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Würzburg
Obdachlosenzeitung: Wie es dem Verkäufer während der Krise geht
Während des Lockdowns war die Stadt verwaist. Und auch Heinz, der Verkäufer der Obdachlosenzeitung, war nicht mehr zu sehen. Nun erzählt er, wie er die Corona-Pandemie erlebt.
Heinz D. an seinem Verkaufsplatz vor dem Kaufhof in Würzburg. Seit knapp zweieinhalb Jahren verkauft er dort die Obdachlosenzeitung. Wie erging es ihm während des Lockdowns?
Foto: Johannes Kiefer | Heinz D. an seinem Verkaufsplatz vor dem Kaufhof in Würzburg. Seit knapp zweieinhalb Jahren verkauft er dort die Obdachlosenzeitung. Wie erging es ihm während des Lockdowns?
Sophia Scheder
Sophia Scheder
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:23 Uhr

Mit einem blauen Shirt, grauer Jogginghose und Schlappen sitzt er da. Wie fast jeden Tag. Immer an der selben Stelle. Er hält eine Zeitung in der Hand, lächelt den Passanten freundlich zu. Diese wiederum hasten vorbei, viele senken den Blick. Heinz D., der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, verkauft neben dem Kaufhof in der Würzburger Innenstadt die Obdachlosenzeitung "Strassen Gazette". Hiermit erzielt er neben seiner geringen Rente zumindest kleine Einkünfte. Doch die brachen während des Lockdowns komplett weg. Wie geht es ihm nun?

Zeitung stellte für zwei Monate Produktion ein.

Mitte März hat sich der Tagesablauf von Heinz für knapp zwei Monate schlagartig geändert. Er setzte sich nicht mehr wie sonst jeden Morgen um 8 Uhr auf seinen 19 Jahre alten Roller und machte sich auf den Weg in die Stadt. Er stellte nicht mehr wie sonst seinen kleinen Klapphocker an seinem Stammplatz in der Schönbornstraße auf. Und er verkaufte nicht mehr wie sonst die "Strassen Gazette" an die vorbeischlendernden Passanten.

"Corona hat bös' nei'ghaun", sagt er mit fränkischem Akzent. Nach und nach sei seine Situation schlimmer geworden. "Eine Woche saß ich noch da und versuchte die Zeitungen an den Mann zu bringen", erzählt er. Sein leerer Blick wandert auf die andere Straßenseite. "Als jedoch immer weniger Passanten vorbei kamen, da die Geschäfte schließen mussten, bin auch ich nicht mehr gekommen." Die Zeitung "Strassen Gazette" stellte für zwei Monate die Produktion ein. Für den Rentner bedeutete das: Keine Beschäftigung mehr, kein Nebenverdienst mehr, keine Freude mehr. 

Vorgänger im Juli gestorben

Heinz verkauft die Obdachlosenzeitung seit knapp zweieinhalb Jahren. Jeden Wochentag sitzt er in der Würzburger Fußgängerzone: Immer am selben Platz, in einer Nische neben dem Eingang vor dem Kaufhof. Sonntags findet man ihn an der Alten Mainbrücke. Heinz ist der Nachfolger von Manni, der zuerst nicht mehr aus Aschaffenburg nach Würzburg fahren konnte, weil man ihm sein zweites Bein abnehmen musste. Am 3. Juli dieses Jahres starb er dann im Alter von 81 Jahren. "Er ist nicht an oder mit Corona gestorben", erzählt Heinz. "Aber wahrscheinlich wegen Corona. Er war einsam, niemand durfte ihn mehr besuchen kommen. Da wollte er nicht mehr, denke ich." Drei Seiten widmen die Herausgeber der "Strassen Gazette" dem Verstorbenen in der aktuellen Ausgabe.

