Michael Zimmer und Manfred Schweidler sprechen regelmäßig miteinander. Mal ganz offiziell, mal sehr vertraulich. Hauptkommissar Zimmer leitet die Pressestelle des Polizeipräsidiums Unterfranken, Reporter Schweidler berichtet für diese Redaktion über große und spektakuläre Kriminalfälle in der Region. Über diese Fälle gibt es jetzt nicht nur zu lesen, sondern auch zu hören: im Main-Post-Podcast "Mordsgespräche". Zum Start des neuen Formats tauschten Zimmer und Schweidler die Rollen. Der Polizist interviewte den Journalisten und durfte mal selbst die Fragen stellen.
Manfred Schweidler: Es ist ja das Kunststück, das man als Reporter immer schaffen muss: sehr komplexe Vorgänge in sehr geballter Form in einen Artikels zu kriegen. Das ist im Podcast und wenn ein Fall abgeschlossen ist, wir also eine Rückschau auf die ganze Entwicklung machen, etwas leichter, weil man mehr Zeit und mehr Platz hat.
Schweidler: Der Reporter lebt von drei Dingen: einem guten Riecher, einem Notizbuch mit vielen Telefonnummern hilfreicher Kontaktpersonen und von jahrelang erworbenem Vertrauen – auch bei Polizeibeamten. Diesem Vertrauen muss man sich natürlich würdig erweisen: Meine Gesprächspartner müssen sich darauf verlassen können, dass ich mit sensiblen Informationen verantwortungsvoll umgehe. Das führt dazu, dass man manchmal mehr und früher Informationen bekommt.
Schweidler: Das ist unabdingbar. Und es ist kein Bürojob, bei dem man morgens um 9 Uhr beginnt und um 17 Uhr Feierabend hat. Viele Informanten und Gesprächspartner wollen nicht während ihrer Bürozeit sprechen, weil sie nicht wollen, dass Kollegen mithören. Also spricht man manchmal zu sehr unmöglichen Zeiten oder auch an ungewöhnlichen Orten.
Schweidler: Ich hatte einmal einen Kollegen von Ihnen als Informanten, der hatte so viel Angst davor, mit mir gesehen zu werden, dass wir uns immer irgendwo draußen in der Prärie getroffen haben. Das ging irgendwann so weit, dass er befürchtete, eine zufällig vorbeifahrende Polizeistreife könnte ihn erkennen. Also haben wir uns jenseits der bayerischen Landesgrenze im Main-Tauber-Kreis getroffen. Die Polizei hat uns nie gesehen, dafür Verwandtschaft von mir.
Schweidler: Diese Dolmetscherfunktion haben wir als Journalisten ja in vielen Bereichen. In meinem Fall hilft vor allem Erfahrung – und es helfen auch wieder Kontakte: Also Experten, die einem mit viel Geduld vieles erklären. So erwirbt man sich das Fachwissen nebenbei.
Schweidler: Als ich in den 80er Jahren angefangen habe, gab es kein Verhältnis der Polizei zur Presse. Mit den "Pressefuzzis" wollten Polizisten nichts zu tun haben. Das ist ein großer Unterschied zu heute. Vor allem Ihre jungen Kolleginnen und Kollegen sind sehr presseaffin. Und Ihre Pressestelle ist kompetenter und personell aufgerüstet. Das ist aber auch notwendig: Das Interesse an Kriminalfällen ist nämlich gewachsen, und vor allem durch die sozialen Medien kann jeder Medien-Amateur ohne ethischen Kompass mitmischen und auf die Berichterstattung Einfluss nehmen – ob aus echtem Interesse, Geltungsdrang oder politischen Interessen. Das erhöht den Druck auf die Polizei und uns als Journalisten gleichermaßen.
Schweidler: Kein Wunder. Viele ziehen ihr Wissen aus Fernsehkrimis. Der "Tatort"-Kommissar präsentiert seinen Täter in 88 Minuten. Das erwartet der Bürger in der Wirklichkeit auch – und wehe, wenn nicht. Dann werden Ermittler und Reporter zur Zielscheibe von Spott oder Kritik.
Schweidler: Es ist ja eine große Forderung, die an die Medien herangetragen wird: Wir sollen mehr die Perspektive der Opfer einnehmen als die der Täter. Das versuchen wir mit der gebotenen Vorsicht. Ich stelle immer wieder fest, dass es viel mehr Opfer oder Angehörige gibt, die ihre Geschichte erzählen wollen, als man denkt. Aber die Geschichten dürfen dann von uns nicht sensationslüstern oder voyeuristisch wiedergegeben werden, sondern in der gebührenden Art und Weise. Da muss man im Kontakt mit diesen Leuten viel Zeit und Feingefühl einsetzen. Aber das lohnt sich.
Schweidler: Wenn wir nach Hause gehen, lassen wir auch nicht alles in der Redaktion. Man denkt eigentlich, als Reporter stumpft man mit der Zeit ab. Aber zum Beispiel die Schicksale der Kinder, die von einem Würzburger Logopäden missbraucht wurden, oder der Elfjährigen, die bei Schweinfurt Lkw-Fahrern zum Missbrauch angeboten wurde, beschäftigen mich heute viel intensiver als früher. Es gehört zum Job, und wie gesagt: Viele Opfer legen wert darauf, dass ihre Sicht der Dinge geschildert wird. Man muss da sensibel abwägen, was man aus schützenswerten Interessen verschweigt oder schreiben muss, um ein Geschehen in allen wichtigen Facetten seriös darzustellen.
Schweidler: Ja. Zum Beispiel bei dem ungelösten Fall Simone Strobel, die 2005 in Australien getötet wurde. Mit der Familie stehe ich seit 15 Jahren in Kontakt. Manchmal nur um zu fragen, wie es geht. Manchmal wird es intensiver – zum Beispiel wenn es neue Ermittlungsansätze gibt.
Schweidler: Da geht es um einen Mordfall in Heidingsfeld im Jahr 2012, bei dem der Täter die Leiche tatsächlich in einer Schubkarre durch den halben Stadtteil geschoben hat. Die Zahl der Morde sinkt ja seit 30 Jahren. Aber Stoff für den Podcast gibt es leider genug. Und es wird ja nicht nur um Mordfälle gehen.
Schweidler: Ganz meinerseits.