
„Die Obdachlosenzeitung“ – der laute Ruf wiederholt sich in unregelmäßigen Abständen. Seine Stimme ist unverkennbar. Fußgänger senken den Blick, hasten vorbei. Die Hektik der Vorweihnachtszeit ist deutlich zu spüren. Eltern erledigen die letzten Zukäufe für das Christkind, Kinder schauen mit großen Augen durch die Fensterscheiben der Spielzeugläden. Ein kleine Junge stürmt vorbei, drückt seine Nase an das Schaufenster des Würzburger Kaufhofs. „Schau Mama, das wünsch' ich mir vom Christkind“, ruft er einer elegant gekleideten Frau zu und zeigt auf ein großes Raumschiff aus Legobausteinen. Nur wenige Meter nebenan sitzt Heinz auf seinem Klapphocker. Die Zeit und Hoffnung, auch etwas zu Weihnachten zu bekommen, ist für den Mann, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, schon lange vorbei. Sein einziger Wunsch, sagt er, sei mehr Achtsamkeit. „Die Menschen laufen vorbei und ignorieren mich.“ So schlimm wie dieses Jahr sei es noch nie gewesen.
- Würzburg: Obdachlos bei sibirischer Kälte
Heinz verkauft die Obdachlosenzeitung "Strassen Gazette". Seit einem Jahr sitzt er jeden Wochentag in der Würzburger Fußgängerzone: Immer am selben Platz, in einer Nische neben dem Eingang vor dem Kaufhof. Sonntags findet man ihn an der Alten Mainbrücke. Heinz ist der Nachfolger von Manni, der sein zweites Bein abgenommen bekommen hat und deshalb nicht mehr von Aschaffenburg nach Würzburg kommen kann. "Ich hab damals Flaschen gesammelt, als mich Manni gefragt hat, ob ich mit ihm die Zeitung verkaufen möchte", erzählt er.
Anders als beim Namen "Obdachlosenzeitung" angenommen, ist Heinz nicht obdachlos. Zumindest nicht mehr. 16 Jahre lang hat er in Versbach gewohnt, bis seine Wohnung verkauft wurde, und die neuen Vermieter ihn nicht mehr in der Wohnung haben wollten. „Über 70 Wohnungen habe ich mir dann angeschaut“, erzählt er. Bekommen hat er jedoch keine. Ein halbes Jahr lang musste er sich auf der Straße durchschlagen, hat unter Brücken geschlafen, in Hauseingängen, und wenn er Glück hatte, bekam er ein Bett in einer Obdachlosenunterkunft. Bis ihm die Christophorus Gesellschaft nach einem Krankenhausaufenthalt angeboten hat, in der sogenannten Kurzzeitübernachtung unterzukommen. „Die haben gesagt, Heinz, Sie müssen nicht mehr auf die Straße. Sie bleiben bei uns, bis Sie eine Wohnung gefunden haben", erinnert er sich. Noch im selben Jahr hat er eine Wohnung am Heuchelhof gefunden. „Mir war egal, wie sie aussieht, Hauptsache ein Dach überm Kopf.“
Freude über jede Spende
Ein elegant gekleideter Mann kommt an Heinz' Ecke. Streckt ihm seine Hand entgegen, darin eine Euromünze. „Jedes Jahr komme ich in der Weihnachtszeit extra aus Düsseldorf, um Ihnen etwas zu geben“, sagt er mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Warum er wegen eines einzelnen Euros die weite Strecke aus Düsseldorf auf sich nimmt, bleibt offen. Heinz freut sich jedenfalls über die Spende. "Danke! Schönen Tag und schöne Feiertage!", ruft er fast melodisch hinterher. Der Mann dreht sich um, schenkt ihm ein Lächeln. „Etwa sieben oder acht Leute kommen am Tag und geben mir was“, erzählt er. Die Zeitung verkauft sich da schon öfter: 20 bis 30 pro Tag, doch "dieses Jahr läuft es wirklich schlecht", erzählt er. Letztes Jahr hat Heinz schon eine Woche vor Weihnachten alle Exemplare der "Strassen Gazette", die er monatlich per Telefon bestellt, verkauft. "Die Leute denken nur noch an sich, man kann sagen, dass sich eine soziale Kälte verbreitet", ärgert er sich. Von dem Kaufpreis von 1,50 Euro geht die eine Hälfte an den Verkäufer, während die andere soziale Projekte unterstützt.
