Corona warf auch die Pläne von Kabarettist Frank-Markus Barwasser (60) komplett über den Haufen. Ein Gespräch mit dem gebürtigen Würzburger, dem Vater der populären Kunstfigur Erwin Pelzig und eines inzwischen vierjährigen Sohnes, über Solo-Selbstständige und staatliche Hilfen, über Corona-Leugner und Schutzmaßnahmen für die Familie.
Frank-Markus Barwasser: Klar. Der war am 8. März in Putzbrunn bei München. Ich bin damals schon mit gemischten Gefühlen auf die Bühne gegangen und habe anschließend irgendwie gespürt: Das dürfte es gewesen sein. Das war insofern ein bisschen traurig, weil ich mich von dem Programm gar nicht richtig verabschieden konnte. Ich hätte danach noch sechs Auftritte gehabt, in München eine größere Dernière. So aber war das dann einfach zu Ende wegen des Lockdowns.
Barwasser: Ich wollte das neue Programm im Frühjahr schreiben und im Oktober Premiere feiern. Aber das Schreiben ging dann ja auch nicht mehr, weil die Kitas geschlossen wurden und ich mich zwei, drei Monate vor allem um unseren Sohn gekümmert habe.
Barwasser: Ich war mir ziemlich sicher, dass es eine sehr lange Pause wird und dass es vielleicht im Herbst '21 weitergehen könnte. Inzwischen bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob das realistisch ist. Gut, jetzt ist ein Impfstoff da, aber das, was wir als Normalität betrachten würden, wird, wenn überhaupt, eher 2022 der Fall sein. Ich hoffe nun sehr, im kommenden Sommer einige Open-Airs spielen zu können. Laut Spielplan wäre mein nächster Auftritt im April in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim. Aber wie realistisch ist es? Ich weiß es nicht. Ich denke nicht mehr in Wochen, auch nicht in Monaten, sondern inzwischen eher in Jahresschritten.
Barwasser: Im Frühjahr musste ich meine Pläne alle in die Tonne treten. Aber wir waren letztlich in einer besseren Lage als viele andere. Beruflich war ich sozusagen lahm gelegt, konnte mich also komplett unserem Kind widmen. Meine Frau durfte auch während des Lockdowns im Frühjahr weiterhin zur Arbeit gehen. Natürlich mit großer Vorsicht. Aber ich habe bei anderen Familien mitbekommen, wie hart und herausfordernd diese Zeit war. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie berufstätige Menschen und erst recht Alleinerziehende, die plötzlich zu Hause im Homeoffice sitzen und parallel ein, zwei oder womöglich drei Kinder betreuen müssen, das überhaupt auf die Reihe bekommen. Davor kann man nur den allergrößten Respekt haben. Insofern hoffe ich inständig, dass Schulen und Kitas so lange wie möglich offen gehalten werden können. Ganz besonders wegen der Kinder selbst.
Barwasser: Künstler auf der Bühne waren die Ersten, die es traf, und sie werden die Letzten sein, für die sich wieder so etwas wie Normalität einstellen wird. Aber es geht ja bei weitem nicht nur um die Künstler. Es geht auch um Techniker, Veranstalter, Gastronomie et cetera. Das ist eine beeindruckende Zahl an Jobs, die davon abhängig ist, ob Künstler auftreten. Das wurde von der Politik total unterschätzt, und ich bin mir nicht sicher, ob das inzwischen wirklich kapiert worden ist. Davon abgesehen geht es auch nicht nur um Jobs, sondern um Kunst, um Kultur, die wir alle brauchen und jetzt so sehr vermissen, je länger der Zustand andauert. Es geht um viel mehr als nur um ein bisschen Salz in der Suppe.
Barwasser: Der Begriff Schockstarre trifft es ganz gut. Natürlich haben wir Bühnenmenschen, die viele Leute in einem Raum versammeln, auch eine Verantwortung fürs Publikum und alle, die an so einem Abend mitwirken. Insofern sollte man vorsichtig sein, wenn man Lockerungen einfordert. Sind die nicht möglich, dann müssen Kunst und Kultur aber entsprechend gestützt werden. Hat ja bei der Lufthansa auch recht schnell funktioniert. Gezeigt hat sich, dass die Kulturbranche nicht gut organisiert ist, also nicht mit einer vernehmbaren Lobby-Stimme spricht. Kunstschaffende sind oft Einzelkämpfer. Das ist ein Nachteil in so einer Lage.
