihrer Ankunft zu misshandeln; er habe sie geschlagen und mit dem Tod bedroht, bis sie ihm keine Gegenwehr mehr entgegensetzten, hieß es schon im Haftbefehl gegen den Mann.
Mit ihm kam sein jüngerer Bruder in Untersuchungshaft, der sein Helfer gewesen sein soll. Ein Prozess könnte im Frühjahr 2024 am Landgericht Mosbach beginnen.