Heinz ist im Heim groß geworden, die am tiefsten prägende Zeit seiner Kindheit verbrachte er dort. Sieben Geschwister hat er, seine Mutter kümmerte sich um keines. Bis heute denkt er an die schlimmen Ereignisse, die er über sich ergehen lassen musste. In der Zeitung lesen möchte er sie nicht. Nur so viel: „Dort wurde mir meine Kindheit geraubt.“ Die Erlebnisse hätten sein Leben gezeichnet, erzählt er. Er wurde Einzelgänger, hat die Gesellschaft gemieden und wollte nie eine Familie gründen. „Ich wollte keine Kinder in diese grausame Welt setzen, und das habe ich bis heute durchgehalten.“

Vom Pech verfolgt
Im Minutentakt kommen aus dem Geldautomaten neben Heinz die Scheine raus. Für ihn gibt es nichts von alldem. Er ist ein bescheidener Mann, der sich mit dem Wenigen, was er hat, zufriedengibt. Er hat Koch gelernt, dann mehrere Jahre als Druckhelfer gearbeitet, bis er Opfer einer Entlassungswelle wurde. Dann hat er sich zum Berufskraftfahrer umschulen lassen, bis ihn auch hier das Pech getroffen hat. Die Firma ging pleite, Heinz verlor den Job, und das mit 57 Jahren. „In dem Alter war meine Chance, nochmal einen Job zu bekommen, gleich Null“, sagt er. Seitdem ist er arbeitslos. Seit zwei Jahren erhält er eine Erwerbsunfähigkeitsrente. „630 Euro“, sagt er, „und dafür habe ich 40 Jahre lang gearbeitet.“ 340 Euro gehen monatlich für die Miete ab, viel zum Leben bleibt da nicht mehr.
- Schweinfurt: Kein Anspruch auf Sozialhilfe, und doch obdachlos
Um ihn herum befinden sich die Menschen mitten im Weihnachtsstress, haben Tüten voller Geschenke in der Hand. Ein Luxus, von dem Heinz nur träumen kann. Ihn beschäftigen andere Themen – sein Abendessen zum Beispiel. „Heute habe ich von einer netten Dame Gulasch geschenkt bekommen, das mach ich mir gleich heute Abend“, sagt er. Er freut sich über die kleinen Dinge.

Ein kleiner Junge kommt vorbei, etwa sieben, vielleicht acht Jahre alt. „Was machen Sie hier?“, fragt er mit einem breiten Grinsen im Gesicht, seine Zahnlücken treten hervor. „Ich verkaufe die Obdachlosenzeitung“, antwortet Heinz. Der Junge fängt an zu lachen. „Das ist nicht witzig“, sagt Heinz, reagiert aber gelassen. „Der weiß doch nicht, was ein Obdachloser überhaupt ist.“ Solche Begegnungen kommen oft vor, meint er. Manchmal sind es positive: Menschen bringen ihm Kaffee oder zu dieser Zeit gerne Lebkuchen vorbei. Manchmal sind es negative: "Letzte Woche erst hat mich einer dumm angemacht und gesagt, dass ich mein Maul halten soll." Wenn man jeden Tag hier sitzt, erlebt man nun mal einiges.
Weihnachten als Tag wie jeder andere
Pater Anselm Grün ziert die Titelseite der Dezemberausgabe der „Strassen Gazette“. „Kein Platz für Angst und dunkle Gedanken“, steht auf dem Titel. Das wünscht sich Heinz auch für die Menschen, die durch die weihnachtlichen Straßen gehen. „Die Leute denken nur noch an sich“, sagt er, „die rennen doch nur noch drauf zu, mit Bummeln hat das nichts mehr zu tun. Die Leute machen sich selber verrückt.“ Für Heinz ist Weihnachten ein Tag wie jeder andere. Plätzchen backen, dekorieren oder Geschenke gibt es für ihn nicht, einzig und allein auf seine Weihnachtsente verzichtet er nicht. „Die gibt es bei mir jedes Jahr." Und mit seinen Brüdern telefoniert er, doch er bleibt alleine. „Und das will ich auch, sonst werden wieder die Erlebnisse aus meiner Kindheit wach.“
Neben Achtsamkeit wünscht sich Heinz nur noch „Gesundheit für meine Brüder und mich“, das sei das Wichtigste. Auf die Frage, ob er nicht auch einen materiellen Wunsch habe, braucht Heinz einige Sekunden, um nachzudenken. „Ich möchte nicht auf andere angewiesen sein“, antwortet er, „so viel Rente zu haben, dass ich das hier nicht mehr machen muss.“
es gibt aber halt auch leider die andere seite von obdachlosen, pöbeln menschen an und schreien vor sich her wie ein Schreihals. alles schon in Würzburg erlebt. schade, dass man für solche menschen kein gemeinsames haus in der Stadt oder am Stadtrand findet wo sie unterschlupf finden.
Die können nichts dafür, werden aber gerade deshalb noch mehr ausgegrenzt.
Oft stehen unglaublich traurige Geschichten dahinter.
Man muss da wirklich genau hinsehen.
Die "echten Berber" darf man nicht mit den kriminellen Gestalten links am Bahnhofsvorplatz verwechseln, oder mit den Bettlerbanden, die allmorgendlich nach Würzburg reingefahren werden, über einen Kamm scheren.
Unterhalten Sie sich einfach mal mit einem Berber.
Man kann sehr viel dabei lernen.