Barwasser: Es wird alles bezahlt werden müssen - und da geht es um gigantische und kaum vorstellbare Summen. Ein befreundeter Volkswirtschaftler meinte neulich zu mir, die Stimmung sei immer noch viel besser als die Lage. Und die richtig großen Probleme kommen erst noch: Wie gerecht werden diese Lasten verteilt werden? Das ist gesellschaftlicher Sprengstoff. Aber man muss sich gleichzeitig im Klaren darüber sein: Wenn jetzt nicht viel Geld in die Hand genommen wird, um bestimmte Branchen zu stützen, werden die bald nicht mehr existieren und auch nicht wiederkehren. Ich bin im Austausch mit Kollegen und Theatern: Von einem anfänglichen Zweckoptimismus entwickelte sich die Stimmung hin zu einer gewissen Ratlosigkeit und Verärgerung, und jetzt geht es bei vielen schon langsam in Richtung Verzweiflung. Ich weiß von etlichen freien Bühnen, die nicht mehr ausschließen, im kommenden Jahr dicht machen zu müssen, weil sie die laufenden Kosten ohne Auftritte nicht mehr stemmen können. Wenn sie nicht aufgefangen werden, verschwinden diese Bühnen.
Barwasser: Tatsächlich, mit 60 zähle ich auch schon zur Risikogruppe. Aber auch unabhängig vom Alter nehme ich das Virus ernst. Naja, das macht wohl jeder, der, so wie ich, Covid-19-Erkrankte kennt oder den es womöglich selbst erwischt hat. Als ich im Februar meinen Geburtstag gefeiert habe mit Freunden und Familie, war es das letzte Mal, dass ich alle gesehen habe. Das war wie ein Abschiedsfest aus der alten Zeit. Inzwischen habe ich meine Mutter und Geschwister natürlich wieder getroffen, aber nur einzeln und meistens im Freien. Meine Mutter wurde 90 im Mai, für die ist das auch ziemlich hart, keine Enkelbesuche mehr zu empfangen. Das sind schon Zumutungen. Wobei es für mich persönlich auch zumutbare Zumutungen gibt. Jetzt nicht mehr reisen zu können, finde ich nicht so schlimm. Gar nicht mehr auftreten zu können oder mir vorschreiben zu lassen, wie viele Menschen ich zu Hause noch empfangen darf, ist schon eine andere Nummer.
Barwasser: Was AfD-Leute da inszeniert hatten, war wenig überraschend. Das Fatale ist die Wirkungsmacht solcher Bilder, die zum einen etwas Triumphales haben und die Hemmschwellen beim Sag- und Machbaren weiter senken, zum anderen erhält eine kleine Gruppe überproportional große Aufmerksamkeit. Sie will den Eindruck erwecken, als ob die Mehrheit vor den Toren des Parlaments steht und alle an den Galgen wünscht. Das verunsichert dann wiederum andere, und am Ende steht, so wie jetzt gerade in Hannover, eine 22-jährige Frau auf der Bühne, die sich als Widerstandskämpferin sieht und sich allen Ernstes mit Sophie Scholl vergleicht. Da fällt mir einfach nichts mehr ein. Ach je, und dann rennen manche Leute mit Plakaten durchs Land und rufen das „Ende der Pandemie“ aus. Sehr hübsch. Was proklamieren die bitte als Nächstes? Ende der Mieterhöhungen? Ende der Klimaerwärmung? Ende von Lippenherpes? Und wenn jemand das Infektionsschutzgesetz, über das man sich durchaus streiten kann, als Ermächtigungsgesetz bezeichnet, ist das einfach geschichtsvergessen. Und wer das hier jetzt als Diktatur bezeichnet, hat einfach keinen blassen Schimmer davon, was eine Diktatur ist. Aber: Man muss natürlich auch sagen, dass diese Stimmung als explosives Gemisch schon viel länger in der Luft waberte. Corona hat es letztlich nur angezündet. Da erweisen sich diese sogenannten Sozialen Medien wirklich als Geißel der Menschheit, weil sich über sie jeder Unsinn und jeder Dreck überproportional stark in die Filterblasen hinein senden lässt.