Obdachlosenzeitungsverkäufer während Corona: Heinz D. verkauft seit mehr als zwei Jahren die Obdachlosenzeitung in Würzburg.
Foto: Johannes Kiefer | Obdachlosenzeitungsverkäufer während Corona: Heinz D. verkauft seit mehr als zwei Jahren die Obdachlosenzeitung in Würzburg.

Manni sei ein guter Freund von ihm gewesen, erzählt Heinz traurig. Selten habe er ihn in Aschaffenburg besucht, oft habe er mit ihm telefoniert. "Er wusste von meinen Problemen und ich von seinen", erinnert er sich. Und diese wurden für Heinz während des Lockdowns immer größer. Nach dem Abzug der Miete, blieben ihm nur noch 200 Euro im Monat, die für sein Leben und für das Leben seiner beiden Hunde reichen mussten. Die zwei Yorkshire Terrier übernahm der Rentner erst vor kurzem von einem Freund, der an Corona gestorben sei. "Ich habe vorher schon oft auf die Hunde aufgepasst." Daher habe er sie "selbstverständlich" nach seinem Tod zu sich geholt.

Zwei Hunde als Familienmitglieder

In diesem Moment läuft eine ältere Dame mit einem Hund vorbei. Heinz schaut den beiden hinterher und lächelt. "Ich bin froh, dass die Hunde nun bei mir sind. Sie sind meine Freunde und ja, eigentlich auch schon Familie." Die zwei Terrier haben ihn durch die Zeit der Isolation begleitet, ihn gegen die Vereinsamung geschützt, ihm einen Tagesablauf gegeben: Gassi gehen, Frühstück machen, Spielen, Abendessen machen, nochmal Gassi gehen. 

Und sie haben ihn vergessen lassen - diese "furchteinflößende Pandemie" und all die Beleidigungen, die er sich Tag für Tag anhören muss. "Dass ich selber Schuld sei, in diese Lage gekommen zu sein", nennt er als ein Beispiel. Dabei hat Heinz sein Leben lang gearbeitet, bis er mit 57 Jahren seine Arbeit verlor. "In dem Alter war meine Chance, nochmal einen Job zu bekommen, gleich Null", sagt er. Seitdem ist er arbeitslos. Seit zwei Jahren erhält er eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die jedoch kaum zum Leben reicht.

Eine Frau mittleren Alters geht zu Heinz und drückt ihm einen Euro in die Hand. Ihre Familie wartet währenddessen einige Meter entfernt. Eine Zeitung kaufen möchte sie nicht. Heinz blickt auf die Münze in seiner Hand. "Vielen Dank und einen schönen Tag noch", ruft er der Dame melodisch hinterher. Obwohl viel mehr Menschen als vor der Pandemie schlecht gelaunt an ihm vorbei laufen würden, bemerkt Heinz, "gibt es immer noch einige freundliche und positive Passanten." Und diese geben im die Kraft, weiterhin jeden Tag in die Stadt zu fahren und sich an den Kaufhof zu setzen. 

Über Heinz

Anders als beim Namen "Obdachlosenzeitung" angenommen, ist Heinz nicht obdachlos. Zumindest nicht mehr. 16 Jahre lang hat er in Versbach gewohnt, bis seine Wohnung verkauft wurde, und die neuen Vermieter ihn nicht mehr in der Wohnung haben wollten. Über 70 Wohnungen habe er sich dann angeschaut. Bekommen hat er jedoch keine. Ein halbes Jahr lang musste er sich auf der Straße durchschlagen, hat unter Brücken geschlafen, in Hauseingängen, und wenn er Glück hatte, bekam er ein Bett in einer Obdachlosenunterkunft. Bis ihm die Christophorus Gesellschaft nach einem Krankenhausaufenthalt angeboten hat, in der sogenannten Kurzzeitübernachtung unterzukommen, bis er eine Wohnung gefunden hat. Noch im selben Jahr ist er in eine Wohnung am Heuchelhof gezogen.
Quelle: ssc
 
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