Barwasser: Welch Irrsinn! Es ist wirklich sehr schade, dass ich gerade nicht auftreten kann, weil ich das dann ein bisschen besser verarbeiten und umsetzen könnte. In der Zeit nach Corona, die bestimmt kommen wird, wird erst einmal nichts wirklich gut sein. Corona hat uns so viel um die Ohren fliegen lassen, was wir eigentlich schon immer wussten. Die Situation in den Schlachthöfen, der Leiharbeiter. Die Armutsgefährdung der Alleinerziehenden, die Probleme im Bildungssystem, im Gesundheitswesen und vieles vieles mehr. Ich wünsche mir sehr, dass in der Post-Corona-Zeit, wann immer sie anbricht, alles, aber wirklich alles auf den Tisch kommt. Ich weiß, das ist eine naive Hoffnung. Ach ja, und vielleicht befassen wir uns dann auch mal wieder mit der Klimathematik und nicht zuletzt der Situation der Geflüchteten auf den Kanaren und anderswo. Manchmal reibe ich mir schon die Augen, wenn ich sehe, wer und was plötzlich alles unter den Tisch fällt.
Barwasser: Es ist eine Katastrophe für viele Kinder, wenn sie nicht mehr in die Schule oder in Kitas können. Ich meine Kinder, die dort Chancen bekommen, die ihnen sonst keiner bietet. Ich bin ja Schirmherr des Kinderzentrums "Spieli" im Würzburger Stadtteil Zellerau (Anmerk. d. Red: ein Projekt des Sozialdiensts katholischer Frauen und der Stadt Würzburg für vor allem sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche, die einer besonderen Hilfe bedürfen). Die mussten auch schließen im Frühjahr. Das ist so bitter für die Kinder, wenn ihnen diese Aufmerksamkeit und Zuneigung, eben diese Chancen entgehen, die Schwester Ruperta und ihr Kollegium dort anbieten. Und dann ist der Ort wegen der Corona-Auflagen plötzlich zu. Da blutet mir das Herz. Da wird den Kindern tatsächlich sehr viel gestohlen. In meiner persönlichen Situation haben wir das ganz ordentlich hingekriegt, aber auch für mich ist es eine Herausforderung, einem vierjährigen Kind die aktuellen Probleme ehrlich zu erklären, ohne es mit Ängsten zu überfordern.
Barwasser: Aber es wird kein reines Corona-Programm. Ich hatte die Richtung des Themas schon vor Corona festgelegt - und dann festgestellt: die Richtung passt besser denn je. Ich will da aber noch nicht zu viel verraten.
Barwasser: Ich wurde inspiriert durch einen Aufsatz von Sigmund Freud, der die drei Kränkungen der Menschheit beschrieben hat. Die kosmologische durch Kopernikus. Die biologische durch Darwin. Und die psychologische durch Freud selbst. Und ich frage mich, welche Kränkungen seitdem dazugekommen sind. Und welche massiven Kränkungen uns noch erwarten, wenn die Künstliche Intelligenz den Homo sapiens vom Sockel gestoßen haben wird. Unser Zeitalter wird von Sozialpsychologen oft als narzisstisches Zeitalter bezeichnet. Und gerade Narzissten sind schnell gekränkt und zugleich die größten Kränker. Insofern gibt es keine bessere Symbolfigur für diese Zeit als Donald Trump. Na ja, da passt das Corona-Thema auch gut hinein. Das Virus erschüttert uns in allen Gewissheiten, in unserem Selbstverständnis, in unserem Freiheitsanspruch. Das Virus demütigt uns. Es kränkt uns gleich zweifach: in virologischer und in psychologischer Hinsicht. Für das eine gibt’s hoffentlich bald einen Impfstoff - aber für das andere? Angeblich wird seit Ausbruch der Pandemie mehr gesoffen – nee, nee, ich hab’s mal ausprobiert: Das hilft gar nix.